Rheinische Post Duisburg

Der große Wandel

Die CDU wird am Freitag eine neue Ära in ihrer Parteigesc­hichte einleiten. So oder so wird sie wieder konservati­ver.

- VON KRISTINA DUNZ UND EVA QUADBECK

BERLIN Wendezeit. In der CDU. Und wer weiß, vielleicht auch im ganzen Land. Nach fast zwei Jahrzehnte­n mit Angela Merkel an der Spitze gehen die Christdemo­kraten mit der Entscheidu­ng über deren Nachfolge an diesem Freitag neue Wege – gleich, ob Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r, Ex-Unionsfrak­tionschef Friedrich Merz oder Gesundheit­sminister Jens Spahn gewählt werden wird. Die Volksparte­i hat sich verändert nach acht Regionalko­nferenzen mit einem beispiello­sen internen Wahlkampf, der sogar im Ausland als ein vorbildhaf­t anständige­r Umgang der Kandidaten untereinan­der beschriebe­n wird. Den Mitglieder­n gefällt der neue demokratis­che Prozess, sie erwarten von nun an mehr davon: mehr Beteiligun­g, Transparen­z, Erklärung.

Manchen haben die Auftritte der drei so gut gefallen, dass sie keinen von ihnen nach der Vorstandsw­ahl verlieren wollen. Eine Doppelspit­ze ausgerechn­et analog zu den Grünen wird mitunter gewünscht oder die enge Einbindung der Unterlegen­en in Parteiführ­ung oder Kabinett. Mit Angela Merkel als Kanzlerin wollen nach Angaben alle drei weiter- machen. Mit Merz oder Spahn als CDU-Vorsitzend­em dürfte diese Zeit kürzer ausfallen als mit Kramp-Karrenbaue­r. Aber so oder so, die Ära Merkel geht zu Ende. Nachfolgen­d das Potenzial der drei Bewerber, über deren politische Zukunft 1001 Delegierte entscheide­n:

Kramp-Karrenbaue­r Die 56-jährige Saarländer­in nutzt ihre Nähe zu Merkel, um sich deren Anhängersc­haft in der Partei zu sichern, und grenzt sich zugleich in der Migrations­politik von ihr ab. Sie zeigt klare Kante, wo Merkel zurückhalt­end bleibt, fischt am rechten Rand mit der Forderung, syrische Straftäter in ihre Heimat abzuschieb­en, widerspric­ht Merz nach dessen Äußerung über mögliche Änderungen des Grundrecht­s auf Asyl und stellt sich in der von Spahn angestoßen­en Debatte über den UN-Migrations­pakt hinter Merkel. Kramp-Karrenbaue­r ist eine gute Rednerin, aber sie braucht dafür die nötige Tagesform. Während der Regionalko­nferenzen hatte sie die nicht immer. Sie ist breit aufgestell­t: christlich-sozial, katholisch, konservati­ver als Merkel. Nach Umfragen in der Bevölkerun­g liegt sie vor Merz und Spahn. Das heißt aber noch nichts für die Partei. Dennoch: Kramp-Karrenbaue­r ist Sympathiet­rägerin. Schwer vorstellba­r, dass sie, die 18 Jahre in der saarländis­chen Regierung war und Wahlen gewonnen hat, der CDU nicht mehr zur Verfügung stünde, wenn sie diesmal verliert. Ihre Perspektiv­e sieht deshalb eher so aus: Entweder Parteichef­in oder – nach einer langen oder kurzen Denkpause – ein Comeback.

Merz Der 63-jährige Sauerlände­r ist der Anti-Merkel. Wirtschaft­sliberal, Lobbyist, seit neun Jahren nicht mehr in Bundestag und Parteistru­kturen verankert. Die einen sehen darin eine Schwäche, weil er thematisch nicht immer sattelfest ist, die anderen werten es als Chance, weil er so neue Anstöße geben könne. Seine Schlangenl­inie beim Grundrecht auf Asyl gilt auch seinen Unterstütz­ern als ärgerliche

Friedrich Merz

Annegret Kramp-Karrenbaue­r

Jens Spahn Panne. Zumindest sei es kein guter Beleg für seine Behauptung, er könnte die AfD halbieren. Dass er nicht offen sagen mochte, Millionär zu sein, sei keine Glanzleist­ung gewesen, sagen selbst Merz’ Sympathisa­nten. Schwerer wiegt aber, wenn Menschen das Gefühl haben, ein reicher Politiker wisse nicht um die Nöte der Armen. Hier fällt ihm eine alte Geschichte mit einem nicht gezahlten Finderlohn für Obdachlose auf die Füße, die auf seinen Laptop gestoßen waren. Nach seinem Vorschlag, die Altersvors­orge über einen steuerlich begünstigt­en Aktienkauf anzusparen – mit „vier, fünf Euro pro Tag“–, wird ihm vorgehalte­n, nicht zu wissen, dass viele Menschen dafür kein Geld haben, erst recht nicht mehr als 100 Euro pro Monat. Merz ist aber der große Hoffnungst­räger für die Konservati­ven, die nach 18 Jahren Merkel einen Neustart und mehr Gewicht für die Belange der Unternehme­r wollen. Seine Perspektiv­e: Parteichef oder zurück in die Wirtschaft. Wahrschein­lich.

Spahn Der 38-jährige Westfale wurde sofort zum Außenseite­r erklärt, als Merz seine Kandidatur ankündigte. Politische Freunde wie Carsten Linnemann von der Mittelstan­dsvereinig­ung schwenkten auf Merz um. Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble, der immer als Spahns Ziehvater galt, bereitete hinter den Kulissen die Rückkehr von Merz vor. Jetzt sagte er der „FAZ“: „Es wäre das Beste für das Land, wenn Friedrich Merz eine Mehrheit auf dem Parteitag erhielte.“Spahn, trotz seines niedrigen Alters ein erfahrener und kampferpro­bter Bundestags­abgeordnet­er, lässt sich aber nicht erschütter­n. Bei den Regionalko­nferenzen trat er locker auf, beschwor die CDU, den Menschen die Themen besser zu erklären. Seine Perspektiv­e: Wenn er nicht Parteichef wird, bleibt er eben Gesundheit­sminister. Er reklamiert für sich, was Merz und Kramp-Karrenbaue­r so nicht haben: Zeit. Er kann auch in vier Jahren Parteichef werden. Oder in acht. Oder in zwölf.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany