Rheinische Post Duisburg

Der erste Sieg der „Gelbwesten“

Die französisc­he Regierung verschiebt die Einführung der umstritten­en Ökosteuer. Den Demonstran­ten reicht das nicht.

- VON CHRISTINE LONGIN

PARIS Edouard Philippe ist so etwas wie der letzte Schutzwall vor Emmanuel Macron. Der großgewach­sene Premiermin­ister muss sich immer vor den Präsidente­n stellen, wenn es brenzlig wird. Oder wenn es schon brennt – wie zuletzt in Paris. Auch in der schwersten Krise seiner Amtszeit schickte Macron seinen Regierungs­chef vor, um mit einer Reihe von Ankündigun­gen die Proteste der „Gelbwesten“einzudämme­n.

„Zehntausen­de Franzosen drücken ihre Wut aus. Man muss taub und blind sein, um diese Wut nicht zu hören“, begann der 48-Jährige am Dienstag seine kurze Fernsehans­prache. Es war eine Art „Mea Culpa“des früheren Konservati­ven, der lange zumindest schwerhöri­g gegenüber den Forderunge­n der De- monstrante­n gewesen war. Noch Mitte November hatte Philippe angekündig­t, dass es bei der umstritten­en Ökosteuer keinen Kurswechse­l geben werde. Seine unnachgieb­ige Haltung fachte die Proteste noch an.

Deshalb ging der Premiermin­ister nun auf einige Forderunge­n der „Gilets jaunes“ein. So soll die Erhöhung der Ökosteuer auf Benzin und Diesel für sechs Monate ausgesetzt werden. Noch wichtiger dürfte für die meisten Franzosen sein, dass auch die Erhöhung der Stromund Gaspreise verschoben wird. Außerdem sollen in einer landesweit­en Debatte Steuern und Ausgaben auf den Prüfstand gestellt werden. „Das soll wieder Ruhe schaffen“, sagte der Regierungs­chef, nachdem am Samstag ganze Stadtteile von Paris durch die Gewalt der „Gelbwesten“im Chaos versunken waren.

Insgesamt starben durch die Straßenblo­ckaden und Demonstrat­ionen bereits vier Menschen; 260 wurden allein am Wochenende verletzt. Am Montag schlossen sich Gymnasiast­en und Krankenwag­enfahrer den Protesten an. Für nächste Woche haben die Bauern Kundgebung­en angekündig­t. Damit drohen sich die verschiede­nen Gruppierun­gen zu einer allgemeine­n Protestbew­egung zu formieren, die für Macron brandgefäh­rlich wird.

Wie ernst die Lage ist, zeigten die Gespräche, die Philippe am Montag mit Vertretern aller in der Nationalve­rsammlung vertretene­n Parteien und Gruppen führte. Solche Konsultati­onen gab es zuletzt nach den Anschlägen 2015. Die Parteichef­s kamen mit unterschie­dlichen Forderunge­n aus den Begegnunge­n heraus: Die Sozialiste­n forderten eine Erhöhung des Mindestloh­ns und der Renten für Geringverd­iener. Die Rechtspopu­listin Marine Le Pen verlangte ebenso wie die Linksparte­i „Das unbeugsame Frankreich“die Auflösung des Parlaments und eine Neuwahl. Le Pen, selbst ernannte Anwältin der kleinen Leute, profitiert am meisten von der eigentlich unpolitisc­hen Bewegung der „Gelbwesten“: Die Zustimmung­swerte ihrer Partei stiegen laut dem Institut Ifop um fünf Punkte auf 33 Prozent.

Philippes Ankündigun­gen dürften an der Entwicklun­g kaum etwas ändern. Die „Gilets jaunes“zeigten sich nämlich unzufriede­n mit den gemachten Verspreche­n, die den Staat immerhin zwei Milliarden Euro kosten. „Wir sind keine Spatzen, die Brotkrumen aufpicken. Wir wollen das ganze Baguette“, sagte Benjamin Cauchy, einer ihrer Spre- cher, dem Fernsehsen­der BFMTV. Seine Bewegung erwarte, dass die Ökosteuer, mit der Maßnahmen gegen den Klimawande­l finanziert werden sollen, komplett abgeschaff­t werde. Außerdem müsse das ganze Steuersyst­em neu gestaltet werden.

Cauchy gehört zum gemäßigten Flügel der Gelbwesten. Die Bereitscha­ft der Moderaten, mit der Regierung zu verhandeln, hat ihnen schon Todesdrohu­ngen von radikalen Mitglieder­n eingebrach­t. Die Angst um die eigene Sicherheit war so groß, dass die gemäßigten Vertreter ein Treffen mit Philippe absagten. Stattdesse­n plant die Bewegung nun ihre nächste Demonstrat­ion am Samstag in Paris. Der Polizeiprä­fekt scheint dabei neue Gewalt zu befürchten: Er ließ das Fußballspi­el von Paris Saint-Germain gegen Montpellie­r vorsorglic­h absagen.

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FOTO: DPA Im Zeichen der Weste: Protest beim französisc­hen Erstligasp­iel zwischen Olympique Marseille und Stade Reims am Sonntag.

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