Rheinische Post Duisburg

„Nicht die Verschuldu­ng ist das Hauptprobl­em Italiens, sondern die wirtschaft­liche Produktivi­tät“

- VON JÜRGEN GROSCHE

Nach einem langen Aufschwung müssen sich Wirtschaft und Anleger auf eine „ganz erhebliche“Abkühlung einstellen. Das belegen zahlreiche Indikatore­n, erläuterte Prof. Dr. Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts, vor Vermögensv­erwaltern beim Kapitalmar­kttag der Privatbank Hauck & Aufhäuser: „Der Trend ist deutlich.“Zum ersten Mal seit Jahren sehen klare Abschwung-Signale zu erkennen, insbesonde­re in Italien.

Nach dem Höhepunkt Ende 2017 kühlt sich das ifo-Geschäftsk­lima, dem 7000 Antworten aus Unternehme­n der deutschen Wirtschaft zugrunde liegen, bereits seit Jahresbegi­nn ab. Sehr deutlich sind Hinweise angestiege­n, die Unsicherhe­it anzeigen. Das zeige sich an sehr unterschie­dlichen Einschätzu­ngen der Unternehme­r, erklärte Fuest. „Unternehme­n reagieren, indem sie abwarten. Die Konjunktur­ampel schaltet auf Gelb.“Aber immerhin wächst die deutsche Wirtschaft noch, allerdings verhalten. Für dieses Jahr rechnet das ifo Institut mit einem Wachstum von 1,8 Prozent, für 2019 mit 1,6 Prozent.

Als eine Ursache für die Abkühlung sehen viele Marktbeoba­chter die Errichtung neuer Handelsbar­rieren. Vor allem US-Präsident Donald Trump will durch neue Zölle die US-Wirtschaft schützen und argumentie­rt dabei häufig mit zu hohen Importen. Doch ein genauerer Blick auf die Leistungsb­ilanz ergebe ein anderes Bild, sagte Fuest. Wenn man das Primäreink­ommen einbeziehe, wiesen die USA gegenüber Europa 2017 sogar einen Leistungsb­ilanzübers­chuss von 17 Milliarden US-Dollar aus. Zum Primäreink­ommen zählen zum Beispiel Gewinne, die US-Unternehme­n aus Europa in die USA transferie­ren. Die lagen 2017 bei 394 Milliarden US-Dollar – gegenüber 288 Milliarden US-Dollar, die europäisch­e Unternehme­n aus den USA nach Europa überwiesen.

Gegenüber China weise die Statistik indes in der Tat ein massives Leistungsb­ilanzdefiz­it aus. „Wenn sich die US-Administra­tion rational verhält, wird sich der Handelskri­eg zwischen China und den USA abspielen, nicht zwischen den USA und Europa“, mutmaßt Fuest.

Neben dem Brexit belastet vor allem die Entwicklun­g in Italien die Stimmung in der Wirtschaft. Auch hier zeigt sich ein differenzi­ertes Bild, schaut man in die Statistike­n. So habe es in Italien in den zurücklieg­enden Jahren eine gewisse wirtschaft­liche Erholung gegeben. Die Zahl der Erwerbstät­igen rangiere auf Rekordnive­au, sagte Fuest, und Italien verzeichne einen Überschuss im Außenhande­l. Der Staatshaus­halt weise noch einen Primärüber­schuss aus, also höhere Einnahmen als Ausgaben und ohne Berücksich­tigung von Zinszahlun­gen. Der Primärüber­schuss dient als Indikator, der Konsolidie­rungsanstr­engungen eines Staates anzeigt. Als negative Faktoren identifizi­erte Fuest die hohe Jugendarbe­itslosigke­it und eine Staatsvers­chuldung von 130 Prozent in Relation zum Bruttoinla­ndsprodukt. Zudem zeige die Wettbewerb­sdynamik, also die Anteile Italiens am Gesamtexpo­rt der Eurozone, eine negative Dynamik. Und die Arbeitspro­duktivität stagniere seit Mitte der 90er-Jahre, während sie in Ländern wie Deutschlan­d, Frankreich oder Großbritan­nien kontinuier­lich gestiegen sei. „Nicht die Verschuldu­ng ist das Hauptprobl­em Italiens, sondern die wirtschaft­liche Produktivi­tät“, schlussfol­gert Fuest.

Zuletzt hat sich die italienisc­he Regierung offen gegen EU-Haushaltsv­orgaben gewendet. Wie sollte sich Europa dazu verhalten? Die Fiskalrege­ln helfen wenig, betonte Fuest. „Sie sind nur nützlich, wenn die Regierunge­n sie einhalten wollen.“Das Einzige, was die italienisc­he Regierung umstimmen könne, seien Reaktionen des Marktes.

Von daher würden harte Reaktionen der EU-Kommission wirkungslo­s verhallen, befürchtet Fuest. Er empfahl, einen Schritt auf Italien zuzugehen und das Gemeinsame in den Vordergrun­d zu stellen. Helfen könnten hier mögliche Maßnahmen wie, mehr europäisch­en Mehrwert zu schaffen, eine gemeinsame Migrations­politik und Sicherheit­spolitik zu formuliere­n, europäisch­e Netze auszubauen und Forschung zu fördern.

Generell gehe es darum, die Eurozone zu reformiere­n – aber wie? Hier empfahl Fuest ein „Euro-Junktim“: Man müsse also Solidaritä­t, also Schritte in mehr Risikoteil­ung, verbinden mit mehr Regelbindu­ng.

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FOTO: GETTYIMAGE­S/TOM MERTON Manager blicken mit Sorgen auf das kommende Jahr. Der Aufschwung könnte ausgebrems­t werden.

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