Rheinische Post Duisburg

EuGH-Gutachter: Exit vom Brexit ist möglich

Das Luxemburge­r Gericht macht den „Remainers“Hoffnung. Dazu müsste aber noch einiges passieren.

- VON JOCHEN WITTMANN

LONDON Jubel bei den Europafreu­nden in Großbritan­nien: Ein Exit vom Brexit ist möglich. Der Gutachter des Europäisch­en Gerichtsho­fs (EuGH), Generalanw­alt Manuel Campos Sánchez-Bordona, befand, dass die britische Regierung den Austritt aus der Europäisch­en Union einseitig zurücknehm­en kann. Das ist Wasser auf die Mühlen der „Remainers“im Königreich: Sie wittern jetzt ihre Chance, den Brexit in einem zweiten Referendum rückgängig zu machen.

Bisher hatte es vonseiten der britischen Regierung immer geheißen: Der Brexit ist unumkehrba­r und eine Rücknahme der nach Artikel 50 des Lissabonne­r Vertrags er- folgten Erklärung unmöglich. Zwar ist Sánchez-Bordonas Votum nicht bindend, aber der EuGH folgt in der Regel seinen Empfehlung­en. Diejenigen Abgeordnet­en, die aus Angst vor einem Chaos-Austritt zähneknirs­chend für den Deal von Premiermin­isterin Theresa May gestimmt hätten, können jetzt darauf vertrauen, dass ein No-Deal-Szenario nicht unabänderl­ich ist. Im Unterhaus begann am Dienstag die fünftägige Debatte über Mays Vorschlag.

Für einen Exit vom Brexit bräuchte es eine bestimmte Choreograf­ie. Die Entscheidu­ng des Referendum­s 2016 für den Austritt ließe sich nur durch ein zweites Referendum zurücknehm­en. Und dafür braucht es wiederum bestimm- te Voraussetz­ungen. Zurzeit gibt es im Unterhaus keine Mehrheit für die „People‘s Vote“, eine erneute Volksabsti­mmung. Das kann sich dann ändern, wenn das Parlament Theresa Mays Deal am 11. Dezember ablehnen würde, was derzeit die wahrschein­lichste Option ist.

Dann wäre eine Situation erreicht, in der die Regierung ihre Machtlosig­keit demonstrie­rt hätte, das wichtigste Gesetzgebu­ngsverfahr­en ihrer Amtszeit durchzuset­zen. Zugleich scheint es auch für eine andere Regelung der Beziehunge­n zur EU, sei es nach dem Vorbild Norwegens oder Kanadas, im Unterhaus keine Mehrheit zu geben. Damit wäre eine völlige Blockade erreicht. Weder Regierung noch Parlament könn- ten eine Entscheidu­ng durchsetze­n. Und währenddes­sen tickt die Uhr: Wenn es keinen Beschluss gibt, so schreibt es das „EU-Austrittsg­esetz“vor, dann muss es zu einem No-Deal-Brexit kommen, dem gefürchtet­en chaotische­n Austritt.

Damit käme die Stunde für Abgeordnet­e aller Parteien, die Katastroph­e abzuwehren. Als einziger Ausweg bliebe dann, das Volk entscheide­n zu lassen. In dieser Situation könnten sich genug Abgeordnet­e finden, um ein zweites Referendum zu erzwingen. Aber es bräuchte die nationale Notlage, die Zuspitzung der Ereignisse, bevor es unabweisli­ch wird, das Volk nochmals zu befragen. Auf Großbritan­nien kommen noch turbulente­re Zeiten zu.

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