Experten der Raiffeisen Bank International in Wien haben Emerging Markets-Aktien auf „neutral“hochge- stuft
Italien: Zoff mit der EU wegen des problematischen Haushalts. Großbritannien: Der Brexit kommt, die Arbeit ist damit aber längst nicht getan. USA: Der Handelsstreit mit China belastet die internationale Wirtschaft. Alles in allem kann man nicht gerade behaupten, dass es in den klassischen Industrienationen gerade so richtig rund läuft. Das zeigt sich auch bei den großen Indizes. Der deutsche Leitindex Dax hat in den vergangenen drei Monaten etwa neun Prozent eingebüßt, der Nasdaq knapp sieben Prozent, der britische FTSE 100 liegt bei einem Verlust von zehn Prozent, und der Frankreich-Leitindex CAC 40 blickt auf ein Minus von rund sechs Prozent. Und der Euro Stoxx hat ebenso etwa zehn Prozent in den vergangenen drei Monaten verloren.
Daher richtet sich der Blick vieler Investoren (wieder) auf die Emerging Markets, seit die Alte Welt wirtschaftspolitisch zu einem gewissen Unsicherheitsfaktor geworden ist. Freilich: Auch in Brasilien, Saudi-Arabien und Co. steht nicht alles zum Besten. Aber die Entwicklungsampeln in diesen Ländern stehen derzeit größtenteils auf Grün. Das zeigen aktuelle Beispiele, und internationale Investmentprofis wie die von Franklin Templeton weisen auf die Emerging Markets als globalen Wachstumsmotor hin. Experten der Raiffeisen Bank International in Wien haben Emerging Markets-Aktien in der taktischen Anlageempfehlung für die kommenden zwölf Monate auf „neutral“hochgestuft.
Mit Jair Bolsonaro hat ein Kandidat den brasilianischen Präsidentenpalast Palácio da Alvorada erobert, der sich weit rechts im politischen Spektrum positioniert hat. Bei der Wirtschaft ist der neue Präsident sehr beliebt. Schließlich hat sich Bolsonaro klar für Reformen ausgesprochen und will die Wirtschaft fördern. Der kommende Wirtschaftsminister Paulo Guedes, international anerkannter Ökonomieprofessor und Mitbegründer der Investmentbank BTG Pactual, will sich unter anderem für die Rentenreform, niedrigere Zinszahlungen und einen verschlankten, effizienten Staat stark machen.
Den brasilianischen Leitindex Bovespa hat dies beflügelt. Seit Mitte Juni hat er rund 25 Prozent gewonnen. Zu der Rally hatte der Index bereits angesetzt, als die Umfrageergebnisse auf einen wahrscheinlichen Wahlsieg Bolsonaros hindeuteten. Überhaupt hat sich Brasi- lien nach zwei wirtschaftlich schlechten Jahren zuletzt berappelt. Für 2018 erwarten Analysten eine Steigerung des Bruttoinlandsprodukts von rund 2,25 Prozent nach knapp einem Prozent im vergangenen Jahr und massiven Rückgängen 2015 und 2016.
Auch Saudi-Arabien bleibt für renditeorientierte Investoren ein interessantes Pflaster. Das Statistikamt meldet für das erste Quartal 2018 ein reales Plus von 1,2 Prozent im Vorjahresvergleich, der saudi-arabische Leitindex Tadawul All Share Index hat binnen eines Jahres rund zehn Prozent an Wert gewonnen. In der Spitze waren es im Sommer etwa 20 Prozent. Und auf der Wirtschaftskonferenz „Future Investment Initiative“in Riad hat Saudi-Arabien zudem Verträge in den Bereichen Öl, Gas und Verkehr im Wert von mehr als 50 Milliarden US-Dollar vereinbart. Und das trotz des offenbar offiziell beauftragten Mordes am Journalisten Jamal Ahmad Khashoggi am 2. Oktober im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul. International wurde das natürlich scharf kritisiert und schnelle und umfassende Aufklärung gefordert. Wirtschaftspolitische Konse- quenzen? Keine: Die USA setzen Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien fort, auch die Bundesrepublik liefert aufgrund verschiedener Ausnahmeregelungen Waffen an das Königreich – obwohl dies im Koalitionsvertrag der Großen Koalition ausdrücklich ausgeschlossen wird.
Wer es politisch etwas ruhiger mag, blickt aktuell nach Vietnam. Der Vietnam Ho Chi Minh Stock Index (VN), also der führende Index des Landes, hat seit Herbst 2013 seinen Kurs fast verdoppelt – von rund 500 auf zuletzt etwa 1000 Punkte. 2017 legte der VN-Index auf Jahressicht um fast 50 Prozent zu und zählte damit zu den erfolgreichsten Indizes weltweit. Im Frühling verlor er zwar in kurzer Zeit rund zehn Prozent und passte sich damit dem Trend der Aktienmärkte in den Emerging Markets an: Der MSCI Emerging Markets Index war von seinem Höchststand im Januar 2018 bis Juli um rund 16 Prozent gefallen.
Laut VinaCapital, einer der führenden vietnamesischen Investmentgesellschaften, ist dies kein Grund zur Beunruhigung. Vietnam habe weiter eine sehr stabile ökonomische Basis und im Gegensatz zu vergleichbaren Märkten wie Türkei oder Argentinien nicht mit politischer Instabilität zu kämpfen. Damit bleibt das Land interessant für langfristig orientierte Investoren.