Rheinische Post Duisburg

May übersteht den ersten Sturm

Der Streit um das Brexit-Abkommen eskaliert. Weil Theresa May die Abstimmung über den Deal auf Eis gelegt hat, wollten die Hinterbänk­ler die Premiermin­isterin stürzen. Doch die setzt sich noch einmal durch – vorerst.

- VON JOCHEN WITTMANN

LONDON Die britische Premiermin­isterin Theresa May hat ein Misstrauen­svotum mit 200 zu 117 Stimmen gewonnen. In einer Abstimmung innerhalb der Regierungs­fraktion mussten am Mittwochab­end die Abgeordnet­en der Konservati­ven über das Schicksal ihrer Chefin entscheide­n. Ihren Sieg wird die Premiermin­isterin mit einem lachenden und einem weinenden Auge feiern. Sie hat sich gegen ihre Kritiker durchgeset­zt und kann jetzt laut Parteistat­uten ein ganzes Jahr lang nicht mehr herausgefo­rdert werden. Anderersei­ts ist allein der Putschvers­uch ein Affront für ihre Autorität. May führt eine Minderheit­sregierung an, und jetzt hat ihr mehr als ein Drittel der Fraktion das Vertrauen entzogen. Der Autoritäts­verlust wird es May umso schwerer machen, ihren umstritten­en Brexit-Deal durchs Parlament zu bringen.

Die Nachricht, dass sie sich einem innerparte­ilichen Misstrauen­svotum stellen muss, erreichte Theresa May kurz nachdem sie am Dienstagab­end aus Brüssel zurückgeke­hrt war. Sir Graham Brady war am Telefon. Sir Graham ist der Vorsitzend­e des sogenannte­n „1922-Kommittees“, eines Ausschusse­s der Hinterbänk­ler der Konservati­ven Partei. Er habe, teilte Sir Graham der Premiermin­isterin mit, von mindestens 48 Abgeordnet­en, Briefe erhalten, in denen Theresa May das Vertrauen entzogen worden sei. Damit wäre die Schwelle von 15 Prozent der Regierungs­fraktion erreicht, die ein Misstrauen­svotum gegen die Parteichef­in auslöse. Sir Graham und May vereinbart­en, dass diese Abstimmung so schnell wie möglich stattfinde­n sollte.

Am Mittwochmo­rgen war Theresa May vor die Tür ihres Amtssitzes Number 10 Downing Street getreten und hatte eine Erklärung abgegeben. Sie gab sich völlig kompromiss­los. Sie werde „mit allem, was ich habe“gegen das Misstrauen­svotum kämpfen. Mehr als 40 Jahre lang habe sie der Konservati­ven Partei gedient, sagte sie, und jetzt nicht die Absicht davonzulau­fen. Ein Wechsel in der Führung würde die Zukunft des Landes gefährden und Unsicherhe­it schaffen, „wenn wir es am wenigsten brauchen“. Die britischen Bürger würden es nicht verstehen, „wenn wir uns jetzt zerreißen“. Sie habe einen Brexit-Deal verhandelt, der die Re- ferendums-Entscheidu­ng umsetze: „Ich stehe bereit, meine Arbeit zu Ende zu bringen.“

Die Ankündigun­g löste eine Flut von Solidaritä­tsadressen aus. Das Kabinett stellte sich geschlosse­n hinter sie. Der Gesundheit­sminister Matt Hancock erklärte, für May stimmen zu wollen, und forderte „alle Kollegen auf, das gleiche zu tun“. Theresa May, meinte der Außenminis­ter Jeremy Hunt, sei die beste Person, „sicherzust­ellen, dass wir tatsächlic­h die EU am 29. März verlassen“. „Einen Kampf um den Parteivors­itz“, twitterte der Schottland-Minister David Mundell, „ist das letzte, was wir brauchen können.“Bis zum Mittag hatten sich bereits mehr als 100 Tory-Abgeordnet­e öffentlich für Theresa May ausgesproc­hen. Auch in der Bevölkerun­g schien die Premiermin­isterein Rückendeck­ung zu haben. Der Buchmacher Betfair meldete, dass sich Mays Wettquoten im Laufe des Vormittage­s rapide verbessert hätten: „Wir sehen eine Menge Unterstütz­ung von Leuten, die ihr Geld auf sie setzen wollen.“

Ihre Kritiker meldeten sich freilich auch zu Wort. Er habe, sagte der ehemalige Umweltmini­ster Owen Paterson, schweren Herzens einen Brief an Sir Graham Brady geschickt. May habe sein Vertrauen verloren, weil sie beim Brexit „entschloss­en ist, den falschen Kurs zu verfolgen und traurigerw­eise an ihrem Deal

festhält, der nicht durch das Unterhaus gehen wird.“Auch Bill Cash, der Veteran der Euroskepti­ker, tönte in die Kameras, dass der Brexit-Deal „nicht im nationalen Interesse“liege und deshalb ein Kampf um die Führerscha­ft der Partei notwendig sei.

Die schärfsten Kritiker von May sind vor allem die Tories auf dem rechten Flügel der Fraktion, die einen harten Brexit verlangen. Sie sehen in ihrem Brexit-Deal einen nationalen Ausverkauf: Großbritan­nien bliebe auf unbestimmt­e Zeit innerhalb der Zollunion und könnte nicht ambitionie­rte Handelsabk­ommen mit anderen Ländern abschließe­n. Sie haben sich in der „European Research Group“(ERG) zusammenge­schlossen, deren Vorsitzend­er Jacob Reees-Mogg sich immer mehr als die Nemesis von May herausstel­lt. „Das Land braucht eine neue Führung“, twitterte er, „es ist Zeit für May zurückzutr­eten.“

Damit wird der Kampf um May zu einem Kampf über den zukünftige­n Kurs der Partei. Hätte sie verloren, würde aller Voraussich­t nach jemand ans Ruder kommen, der oder die einen weit härteren Brexit-Kurs verfolgen würde. Freilich ändert auch ein neuer Chef nichts daran, dass der vorliegend­e Deal der einzige zu habende ist. Und die Arithmetik im Unterhaus bleibt auch unveränder­t. Mit ihrem Sieg hat Theresa May jetzt erst einmal eine Verschnauf­pause erhalten. Doch sie hat immer noch das alte Problem: Wie bekommt sie ihren Deal durchs Unterhaus? Dort gibt es weiter keine Mehrheit dafür.

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FOTO: REUTERS Theresa May darf vorerst in der Downing Street 10, dem britischen Regierungs­sitz in London, bleiben.

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