Bei Bayer wachsen Wut und Angst
Die Schließung des nagelneuen Werks in Wuppertal ist ein Menetekel für Bayer und den Forschungsstandort NRW. Der Abbau von 12.000 Stellen löst konzernweit Sorgen aus. Lanxess winkt bei Currenta ab.
LEVERKUSEN Es sollte eine der besten Biotech-Fabriken Europas werden. 500 Millionen Euro investierte Bayer in Wuppertal in die Herstellung des Gerinnungswirkstoffs „Faktor VIII“, der Blutern ein normales Leben ermöglicht. Zugleich sollte es eine Erfolgsgeschichte für den Standort Deutschland werden. Denn der Wirkstoff war vor über 15 Jahren in Wuppertal entwickelt, wegen deutscher Vorbehalte aber zunächst im kalifornischen Berkeley produziert worden. 2015 verkündete Bayer, „Faktor VIII“heimzuholen und in Wuppertal eine zweite Produktion aufzubauen. „Eine der größten Investitionen“, jubelte der Konzern. Damit wollte er auch schwindende Umsätze beim Klassiker Kogenate auffangen. Im Sommer 2018 lief der Probebetrieb an. Doch nun: aus und vorbei. Im Zuge des Kahlschlags schließt Bayer das nagelneue Werk mit 350 Mitarbei- tern. Konkurrenzprodukte hätten den Wettbewerb verschärft, daher wolle man die Herstellung in Berkeley konzentrieren, sagte BayerChef Werner Baumann.
Der Belegschaft ist empört: „Die Betriebsräte verurteilen die Vernichtung von KnowHow und hoch-innovativen Arbeitsplätzen. Wir halten eine derartige Kürzung für den ungeeignetsten Weg eines ,Forschungsunternehmens’, zu besseren Ergebnissen zu kommen“, so Michael Schmidt-Kießling, Betriebsrats-Chef in Wuppertal. Am Montag gehen die Mitarbeiter auf die Straße, bevor Baumann ihnen per Videokonferenz den Kahlschlag erläutert.
Das Schicksal des Werks zeigt exemplarisch, wie heikel Bayers Lage ist. Für Unruhe in der Belegschaft sorgt auch, dass Bayer in der Pharma-Forschung 900 Stellen streichen will. Bayers größte Forschungsstandorte sind Wuppertal, wo man an Arzneien für Kardiologie, Häma- tologie und Biologicals forscht, und Berlin (Onkologie, Gynäkologie). Bayer will die interne Forschung reduzieren und mehr auf externe Partner setzen. Was für ein Signal. Der Konzern kürzt in der Forschung, die eigentlich seine DNA ausmacht. NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) mahnte: „Die Entscheidungen treffen das Herz von Bayer. Wir setzen uns dafür ein, dass NRW auch künftig ein wichtiger Forschungsstandort für Bayer bleibt.“
Von Beginn an hatten Pharma-Mitarbeiter die Sorge, dass sie die Zeche für den Monsanto-Deal zahlen. Baumann wies das zurück und betont nun, der Umbau habe nichts mit der Übernahme zu tun, sondern solle Bayer „agiler“machen.
In Verwaltung und Querschnittsbereichen will Bayer 5500 bis 6000 Jobs kappen. Groß sind die Sorgen in Leverkusen, wo die Zentrale und viele Dienstleister sitzen. Dort sitzt auch Currenta, die mit 5200 Mitar- beitern die Chemieparks in Leverkusen, Dormagen und Krefeld betreibt. Bayer will den Anteil von 60 Prozent verkaufen. Als Interessenten werden Finanzkonzerne wie Macquarie und EQT gehandelt. Die übrigen 40 Prozent gehören Lanxess. „Wir haben derzeit keine Pläne, unseren Currenta-Anteil zu verändern“, so ein Lanxess-Sprecher.
„Bayers Umbauplan hat Licht und Schatten“, sagt Sven Diermeier, Analyst bei Independent Research. „Auf der einen Seite wird der Konzern schlanker und profitabler. Auf der anderen Seite belasten die milliardenschweren Wertberichtigungen. Daneben fallen über vier Milliarden Euro an Sonderaufwendungen an.“Das Geld braucht Bayer auch für Abfindungen. Kündigungen sind in Deutschland bis 2025 ausgeschlossen. Diermeier: „Bayer wird jetzt noch abhängiger von der Agrochemie, die mit vielen Risiken behaftet ist, wie die Glyphosat-Prozesse in den USA zeigen.“