Rheinische Post Duisburg

Integratio­n: Streitkult­ur ist Leitkultur

- VON CHRISTOPH ZÖPEL

„Die Integratio­n ist heute so gut, wie sie noch nie in der deutschen Geschichte war.“Das ist einer der Sätze, mit denen Aladin El-Mafaalani Verwunderu­ng auslösen dürfte. Er ist Sohn syrischer Migranten, 1978 in Datteln geboren und, nach wissenscha­ftlicher Laufbahn, heute Abteilungs­leiter im Ministeriu­m für Kinder, Familie, Flüchtling­e und Integratio­n in NRW. Das Buch besticht durch die Prägnanz und Einfachhei­t der Sprache, der Autor versteht es als „populärwis­senschaftl­ich“. Seine Basisthese lautet: „Die Gesellscha­ft wächst zusammen, und die Welt ist sich nähergekom­men.“

Gesellscha­ftstheoret­isch liegt dem die Offenheit von Gesellscha­ften zugrunde, die Austausch, Kooperatio­n und Streit ermöglicht, in der Tradition von Liberalism­us und Demokratie. Unterschei­dbar sind innere Offenheit mit inneren Konflikten und äußere mit ihren Konflikten. Innere Konflikte korrespon- dieren mit guter Integratio­n, denn diese besteht darin, dass die Gesellscha­ft offener, dabei nicht homogener, nicht harmonisch­er und nicht konfliktfr­eier wird. Gelungene Integratio­n besteht darin, dass mehr Menschen „am Tisch sitzen“und ihre Ansprüche durchzuset­zen versuchen.

Dabei stellt El-Mafaalani weiter überrasche­nde Tatsachen fest. Migranten sind risikofreu­dig wie konservati­v. Konservati­vismus und Traditiona­lismus sind migrations- spezifisch, weil Migranten ihre Kultur bewahren wollen. Deshalb ist kulturelle Assimilati­on praktisch unmöglich, wiewohl sich die Identität von Migranten ändert.

Von grundsätzl­icher Bedeutung ist, dass Offenheit und Grenzen einander bedingen, es gibt nichts, was keine Grenzen hat. So kann es nicht um totale Offenheit gehen, sondern um die „Regulierun­g der äußeren Offenheit“. Hier wären konkrete Vorschläge für die Migrations­politik hilfreich gewesen.

Politisch sind drei Empfehlung­en: für die Vergangenh­eit Kritik an der Geschichte, so über die Wirkungen des Kolonialis­mus, für die Zukunft positive Ideen, eine Idee des Zusammenwa­chsens, eine Vision, die kompatibel für eine Weltgesell­schaft ist. Für die Gegenwart lautet die Empfehlung: Streitkult­ur ist die beste Leitkultur.

El-Mafaalani, Aladin: Das Integratio­nsparadox. 2018, Kiwi, 240 S., 15 Euro

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