„Springt ab Freunde, wir sind getroffen!“
Am 12. Dezember 1944 wird ein britischer Bomber über dem Wildpark abgeschossen, vier der sieben Besatzungsmitglieder überleben den Absturz nicht. Thomas Boller hat die Biografien dieser Männer recherchiert – und schreibt darüber jetzt ein Buch.
LUDENBERG Es ist kurz nach 19 Uhr an diesem 12. Dezember 1944, als der britische Lancaster-Bomber auf dem Heimflug ins Visier eines deutschen Nachtjägers gerät. Kurz zuvor hat der alliierte Flieger seine tödliche Fracht über den Essener Krupp-Werken abgelassen, noch sieben Einsätze hätte die Besatzung hinter sich bringen müssen, dann wäre sie vom aktiven Flugdienst befreit worden. Doch jetzt verlässt sie das Glück, ein Treffer, das Flugzeug gerät in Brand, von den sieben Männern an Bord werden vier den Absturz über dem Wildpark in Ludenberg nicht überleben, die anderen Drei geraten in deutsche Kriegsgefangenschaft.
„An Bord müssen sich noch dramatische Szenen abgespielt haben. Im brennenden Flieger stand der neuseeländische Pilot auf dem Sitz und hat versucht, das Flugzeug halbwegs auf Kurs zu halten, damit die Kameraden sich rechtzeitig mit dem Fallschirm retten konnten“, berichtet Thomas Boller. „Springt ab Freunde, wir sind getroffen“, soll Reginald Veitch noch gerufen haben. Und so könnte auch der Titel des Buches lauten, das Boller über diese Episode des Zweiten Weltkriegs geschrieben und inzwischen so gut wie abgeschlossen hat, „es ist zumindest mein Arbeitstitel“. Er hat versucht, die Biografien aller Beteiligter so minutiös wie möglich zu recherchieren, ohne die Hintergründe, die politischen, militärischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge zu vernachlässigen.
Dass jetzt kurzfristig noch ein weiteres Kapitel hinzukam, lag an einem glücklichen Zufall: Über ein Facebook-Forum kam Boller in Kontakt mit der Tochter des damaligen Navigators, der den Absturz über- lebt hatte – und besuchte diese nun zusammen mit seiner Freundin in Wales. Er traf Heather Pope in einem Hotel, „wir waren beide sehr nervös“, sagt der Autor, „aber das hat sich relativ schnell gelegt“. Jedenfalls trug die 77-Jährige dazu bei, dass weitere wichtige Wissenslücken geschlossen werden konnten. Und Boller hat viel über den Menschen Harold Parry erfahren: „Er war Lehrer, konnte seinen Beruf nach dem Krieg wieder ausführen. Er kam extrem abgemagert aus der Kriegsgefangenschaft an der Ostsee zurück, dennoch hatte er eigentlich keine Animositäten gegenüber Deutschen. Allerdings hat er zu Hause auch wenig über den Krieg erzählt – wie so viele“, rekapituliert Boller. Besonders tragisch: Bei der Hochzeit des Besatzungsmitglieds Jack Kenworthy sollte eigentlich der Pilot, Reginald Veitch, der Trauzeuge sein, für den Toten sprang dann der Navigator, Harold Parry, ein.
Die Faszination an diesem historischen Ereignis nahm für Boller seinen Anfang mit dem Fund eines unscheinbaren Wrackteils aus verwittertem Metall in einem Gehege des Wildparks, nachdem der Absturz des Bombers fast sieben Jahrzehnte komplett in Vergessenheit geraten war. Archäologische Untersuchungen brachten weitere Trümmerteile zum Vorschein, „sogar ein Feuerlöscher war darunter“, berichtet der 46-Jährige, der eigentlich in der Qualitätssicherung für einen Automobilzulieferer arbeitet. Neben seinem grundsätzlich historischem Interesse elektrisiert ihn aber auch die Luftfahrtarchäologie im Allgemeinen. „Im Wildpark, das war nicht meine erste Flugzeugabsturzstelle“, sagt Boller.
Großen Raum in seinem Buch wird die Auswertung von mehr als 40 Briefen des kanadischen Heck- schützen nach Hause einnehmen. „Je weiter die Korrespondenz fortschreitet, umso deutlicher wird, wie sehr er die Gewalt des Krieges unterschätzt hat und den verzweifelten Wunsch hegt, dass seine Einsatzzeit baldmöglichst vorbei sei. Seinen letzten Brief schreibt er einen Tag vor dem Absturz, er bleibt unvollendet“, sagt der Gerresheimer. Dass er aber auch viele Nachfahren der damaligen Besatzung getroffen oder zumindest mit ihnen gesprochen hat, ihnen etwas darüber erzählen konnte, wie sich der Absturz ereignet hat, dass daraus richtige Freundschaften entstanden sind, „damit hätte ich vorher so in dieser Form nicht gerechnet“. Im kommenden Jahr, zum 75. Jahrestag des Absturzes, hofft Thomas Boller sein Buch veröffentlichen zu können.