„Nicht die Verschuldung ist das Hauptproblem Italiens, sondern die wirtschaftliche Produktivität“
Nach einem langen Aufschwung müssen sich Wirtschaft und Anleger auf eine „ganz erhebliche“Abkühlung einstellen. Das belegen zahlreiche Indikatoren, erläuterte Prof. Dr. Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts, vor Vermögensverwaltern beim Kapitalmarkttag der Privatbank Hauck & Aufhäuser: „Der Trend ist deutlich.“Zum ersten Mal seit Jahren sehen klare Abschwung-Signale zu erkennen, insbesondere in Italien.
Nach dem Höhepunkt Ende 2017 kühlt sich das ifo-Geschäftsklima, dem 7000 Antworten aus Unternehmen der deutschen Wirtschaft zugrunde liegen, bereits seit Jahresbeginn ab. Sehr deutlich sind Hinweise angestiegen, die Unsicherheit anzeigen. Das zeige sich an sehr unterschiedlichen Einschätzungen der Unternehmer, erklärte Fuest. „Unternehmen reagieren, indem sie abwarten. Die Konjunkturampel schaltet auf Gelb.“Aber immerhin wächst die deutsche Wirtschaft noch, allerdings verhalten. Für dieses Jahr rechnet das ifo Institut mit einem Wachstum von 1,8 Prozent, für 2019 mit 1,6 Prozent.
Als eine Ursache für die Abkühlung sehen viele Marktbeobachter die Errichtung neuer Handelsbarrieren. Vor allem US-Präsident Donald Trump will durch neue Zölle die US-Wirtschaft schützen und argumentiert dabei häufig mit zu hohen Importen. Doch ein genauerer Blick auf die Leistungsbilanz ergebe ein anderes Bild, sagte Fuest. Wenn man das Primäreinkommen einbeziehe, wiesen die USA gegenüber Europa 2017 sogar einen Leistungsbilanzüberschuss von 17 Milliarden US-Dollar aus. Zum Primäreinkommen zählen zum Beispiel Gewinne, die US-Unternehmen aus Europa in die USA transferieren. Die lagen 2017 bei 394 Milliarden US-Dollar – gegenüber 288 Milliarden US-Dollar, die europäische Unternehmen aus den USA nach Europa überwiesen.
Gegenüber China weise die Statistik indes in der Tat ein massives Leistungsbilanzdefizit aus. „Wenn sich die US-Administration rational verhält, wird sich der Handelskrieg zwischen China und den USA abspielen, nicht zwischen den USA und Europa“, mutmaßt Fuest.
Neben dem Brexit belastet vor allem die Entwicklung in Italien die Stimmung in der Wirtschaft. Auch hier zeigt sich ein differenziertes Bild, schaut man in die Statistiken. So habe es in Italien in den zurückliegenden Jahren eine gewisse wirtschaftliche Erholung gegeben. Die Zahl der Erwerbstätigen rangiere auf Rekordniveau, sagte Fuest, und Italien verzeichne einen Überschuss im Außenhandel. Der Staatshaushalt weise noch einen Primärüberschuss aus, also höhere Einnahmen als Ausgaben und ohne Berücksichtigung von Zinszahlungen. Der Primärüberschuss dient als Indikator, der Konsolidierungsanstrengungen eines Staates anzeigt. Als negative Faktoren identifizierte Fuest die hohe Jugendarbeitslosigkeit und eine Staatsverschuldung von 130 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt. Zudem zeige die Wettbewerbsdynamik, also die Anteile Italiens am Gesamtexport der Eurozone, eine negative Dynamik. Und die Arbeitsproduktivität stagniere seit Mitte der 90er-Jahre, während sie in Ländern wie Deutschland, Frankreich oder Großbritannien kontinuierlich gestiegen sei. „Nicht die Verschuldung ist das Hauptproblem Italiens, sondern die wirtschaftliche Produktivität“, schlussfolgert Fuest.
Zuletzt hat sich die italienische Regierung offen gegen EU-Haushaltsvorgaben gewendet. Wie sollte sich Europa dazu verhalten? Die Fiskalregeln helfen wenig, betonte Fuest. „Sie sind nur nützlich, wenn die Regierungen sie einhalten wollen.“Das Einzige, was die italienische Regierung umstimmen könne, seien Reaktionen des Marktes.
Von daher würden harte Reaktionen der EU-Kommission wirkungslos verhallen, befürchtet Fuest. Er empfahl, einen Schritt auf Italien zuzugehen und das Gemeinsame in den Vordergrund zu stellen. Helfen könnten hier mögliche Maßnahmen wie, mehr europäischen Mehrwert zu schaffen, eine gemeinsame Migrationspolitik und Sicherheitspolitik zu formulieren, europäische Netze auszubauen und Forschung zu fördern.
Generell gehe es darum, die Eurozone zu reformieren – aber wie? Hier empfahl Fuest ein „Euro-Junktim“: Man müsse also Solidarität, also Schritte in mehr Risikoteilung, verbinden mit mehr Regelbindung.