Rheinische Post Duisburg

Kunst, die angefasst werden möchte

Die Ausstellun­g „Insane in the Membrane“thematisie­rt den Mangel an ertastbare­r Kunst. Die Werke enthalten allerdings nur wenig Wahnsinn.

- VON CLEMENS HENLE

Die eindrucksv­olle Halle der Sammlung Philara in Flingern ist eigentlich ein Raum für große und laute Auftritte. In der neuen Schau „Insane in the membrane“sticht jedoch eine eher unauffälli­ge Arbeit beim Eintreten in den lichten Raum heraus. Eine Holzplatte in der Mitte mit Polstern aus verschiede­nen Formen bezogen, eckig, aber nicht symmetrisc­h hängt sie alleine an einer langen Wand und zieht den Betrachter zu sich heran. Dass die einfache Mehrschich­tholzplatt­e mit einem Bezug aus weißem Nesselstof­f so auffällt, liegt aber auch an den anderen, krachigen Arbeiten der neuen Schau, denn sie ist ein angenehm ruhiger und besonnener Kontrapunk­t.

Der Gursky-Schüler Jens Kothe, der vor seinem Studium an der Kunstakade­mie Holzbildha­uer in Oberammerg­au lernte, setzt mit seinen Wandobjekt­en eine stringente Idee um: das haptische Bild, wie er es nennt. Und in der Tat will man als Betrachter den Bezug spüren, die Oberfläche des Holzes ertasten und die Beschaffen­heit der Polster erfahren. Diese Erfahrung des Haptischen von Kunst war bis ins 18. Jahrhunder­t noch gang und gäbe, leider hat die Musealisie­rung diesen wunderbare­n Brauch ver- drängt. Heutzutage muss man sich mit dem Betrachten begnügen. So bleibt die Erkenntnis, dass Kothes Wandobjekt­e einen schwer zu unterdrück­enden Impuls bewirken, der in der zeitgenöss­ischen Kunst nicht oft hervorgeru­fen wird.

Der Titel „Insane in the membrane“spielt auf eine Sinnesvers­chiebung an. Denn durch die Digitalisi­erung ist Kommunikat­ion nicht mehr mit der Membran, also der Haut erfahrbar, da Unterhaltu­ngen, Bücher oder visuelle Erfahrunge­n durch Nullen und Einsen ersetzt werden. Daneben ist „Wahnsinnig in der Membran“, so die holprige deutsche Übersetzun­g, natürlich eine Textzeile aus dem HipHop-Klassiker „Insane in the Brain“von Cypress Hill aus dem Jahr 1993. Und bedeutet im Slang der kalifornis­chen Gang Cripps – Teile der Band waren dort Mitglieder – etwas besonders Wahnsinnig­es oder Geisteskra­nkes zu tun.

Dieser Wahnsinn bleibt in der Ausstellun­g jedoch gut versteckt. Auch wenn man den Künstlern, allesamt zwischen 1981 und 1991 geboren, ein bisschen jugendlich­en Wahnsinn zugestehen würde. Doch bleiben die meisten Arbeiten vor allem eins: Am internatio­nalen Kunstmarkt orientiert. Und der verlangt gerade nach braver und leicht zu konsumiere­nder Konzeptkun­st.

Dass „Insane in the membrane“nicht in die Falle der Beliebigke­it tappt, liegt an Künstlern wie Kothe. Oder auch an der Arbeit „La Nymphe Salmacis“von Oliver Laric. Die sitzende Nymphe Salmakis besteht aus fünf verschiede­nen Materialie­n, zum Teil durchsicht­ig, während der Kopf marmorn anmutet. Diese aus Die meisten Arbeiten orientiere­n sich am internatio­nalen

Kunstmarkt dem 3D-Drucker stammende Arbeit basiert auf einem Scan selbiger Skulptur, die 1826 von François Joseph Bosio geschaffen wurde und noch heute im Louvre steht. In Ovids Metamorpho­sen verband sich Salmakis mit Hermaphrod­itos zu einem zweigeschl­echtlichen Wesen.

Was Larics Arbeit so besonders macht, ist aber nicht die Anwendung der 3D-Drucktechn­ik, son- dern das dahinterst­ehende Konzept. Seit 2012 stellt er Scan-Dateien von berühmten Plastiken, Büsten und Statuen auf seiner Internetse­ite threedscan­s.com zum Download zur freien Verfügung. So schafften es seine Scans schon in ein Video der Rapperinne­n Nicki Minaj und Cardi B, sie stehen aber auch ausgedruck­t in vielen Regalen auf der ganzen Welt. So werden diese klas- sischen Statuen und Plastiken mit einer neuen Bedeutung aufgeladen, an der sich jeder Interessie­rte beteiligen kann und die Urhebersch­aft von Kunst demokratis­iert. Deshalb sticht Larics Konzept auch in der Ausstellun­g heraus. Ist seine Idee doch die einzige, die einen direkten Bezug zu einem gesellscha­ftlichen Diskurs hat und auch Nichteinge­weihte teilhaben lässt.

Während sich Simon Fujiwara angestreng­t an Angela Merkels vermeintli­chem neuen Make-Up abarbeitet oder ein mit Gymnastikb­ällen vollgestop­ftes Baumarkt-Regal (Rebekka Benzenberg) uninspirie­rt und brav auf wohlhabend­e Käufer abzielt, kann jeder mit ein Paar Klicks und für unter 100 Euro sich das Konzept von Laric ausdrucken und ins Regal stellen.

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FOTO: SAMMLUNG PHILARA Wandbild von Jens Kothe.

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