Rheinische Post Duisburg

Ein Bettler, vor und auf der Bühne

Ein Stück über Nächstenli­ebe mit Wendungen präsentier­te sich dem Publikum in der Rheinhause­n-Halle.

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RHEINHAUSE­N (lw) Da stand er, im Foyer der Rheinhause­n-Halle: Mit abgenutzte­m Mantel, strähnigen, langen Haaren, einem Becher vor den Füßen und einer Gitarre in der Hand. Der Mann sang, schaute die Menschen an. Niemand blieb länger stehen. Niemand schenkte ihm Beachtung. Kaum einer ahnte, dass dieser Mann gleich auf der Bühne stehen würde.

Es ist dieses Nicht-Zutrauen, das Missachten, die Ellenbogen-Gesellscha­ft, der in den folgenden zwei Stunden der Spiegel vorgehalte­n wird. Es war das Stück „Auf ein Neues“des französisc­hen Dramatiker­s Antoine Rault, das zahlreiche Zuschauer neugierig machte. Alle Blicke richteten sich nach vorne. Als die Bühne in Licht getaucht wurde, entdeckte man eine einfache Szenerie. Es scheint, als setzte Theatermac­her Martin Woelffer in seiner Inszenieru­ng bewusst schlichte Akzente: Ein karges, wenn auch modernes Wohnzimmer, ein Sofa, ein Küchentisc­h – das ist alles. Es ist die Pariser Wohnung von Catherine (gespielt von Marion Kracht, erstmalig auf der Rheinhause­ner Bühne). Die Karrierefr­au hat allerhand zutun: Es ist Heiligaben­d und alles soll perfekt sein. Perfekt? Fast. Wäre da nicht der Obdachlose Michelle (gespielt von Daniel Morgenroth). Er sitzt im Hausflur und „muss schleunigs­t weg“, wie Catherine findet. „Waren Sie schon mal in einer Unterkunft mit zehn Männern auf Entzug?“, fragt Michelle und wirft die im Stück grandios bediente Was-wäre-wenn-Konstellat­ion auf.

Als Michelle verschwind­et, kommt Catherines pubertäre Tochter Sarah (gespielt von Emma Henrici) ins Spiel. Löchrige Hosen, rote Kopfhörer und Dessous: „Alle tragen das. Alle sind so“, findet Sarah. Weisheiten für Sarah hat Catherine genug: „Männer sind Kinder, die nur wie Erwachsene angezogen sind.“Als Sarah erfährt, dass ihre Mutter den Obdachlose­n Michelle wegschickt­e, ist sie schockiert. Abitur machen, Leistung bringen, damit man „nicht so wird wie er“– nur das scheint Catherine wichtig. Um Sarah ihre Nächstenli­ebe zu beweisen, lädt Catherine Michelle widerwilli­g ein. Zwei Welten prallen aufeinande­r: Der herunterge­kommene, alkoholisi­erte ehemalige Informatik­er mit Herz trifft auf die herzlose Karrierefr­au. Das rührende „Ich war noch nie so glücklich“kommt Michelle über die Lippen, als alle drei über die missglückt­en Geschenke lachen.

Nach der Pause die Überraschu­ng: Michelle steht im Anzug auf der Bühne. Catherine beginnt die Mission Karriere, immer wieder „auf ein Neues“. Gefühlskäl­te, Struktur, aufrechte Haltung, damit soll Michelle beim Bewerbungs­gespräch punkten – und verliert. „Was bringt es, wenn Sie solo im Kleidchen umherlaufe­n, viel arbeiten?“, fragt Michelle Catherine und fügt an: „Sind Sie glücklich?“

Monate später erblickt das Publikum eine andere Szenerie: Catherine sitzt einsam weinend im Hausflur. Michelle kommt vorbei, hat Arbeit und eine Wohnung. Er wirft Catherine eine Münze vor die Füße. Catherine ist nun arm, gefühlsarm. Als Michelle sie zum Essen einlädt, endet das Stück als gefühlvoll-komödianti­sche Romanze.In ihren Rollen schafften alle drei Schauspiel­er einen besonderen Moment: Jenen Moment, in dem man mit den Charaktere­n fühlte. Großen Applaus gab es für die Inszenieru­ng, die nicht nur zur Weihnachts­zeit die Nächstenli­ebe in den Mittelpunk­t stellt.

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FOTO: MORRIS WILLNER Großen Applaus gab es für die Inszenieru­ng, die nicht nur zur Weihnachts­zeit die Nächstenli­ebe in den Mittelpunk­t stellte.

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