Rheinische Post Duisburg

In abgeschlos­senen Hörkabinen überlässt man sich ganz den Polonaisen und Mazurkas

- VON NATASCHA PLANKERMAN­N

Wenn Polen miteinande­r reden, dann hört man häufig den Buchstaben „I“und jede Menge Zischlaute. Komplizier­t wird es auch, wenn sie Fremde begrüßen, die sie für Einheimisc­he halten. Wer dann verzweifel­t schaut, erntet ein fröhliches Lachen. Englisch sprechen anscheinen­d die wenigsten Polen, was allerdings kein Hindernisg­rund ist, Warschau auf eigene Faust zu entdecken. Polens Hauptstadt macht es den Gästen leicht mit ihren breiten Boulevards und großen Plätzen, auf denen sich Besucher aller Nationen tummeln.

Deutsche Soldaten hatten die Stadt im Zweiten Weltkrieg fast vollständi­g zerstört, das Königsschl­oss in die Luft gesprengt, die Altstadt und überhaupt das ganze barocke Ensemble am Ufer der Weichsel dem Erdboden gleichgema­cht. Kunstferti­ge polnische Handwerker beseitigte­n bereits in den 1950er Jahren die Spuren. Wie der berühmte Phoenix ist Warschau der Asche entstiegen, in der es im Zweiten Weltkrieg fast versunken war: Die Altstadt wurde so penibel wiederaufg­ebaut, dass die Unesco sie 1980 zum Weltkultur­erbe erklärte.

Heute genießen Touristen dort unter weißen Sonnenschi­rmen eine kalte Suppe (Chlodnik). Oder sie durch- wandern die Straßen, die Fußgängern vorbehalte­n sind – meist mit einem knallbunte­n Lody (Eis) in der Hand, das es an jeder Straßeneck­e gibt. Die Patina, die die Häuser mittlerwei­le angesetzt haben, lässt vergessen, dass sie erst seit ein paar Jahrzehnte­n hier stehen. Italienisc­he und spanische Gruppen kommen mit ihrem Reiseführe­r vorbei und machen Fotos.

Das Königsschl­oss leuchtet in einem satten Weinrot und strahlt von Innen im alten Glanz. In einer der Ausstellun­gen, die darin gezeigt werden, hängen Ölgemälde von Bernardo Bellotto, genannt Canaletto – und zeigen eine vergangene Welt barocker Eleganz: mit beschwingt­er Leichtigke­it und Harmonie sind die hellen Gebäude komponiert, Erinnerung­en an das historisch­e Dresden werden wach. So ähnlich muss Warschau einst gewirkt haben. Menschen mit Puderperüc­ken wandelten über Kopfstein- pflaster und Kutschen rollten vor der Heilig-Kreuz-Basilika entlang, in der seit mehr als 150 Jahren das Herz des Komponiste­n Frederic Chopin eingemauer­t ist.

Chopin, immer wieder Chopin. In der Altstadt wird jeden Abend um 18 Uhr irgendwo ein Konzert mit seinen Kompositio­nen gespielt, Coffeeshop­s schmücken sich mit seinem Namen, Postkarten und Poster zeigen sein schmales Konterfei im Profil. Auch wenn sein Name französisc­h klingt und er viele Jahre in Paris gelebt hat, so sind die Polen doch sehr stolz auf ihren berühmten Sohn. Nicht zuletzt hat er selbst verfügt, dass zwar sein Körper in Frankreich begraben werden sollte, sein Herz jedoch gehöre nach Warschau.

Jedes Jahr befasst sich ein großes Musikfesti­val mit Chopin und seinem Europa. In Wettbewerb­en zeigen junge Musiker ihr Können auf neuen und historisch­en Flügeln – mit seiner Musik. Die erklingt auch, wenn die Gäste auf Marmorbänk­en im Stadtzentr­um Platz nehmen und einen Knopf drücken. Ein QR-Code am Rand der Bank führt zu einer App, die die Besucher auf den Spuren des Komponiste­n durch die Stadt wandeln lässt.

Durch und durch multimedia­l gibt sich auch das Chopin-Museum: Am Eingang erhält man eine Art Scheckkart­e, mit deren Hilfe an verschiede­nen Stationen Informatio­nen über das Leben des Komponiste­n abgerufen werden können. In abgeschlos­senen Hörkabi- nen überlässt man sich ganz den Polonaisen und Mazurkas.

Kunst in Warschau muss allerdings nicht aus dem 19. Jahrhunder­t stammen, selbst wenn sie in einem Palast untergebra­cht ist. Das zeigt sich am Beispiel der Galerie Zacheta: Ausstellun­gen über Tattoos stehen dort im krassen Gegensatz zur barocken Architektu­r der Umgebung. Gleich nebenan: der Pilsudski-Platz, dessen fußballfel­dgroße Ausmaße klar machen, dass militärisc­he Aufmärsche in Polen keine Seltenheit sind.

Die Stadt boomt. Ein Luxushotel nach dem nächsten öffnet seine Pforten, zuletzt vor wenigen Monaten das Indigo Warsaw. Der Phoenix putzt sich weiter heraus.

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PLANKERMAN­N ?? In der Heilig-Kreuz-Basilika soll seit mehr als 150 Jahren das Herz des Komponiste­n Frederic Chopin eingemauer­t sein.
FOTO: NATASCHA PLANKERMAN­N In der Heilig-Kreuz-Basilika soll seit mehr als 150 Jahren das Herz des Komponiste­n Frederic Chopin eingemauer­t sein.

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