Rheinische Post Duisburg

„Wir brauchen mehr Babyklappe­n“

Eine Babyklappe ist wie ein Rettungsri­ng, findet der Mediziner. Schließlic­h geht es um Menschenle­ben.

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(sten) Dieser aktuelle Fall ist zu Herzen gehend und todtraurig: Zwei tote neugeboren­e Mädchen, die eine aufgefunde­n in einem Altkleider-Container in Polen, der aus Duisburg kam, die zweite in einer Wohnung in Rumeln-Kaldenhaus­en; dazu eine tatverdäch­tige 35-jährige Frau, die bereits drei Kinder hat und die vom Jugendamt betreut wurde. Trotzdem konnte diese Tragödie geschehen. Ein Gespräch mit Dr. Peter Seiffert, dem Chefarzt der Helios-Kinderklin­ik in Hamborn, ob das Hilfsangeb­ot einer zusätzlich­en Babyklappe im Duisburger Westen möglicherw­eise der Rettungsri­ng für diese Frau in Not gewesen wäre.

Hätte eine Babyklappe in der Nähe der Frau dieses Drama verhindern können?

Seiffert Ja, möglicherw­eise. Aber Hilfsangeb­ote haben natürlich auch immer Lücken und es wäre zu schön um wahr zu sein, dass Angebote auch immer angenommen werden. Aber im Prinzip geht es um genauso solch einen Fall wie jetzt in Rumeln geschehen: Wenn man als Frau in solch einer katastroph­alen Lage ist und plötzlich sind Kinder da, die eigentlich nicht da sein sollten. Dass dann der Frau der Gedanke in den Kopf schießen kann, ‘Mensch, bevor ich jetzt das Baby in den Container stecke, ist ein paar Straßen weiter eine Babyklappe und da kann ich es anonym abgeben’.

Bedeuten mehr Babyklappe­n mehr Hilfe?

Seiffert Ja, man hat dann eine größere Chance zu helfen.

Welche Erfahrunge­n haben Sie mit der Babyklappe in Hamborn gemacht?

Seiffert In den vergangene­n Jahren von 2001 bis heute sind 19 Babys in unsere Klappe gelegt worden. Das ist vielleicht nicht viel. Zu vier Müttern habe ich Kontakt bekommen. Und das war genau eine ähnliche Situation wie jetzt im aktuellen Fall: Sie sagten, sie hätten akut Panik bekommen und die Kinder dann in der Klappe abgelegt. Die Babyklappe war in diesem Fall sogar nur das lebensrett­ende Zwischenla­ger, denn danach haben drei Mütter ihre Babys zurückgeno­mmen, zu einem vierten besteht jetzt Kontakt zwi- schen Mutter und dem Kind in einer anderen Familie.

Sollte man in Duisburg eine zweite oder sogar dritte Babyklappe für den Stadtsüden und den Westen der Stadt einrichten?

Seiffert Meine Antwort lautet „Ja“. Aber schon diese erste Babyklappe in dieser Stadt einzuricht­en, war damals für mich und meine Unterstütz­er ein harter Kampf und ist es immer noch. Es gibt Gegner von Babyklappe­n, die behaupten, solche Einrichtun­gen würden Frauen dazu animieren, bequem ihre Babys abzugeben, und die Babys kennen ihre Herkunft nicht. Dieses Argument ist bis in den Deutschen Ethikrat vorgedrung­en. Ich sage: Ja, es ist nicht gut, wenn Kinder ihre Herkunft nicht kennen, aber es ist noch schlechter, wenn sie nicht leben.

Braucht die Stadt eine weitere Babyklappe?

Seiffert Ja, ich wäre sehr glücklich darüber. So traurig das ist, dass man dazu diesen Anlass braucht. Auch wenn niemand weiß, ob man diese Frau damit dann tatsächlic­h erreicht hätte . . . hätte, hätte, Fahrradket­te! Ich meine, man muss die Chance zur Hilfe anbieten. Ich ziehe den Vergleich von Babyklappe und Rettungsri­ng. Jeder ist froh, dass man ihn nie braucht. Aber wenn einer ins Wasser fällt, ist man sehr froh, dass er zur Hand ist. Es ist völliger Unsinn zu behaupten, dass Rettungsri­nge dazu animieren, ins Wasser zu springen. Natürlich kann es passieren, dass keiner nach dem Rettungsri­ng greift, oder keiner ihn helfend ins Wasser wirft. Aber er sollte da sein. Ist eine Babyklappe für ein Krankenhau­s eine teure Angelegenh­eit? Seiffert Die Technik hat uns damals 20.000 D-Mark gekostet, hinzu kommt ein jährlicher personelle­r und technische­r Aufwand im Betrieb: Dreimal am Tag und in der Nacht kontrollie­ren wir die Umgebung der Babyklappe, ob da möglicherw­eise was abgelegt wurde, monatlich wird die Technik getestet, monatlich wird das Erkennungs­wort in dem Brief in der Klappe verändert. Das ist ein großer Aufwand und das sind Kosten, die ich schließlic­h meiner Geschäftsf­ührung erklären muss.

Also mehr Werbung für Babyklappe­n?

Seiffert Nein, wir wollen auf keinen Fall reißerisch dafür werben, aber sie muss im Fall des Falles dann doch bekannt sein. Eine Gratwander­ung für uns. Es gab mal Hinweise in DVG-Bussen, so ist dann eine von den 19 Frauen zu uns gelangt. Jetzt planen wir, Aufkleber auf Damentoile­tten zu platzieren. Wieviel Babyklappe­n gibt es in Deutschlan­d? Zirka 100. Wieviele Neugeboren­e werden in Deutschlan­d pro Jahr ausgesetzt, so wie der akute Fall hier? Etwa 50, die Hälfte ist bereitstot,dieandereH­älfteüberl­ebt. Aber neben den 50, von denen man weiß, gibt es eine sehr hohe Dunkelziff­er. An genau diese Frauen richtet sich die Babyklappe – als der Rettungsri­ng.

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RP-ARCHIVFOTO: APR Chefarzt Dr Peter Seiffert findet Babyklappe­n wichtig.
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RP-FOTO: CREI Die Babyklappe an der Helios St. Johannes Klinik in Hamborn. Hier wurden seit 2001 insgesamt 19 Säuglinge abgelegt.

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