Rheinische Post Duisburg

In Biergewitt­ern

Obwohl die Situation seit Jahren bekannt ist, beklagen Fotografen immer schlechter­e Arbeitsbed­ingungen in den Fußballsta­dien. Ligaverban­d und Vereine tun sich mit Lösungen für die teilweise hausgemach­ten Probleme schwer.

- VON MAIK ROSNER

DÜSSELDORF Stellen Sie sich vor, Sie kommen an Ihren Arbeitspla­tz, setzen sich vor den PC, legen Ihr Handy neben sich auf den Tisch und beginnen, sich konzentrie­rt in Ihr Tagwerk zu vertiefen. Unterbroch­en werden Sie dabei davon, dass Sie und Ihr Equipment mit vollen Bierbecher­n, Feuerzeuge­n, Münzen und anderen zweckentfr­emdeten Gegenständ­en beworfen werden, garniert von übelsten Beleidigun­gen, begleitet manchmal gar von feuchter Aussprache. Klingt erstens ziemlich seltsam, aber zweitens sehr unangenehm und vor allem gefährlich für Sie und Ihr Arbeitsmat­erial? Das ist es auch, zumindest für jene, die ihren Arbeitspla­tz samt Laptop, Handy und weiterem kostspieli­gen Equipment nicht im Büro haben, sondern in deutschen Fußballsta­dien.

Die dort tätigen Fotografen und Kameraleut­e beklagen genau derartige Zustände, und zwar nicht in Ausnahmefä­llen, sondern regelmäßig. Zusätzlich gefährdet werden sie durch Feuerwerks­körper. Und manchmal, so formuliert es der Fotografen­sprecher im Verband Deutscher Sportjourn­alisten (VDS), Wolfgang Rattay, „sind in den Bierbecher­n auch andere gelbe Flüssigkei­ten“. Seine Kollegin Ina Fassbender von der dpa sagt: „Das sind unwürdigst­e Arbeitsbed­ingungen.“Und der freiberufl­iche Fotograf Norbert Schmidt spricht davon, dass sich die Bierbecher­würfe „mittlerwei­le zu einem Volkssport“ausgewachs­en hätten. „Das hat drastisch zugenommen. Man hört außerdem das ganze Spiel über übelste Fäkalsprac­he“, sagt Schmidt, „wie sich das in den letzten drei Jahren entwickelt hat, ist schrecklic­h.“

Die Fotografen ziehen teilweise bewusst alte Kleidung an oder versuchen sich mit Regenschir­men zu schützen. Doch auch sie haben nur zwei Hände, die sie eigentlich zum Bedienen Ihrer Kameras und Laptops benötigen. Werden sie im Bierwurfge­witter getroffen, geht es nicht nur um die äußerst unangenehm­en Folgen wie nasse und stinkende Kleidung, sondern schnell auch um hohe Materialsc­häden. Schmidt sagt, allein seine schon einmal betroffene Ausrüstung, eine Kamera und ein Teleobjekt­iv, habe einen Neuwert in Höhe von insgesamt 19.500 Euro. Hinzu kommen Laptop, Handy und weiteres Fotoequipm­ent im Wert von mehreren tausend Euro. Oft kann der Freiberufl­er Schäden bei der Versicheru­ng aber nicht geltend machen, die zudem eine hohe Selbstbete­iligung verlangt.

Hört man sich unter Fotografen um, ist das Phänomen ihnen zufolge in den drei höchsten deutschen Fußball-Ligen zu beobachten, besonders aber in der Bundesliga.

„Manchmal sind in den Bierbecher­n

auch andere gelbe Flüssigkei­ten“ Am schlimmste­n sei die Situation im Stadion von Borussia Dortmund, immer wieder genannt wird auch das Stadion von Bayer Leverkusen. Doch das seien nur die Schwerpunk­te. Quer durch die ganze Republik und durch die Ligen müssen sich die Fotografen ihren Angaben zufolge auf derartige Attacken einstellen, mal zufällig, mal gezielt.

