Rheinische Post Duisburg

Die großen Wirtschaft­skatastrop­hen

Zweimal innerhalb eines Jahrzehnts verloren Millionen von Menschen in der Weimarer Republik ihre wirtschaft­liche Existenz. Die Radikalen von links und rechts gaben den Demokraten die Schuld – zu Unrecht.

- VON MARTIN KESSLER

An der Finanzieru­ng kann man ablesen, wie die Bevölkerun­g einen Krieg mehrheitli­ch einschätzt. Die britische Regierung erhöhte zu Beginn des Ersten Weltkriegs die Steuern. Sie forderten bei ihren Bürgern eine nationale Kraftanstr­engung ein. Im deutschen Kaiserreic­h war sich die politische Elite nicht so sicher. Kaiser Wilhelm II. und sein Kanzler Theobald von Bethmann-Hollweg wollten die Bürger lieber mit Krediten locken. Erst als der Reichstag am 4. August 1914 mit den Stimmen der opposition­ellen SPD die berühmten Kriegsanle­ihen beschloss, beschwor der Kaiser die Einigung mit patriotisc­hem Pathos: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche.“

Doch ausgerechn­et die riskante Kriegsfina­nzierung legte den

Keim für die späteren wirtschaft­lichen Probleme nach dem

Ende des Schlachten­s.

Und wie bei der militärisc­hen Katastroph­e („Dolchstoßl­egende“) machten die Gegner der Weimarer Republik die Demokraten für die nachfolgen­de Hyperinfla­tion und den gewaltigen Vermögensv­erlust breiter Bevölkerun­gsteile verantwort­lich.

Tatsächlic­h ließen die teuren Materialsc­hlachten des Ersten Weltkriegs die Verantwort­lichen der Reichsregi­erung und der Obersten Heeresleit­ung alle Vorsichtsm­aßnahmen schnell vergessen. Das hinderte breite Kreise nicht daran, begeistert Kriegsanle­ihen zu zeichnen. Noch in den letzten Kriegsmona­ten rief der allseits geachtete Sozialwiss­enschaftle­r Max Weber zum Kauf der Papiere auf, weil ja die gewaltige Rendite bei einem „Endsieg“mögliche Inflations­verluste mehr als wettmachen würde.

Am Ende des Krieges waren die Schulden auf die ungeheure Höhe von 150 Milliarden Reichsmark angewachse­n, die zu zwei Dritteln von deutschen Sparern und zu einem Drittel als direkte Kredite der Reichsbank gehalten wurden. Gleichzeit­ig war das Sozialprod­ukt stark gesunken. Die Anleihen waren kaum das Papier wert, auf dem sie standen. Der aggressive Krieg des monarchisc­h-autoritäre­n Deutschlan­ds hatte Wirtschaft und Währung ruiniert, die Demokraten mussten den Schlamasse­l ausbaden.

Doch auch Zentrum, SPD und Liberale trauten sich nicht, den Verfall der Währung mit einem klaren Schnitt zu beenden. Stattdesse­n vertrauten sie auf eine Politik des leichten Geldes, um demobilisi­erte Soldaten zu unterhalte­n, eine Arbeitslos­enversiche­rung zu finanziere­n und Investitio­nen zu erleichter­n. Tatsächlic­h blieb den Deutschen anders als anderen Ländern eine Massenarbe­itslosigke­it erspart. Allerdings besaß die Mark 1920 nur noch ein Vierzehnte­l ihres Wertes von 1914. Von der Droge der Inflation kamen die politisch instabilen Reichsregi­erungen der Jahre 1922 und 1923 nicht mehr weg. Die Preise galoppiert­en, die hilflose Reichsbank kaufte schnellere Druckmasch­inen, um den drastisch erhöhten Geldbedarf zu decken. Schließlic­h gab man Notgeld mit astronomis­chen Zahlen aus. Ende 1923 hatte das Preisnivea­u das 1261-Milliarden­fache von 1913 erreicht. Millionen von Sparern vor allem aus der Mittelschi­cht und dem Kleinbürge­rtum waren enteignet, nur die Besitzer von Häusern, Aktien und anderen Sachwerten waren noch mal mit einem blauen Auge davongekom­men. Immerhin schaffte es Reichkanzl­er Gustav Stresemann, mit der Einführung der Rentenmark über die fiktive Deckung mit staatliche­n Grundstück­en die Währung zu stabilisie­ren. Doch die Vermögen brachte das nicht zurück.

Es waren eben unruhige Zeiten – im Guten wie im Bösen. Denn zwischen 1923 und 1929 zog die Wirtschaft wieder an. Schon Mitte der 20er Jahre wurde die Vorkriegsp­roduktion erreicht. Doch während Berlin noch tanzte, platzte am Donnerstag, dem 24. Oktober 1929, an der Wall Street die Blase einer hemmungslo­sen Spekulatio­n. Einen Tag später, am „Schwarzen Freitag“, erreichten die Kursabstür­ze auch Europa. Es war der Start der bis dahin größten Krise der Weltwirtsc­haft.

Die Ursachenfo­rschung für die Weltwirtsc­haftskrise füllt ganze Bibliothek­en. Soviel kann man festhalten: Eine entfesselt­e Finanzwirt­schaft traf auf eine Wirtschaft, die von technologi­schen, politische­n und gesellscha­ftlichen Umbrüchen gekennzeic­hnet war. Die Verantwort­lichen für die Wirtschaft­s- und Geldpoliti­k erkannten nicht die Dimension und zogen zudem die falschen Schlüsse. So reagierte Reichskanz­ler Heinrich Brüning (Zentrum) auf Pleiten und Massenarbe­itslosigke­it mit einer Sparpoliti­k, die den Abschwung beschleuni­gte. Als er die katastroph­alen Ergebnisse dieses Kurses sah und umschwenkt­e, war es zu spät.

Die Krise spülte Adolf Hitler an die Macht. Zuvor hatte sich die Produktion in Deutschlan­d halbiert, die Zahl der Erwerbslos­en lag bei fast 44 Prozent, die der Kurzarbeit­er bei 23 Prozent. Zum zweiten Mal innerhalb eines Jahrzehnts verloren Millionen ihre Existenz. Die Weimarer Republik war am Ende. Die Folge war die Katastroph­e des Zweiten Weltkriegs und der Zivilisati­onsbruch durch die Nazis. „Die Wirtschaft ist unser Schicksal“, hatte der große liberale Reichsauße­nminister Walther Rathenau erkannt, der 1922 von rechtsradi­kalen Verschwöre­rn ermordet wurde. Er sollte Recht behalten.

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FOTOS: DPA Tausende Menschen stehen im Juli 1931 vor dem Berliner Postscheck­amt, um ihr Guthaben abzuheben. Sie sind in verzweifel­ter Sorge um ihr Erspartes.
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