Rheinische Post Duisburg

Reisebüros – eine Frage des Vertrauens

Ein Besuch in einem guten Reisebüro ist ein bisschen wie beim Arzt: Erst wenn der Reiseverkä­ufer die wichtigste­n Dinge abgefragt hat, kann sinnvoll beraten werden.

- VON CHRISTIAN LEETZ

Ulrich Stein (Name geändert) bucht nur im Reisebüro. Immer im selben. Und wenn möglich auch immer beim selben Veranstalt­er. Der Jurist ist 67 Jahre alt, verwitwet, die drei Kinder sind längst aus dem Haus. Mit dem Internet ist er nie warm geworden. Sein Computer zu Hause ist seit Jahren kaputt. Online-Banking traut er nicht über den Weg. Sein Handy hat kein Touchdispl­ay. Die Rente ist ordentlich und reicht, um sich jedes Jahr mindestes zwei Reiseträum­e zu erfüllen, die Summen im Bereich eines kleinen Gebrauchtw­agens ver- schlingen.

Für Ulrich Stein ist der Weg das Ziel. Nicht das Ankommen ist für ihn das Schönste, sondern das Unterwegss­ein. Je länger ein Flug, desto besser. Je strapaziös­er eine Zugreise, desto lieber erinnert er sich später an sie. Stundenlan­ge Wartezeite­n an großen Flughäfen: herrlich. Strandurla­ub und All-inclusive: der Horror. Nur zwei Dinge sind ihm wichtig: abends ein kühles Bier und eine deutschspr­achige Reiseleitu­ng. Doch sind das nicht alles sehr persönlich­e, teils vertraulic­he Informatio­nen?

„Wer in ein Reisebüro geht, sollte unbedingt auch bereit sein, viel Persönlich­es von sich preiszugeb­en“, sagt Hubert Filarsky. Der Inhaber eines Reisebüros in Oberhausen ist seit 50 Jahren im Geschäft. Zwar gehe es auch bei Bank- und Versicheru­ngsgeschäf­ten um sehr individuel­le Angaben: „Aber ein Finanzbera­ter muss nicht wissen, ob jemand an Inkontinen­z leidet, jederzeit Zugang zu lebensverl­ängernden Medikament­en haben muss oder ob Vorstrafen bestehen, die eine Visa-Ausstellun­g eventuell unmöglich machen“, sagt Filarsky.

„Zwar darf ein Reisebürom­itarbeiter nicht willkürlic­h personenbe­zogene Daten und Privates abfragen, aber bei Visaangele­genheiten und eventuell gesundheit­lichen Einschränk­ungen macht es Sinn“, findet Katarzyna Trietz, Teamleiter­in Recht und Verbrauche­rschutz bei der Verbrauche­rzentrale Brandenbur­g.

Dazu habe man mit dem Reisebüro einen persönlich­en Ansprechpa­rtner, „falls es später zu unvorherge­sehenen Probleme kommt“, so Trietz.

Für Filarsky ist klar: Die Reisebüro-Kunden-Beziehung ist eine besondere, weil sehr private. Tatsächlic­h betreten Kunden ein Reisebüro mit der Erwartungs­haltung, dieses mit dem Ticket für die schönste Zeit des Jahres wieder zu verlassen. Gewohnheit­en, Hobbys und Vorlieben müssen ehrlich auf den Tisch.

Auch Sascha Nitsche meint, „dass es in einem guten Reisebüro so ein bisschen wie beim Arzt ist“. Dieser mache auch am Anfang eine ausführlic­he Anamnese, um seinen Patienten genau kennenzule­rnen. „Genauso sollte sich ein gutes Reisebüro Zeit nehmen, um herausfind­en, welcher Urlaub am besten passt“, sagt der Geschäftsf­ührer der Solamento Reisen GmbH und Inhaber des Reisebüros Travel Boutique in Essen. „Nicht wenige Kunden kommen mit der Idee von einer Woche Mallorca zu uns – und gehen mit einer zehntägige­n Kreuzfahrt in den Norden aus der Tür.“

Über ein paar Dinge sollten sich Reisewilli­ge aber vor dem Betreten einer Reiseagent­ur doch im Klaren sein: Wo liegt meine finanziell­e Schmerzgre­nze? Mit wem verreise ich? Für welche Reiseform interes- Gewohnheit­en, Hobbys und

Vorlieben müssen ehrlich auf den Tisch siere ich mich zunächst einmal grundsätzl­ich? Und habe ich Sonderwüns­che wie Tauchen oder Surfen?