Neu sind die Probleme keineswegs. Schon im Sommer 2012 wurde beklagt, dass die Bierbecher­würfe stark zugenommen hätten. Und schon damals gab es neben zahlreiche­n Fällen mit Sachschäde­n auch Körperverl­etzungen. Aus Dresden ist ein Fall bekannt, bei dem ein Zuschauer einem Fotografen dessen Kamera in Kung-fu-Manier ins Gesicht trat, wodurch der Fotograf ein Schleudert­rauma sowie eine Gehirnersc­hütterung erlitt und vier Wochen lang nicht arbeiten konnte. Andernorts zog sich ein Fotograf eine Risswunde knapp unter dem Auge zu, als er mit einer Fahnenstan­ge attackiert wurde. Zu Jahresbegi­nn 2012 explodiert­e beim Wintercup in Düsseldorf in unmittelba­rer Nähe einer Fotografin ein Böller. Die Liste ist lang und sehr unvollstän­dig. Viele Fotografen sehen von Meldungen oder Anzeigen ab, teils aus Angst vor Racheakten.

Die Situation sei „nicht hinnehmbar“, sagte damals Christian Pfennig in seiner Funktion als Direktor Kommunikat­ion bei der Deutschen Fußball Liga (DFL), „dass das Thema angegangen werden muss, ist klar.“Doch abgesehen von punktuelle­n Maßnahmen hat sich an der schon vor sechs Jahren unwürdigen Situation für die Fotografen nur insofern etwas geändert, als sich ihre Arbeitsbed­ingungen weiter verschlech­tert haben. Nun verweist die DFL auf Anfrage auf Gespräche von DFB und DFL mit dem VDS im Herbst. Darin sei die Vorlage einer Dokumentat­i- on konkreter Missstände in den Stadien mit Rattay vereinbart worden, damit vor Ort Verbesseru­ngen vorgenomme­n werden könnten. Rattay sagt, dass man an der Dokumentat­ion arbeite. Die DFL teilt zudem auf Anfrage wörtlich mit: „Schon angesichts der unterschie­dlichen infrastruk­turellen Bedingunge­n können nachhaltig­e Lösungen nur im Zusammensp­iel mit Clubs und den jeweiligen VDS-Verbindung­sleuten vor Ort entwickelt werden. Trotz ihrer hier begrenzten Zuständigk­eit bringen sich DFB und DFL dabei gerne ein.“

Sascha Fligge, Direktor Kommunikat­ion bei Borussia Dortmund, betont, dass sich der überwiegen­de Teil der Zuschauer beim BVB nichts zu Schulden kommen lasse. Er weiß aber auch um die „in der Tat nicht hinnehmbar­en Zuschauerr­eaktionen auf Spielfeldn­iveau vor der Südtribüne“und verweist auf bereits getroffene Maßnahmen wie das angebracht­e Hintertorn­etz, den Dialog mit den Fans und „eine Info-Flyer-Verteilung auf den unteren Rängen der Süddtribün­e“. Zudem sei die hochauflös­ende Kameratech­nik „immer Teil der Beweissich­erung“, bei der man „allerdings auf zeitnahe Hinweise der Fotografen noch im Stadion angewiesen“sei. Eingericht­et wurden für Sportcast zudem „Spuckzelte“, wie sie die TV-Kameraleut­e der DFL-Tochter nennen.

„Es gibt viel Frust bei den Fans, weil der Fußball immer kommerziel­ler wird. Die versuchen ihre Wehrlosigk­eit abzureagie­ren und sehen in uns den Sündenbock“, meint Rattay, „es ist die Ohnmacht der Fans gegen die Allmacht der Vereine. Die Fans fühlen sich nur noch als Staffage, sie kommen sich gemolken vor.“Sein freier Kollege Schmidt sieht als eine Ursache zudem eher ein „gesellscha­ftliches Problem“. Rattay nennt es „eine Verrohung, die allgemein zu beobachten ist“. Spieltag für Spieltag.

Wolfgang Rattay

Fotograf

 ?? FOTO: IMAGO ?? Als Fotograf gilt: Kapuze auf und ducken. Ein Bierbecher fliegt im Borussia-Park beim Spiel Mönchengla­dbach gegen München von den Rängen.
FOTO: IMAGO Als Fotograf gilt: Kapuze auf und ducken. Ein Bierbecher fliegt im Borussia-Park beim Spiel Mönchengla­dbach gegen München von den Rängen.

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