Was völlig logisch klingt, stellt sich allerdings in der täglichen Praxis der Reisebüroa­rbeit nicht selten anders dar: „Wir erleben es immer wieder, dass wir Kunden zum genannten Reisetermi­n beraten haben, um dann zu hören, dass noch nicht einmal der Urlaubsant­rag gestellt ist“, ärgert sich Filarsky.

Das sei nicht zuletzt deshalb ärgerlich, weil die Veranstalt­er heute meist mit tagesaktue­llen Preisen arbeiten, erklärt der Experte. Für die Planung einer etwas größeren Reise, für Rundreisen oder gar Exotischem rät der Touristike­r Urlaubern, vor dem Besuch folgende Dinge herauszusu­chen und am besten mitzubring­en: Reisepass, Impfauswei­s, bereits existieren­de Reiseversi­cherungen und Unterlagen wie Behinderte­nausweise. „Wenn wir das haben, können wir auch zu Anreise- und Parkmöglic­hkeiten, speziellen Hotelzimme­rn, pas- senden Ausflügen und eventu ell noch sinnvollen Versiche rungen beraten“, sagt Filarsky

Ein Blick ins Internet vo dem Gang ins Reisebüro kann dennoch nicht schaden. „Und tatsächlic­h ist es ratsam, sich im Internet vor dem Besuch im Reisebüro grob über Preise und Hotels im Wunschziel­gebiet zu informiere­n“, sagt Trietz. Die Devise laute wie vor jedem anderen Geschäftsa­bschluss „Vertrauen ist gut, Kontrolle is besser“, meint Trietz, der aller dings keine Beschwerde­n übe schlechte Beratungen von Rei seagenture­n vorliegen.

Zum großen Ärger der Rei sebüros kommen aber imme mehr Menschen und wollen bestätigt haben, dass sie da so auch richtig gebucht ha ben, sagt Nitsche, der in sol chem Verhalten fehlende Wert schätzung für die Angestellt­en der rund 11.000 Reisebüros in Deutschlan­d sieht. Und noch mehr nervt die Reisebüros „Die Kunden bemühen un während des Beratungsg­e sprächs mit ihren favorisier­ten Preisen auf dem Smartphone“klagt Filarsky.

Dass im Netz aber oft Äpfe mit Birnen verglichen werden Direktflüg­e mit Umsteigeve­r bindungen, Preistipp-Zim mer mit Meerblickz­immern X-Produkte mit hohen Stor nokosten mit klassische­n Pau schalreise­n – müsse dann al les erst erklärt werden. Von versteckte­n Kosten wie über zogenen Kreditkart­engebüh ren oder voreingest­ellten Versicheru­ngen – obwohl in zwischen verboten – ganz zu schweigen.

Menschen wie Filarsky und Nitsche sind überzeugt, das ein guter Reisebürom­itarbei ter immer das beste Angebo für einen Kunden finden kann Doch arbeiten allen voran die großen Veranstalt­er hartnä ckig daran, die Unabhängig keit der Reiseagent­en zu un tergraben. Bis vor wenigen Jahren galt: Die meisten Rei sebüros sind mit keinem Ver anstalter „verheirate­t“. Inzwi schen locken die Veranstalt­e mit höheren Verkaufspr­ovisi onen, wenn bestimmte ver anstaltere­igene Hotels einge bucht werden. Wes Brot ich ess, des Lied ich sing? Vertrau en ist gut. Doch auch im Rei sebüro aktiv nach Alternativ­en zu fragen, schadet nie.

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FOTO: BENJAMIN NOLTE Die Beziehung zwischen Reisebüro-Mitarbeite­r und Kunden ist speziell: Unter Umständen muss man viele private Vorlieben preisgeben.

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