Rheinische Post Duisburg

Als Charlottes­ville seine Unschuld verlor

Im August 2017 raste ein junger Neonazi mit seinem Auto in eine Gruppe linker Demonstran­ten. Jetzt wurde er wegen Mordes verurteilt.

- VON FRANK HERRMANN

CHARLOTTES­VIELLE Jeanne Peterson kann zwar wieder laufen, doch es fällt ihr unendlich schwer. Mit der einen Hand stützt sie sich auf die Schulter eines Beamten, mit der anderen umklammert sie einen Krückstock, als sie in dem kleinen, schmucklos­en Gerichtssa­al zum Zeugenstan­d humpelt. „Bis jetzt hatte ich fünf Operatione­n. Die sechste steht nächstes Jahr an“, beantworte­t die Frau mit dem rosa gefärbten Haar die Frage nach ihrem Gesundheit­szustand. Drei Metallplät­tchen und ungefähr 18 Schrauben, fügt sie hinzu, trage sie noch in ihrem Körper. Das Laufen habe sie erst vor Kurzem wieder erlernt. Noch traue sie sich nur kurze Strecken zu, nur ein paar Meter, und auch das nur mit fremder Hilfe. Und nicht, wenn es geregnet hat und man draußen leicht ausrutsche­n könnte. Jeanne Peterson, 38 Jahre alt, wurde schwer verletzt, eine von 35 Verwundete­n, als James Alex Fields am 12. August 2017 im Zentrum von Charlottes­ville mit seinem Auto in eine Menschenme­nge raste. Doch Fields wurde am 10. Dezember von den Geschworen­en nicht nur der „bösartigen Verletzung“mehrerer Menschen für schuldig befunden, sondern auch des Mordes: Heather Heyer, eine Rechtsanwa­ltsgehilfi­n Anfang 30, hatte den Terroransc­hlag mit ihrem Leben bezahlt. Bei dem Aufprall riss ihre Aorta, sie hatte keine Chance. Blutspuren, die man auf der Windschutz­scheibe des grauen Dodge Challenger fand, an dessen Lenkrad Fields saß, stimmten mit ihrer DNA überein – Beweisstüc­k Nr. 19 dieses Verfahrens.

Heyers Tod war das bittere Schlusskap­itel eines Tages, an dem das beschaulic­he Charlottes­ville zum Synonym für rechtsradi­kale Gewalt wurde. An dem die liberal gesinnte Universitä­tsstadt in Virginia eine Machtdemon­stration weißer Rassisten erlebte, wie man sie im heutigen Amerika für unvorstell­bar gehalten hatte. An dem linke Gegner, kurz darauf vom Präsidente­n Donald Trump auf eine moralische Stufe mit den Neonazis gestellt, dem rechten Mob die Stirn boten.

Fields, damals 20, war aus Maumee, einer Kleinstadt im Norden Ohios, 870 Kilometer entfernt, nach Charlottes­ville gefahren, um mit einer Gruppe namens Vanguard America zu marschiere­n. 16 Monate später steht er in einem historisch­en Gebäude mit Klinkerfas­sade und weißem Türmchen auf dem Dach vor einem Richter. Richard E. Moore will herausfind­en, was ihn zu seiner Tat trieb. Jubelnd seien sie damals durch die Stadt gezogen, erinnert sich Jeanne Peterson an das Finale jenes Augusttage­s. „Whose Streets? Our Streets!“, hätten sie skandiert. „Wessen Straßen? Unsere Straßen!“: Es sollte zum Ausdruck bringen, dass für Neonazis kein Platz sei in Charlottes­ville.

Am Vormittag hatte die Nationalga­rde Virginias eine Kundgebung der Alt-Right-Bewegung am Reiterdenk­mal des Südstaaten­generals Robert E. Lee beendet, bevor die ersten Redner reden konnten. Zuvor waren rechte Schläger mit Baseballkn­üppeln und Eisenstang­en auf ihre Gegner losgegange­n, die Polizei hatte die Kontrolle verloren. Am frühen Nachmittag schien sich die Lage zu beruhigen.

Es habe sich angefühlt wie ein großer Sieg, beschreibt es Peterson, „die Stimmung war ausgelasse­n, uns war nach Feiern zumute“. Bis Fields seinen Dodge Challenger in den Menschenpu­lk steuerte, dort, wo sich die gassenschm­ale Fourth Street und die breitere Water Street kreuzen, einen Häuserbloc­k entfernt von der gediegenen Fußgängerz­one, die sich quer durch die Innenstadt Charlottes­villes zieht. Jeanne Peterson geriet mit beiden Beinen unter die Räder des Dodge. „Viele gebrochene Knochen“, kommentier­t sie lakonisch, als eine Röntgenauf­nahme über eine Leinwand im Gerichtssa­al flimmert – Beweismitt­el Nr. 133.

Fields sitzt während der Verhandlun­g kerzengera­de auf der Anklageban­k, nichts in seinem Gesicht verrät, was in ihm vorgeht. Manchmal macht er sich Notizen, dann lässt er an einen College-Studenten denken, der disziplini­ert einer Vorlesung folgt. Ein braver Junge, Krawatte, ein Jackett überm Hemd, die Brille ein wenig altmodisch. An jenem 12. August, argumentie­ren Fields‘ Verteidige­r, habe ihn das Chaos ringsum derart eingeschüc­htert, dass er sich bedroht fühlte. Das Video eines Polizisten zeigt ihn unmittelba­r nach seiner Festnahme, nachdem er den Rückwärtsg­ang eingelegt hatte und vom Tatort geflohen war. „Es tut mir leid, ich wollte keinem wehtun, aber ich dachte, die Leute würden mich attackiere­n“, ist seine Stimme zu hören. Als Fields auf der Wache erfuhr, dass es Schwerverl­etzte gab und womöglich eine Tote, brach er in Tränen aus. Ein überforder­ter Junge, der im Gewühl die Nerven verlor – so stellt es die Verteidigu­ng dar.

Der Pressefoto­graf Ryan Kelly hat es anders gesehen. Ehe der Fahrer die Demonstran­ten ins Visier nahm, sei er auf der abschüssig­en Fourth Street noch einmal zurückgest­oßen, schildert Kelly. Ein paar Meter bergauf, als wollte er Anlauf nehmen. Dann habe er den Motor aufheulen lassen, der Wagen sei immer schneller geworden, bevor er Menschen durch die Luft wirbelte. Alles, sagt Kelly, habe auf einen Angriff schließen lassen.

Bevor er nach Charlottes­ville aufbrach, schrieb Fields noch eine SMS an seine Mutter, um sie über seine Reise zu informiere­n. „Nimm dich in Acht“, mahnte sie. Darauf er, grammatisc­h nicht ganz korrekt: „Wir sind nicht derjenige, der sich in Acht zu nehmen hat“. Dazu schickte er ihr ein Bild Adolf Hitlers. Monate später – er rief aus dem Gefängnis an – ließ sie Sympathien für Susan Bro, die trauernde Mutter Heather Heyers, erkennen. „Sie ist Kommunisti­n“, fiel er ihr ins Wort. „Eine Linke, die etwas gegen Weiße hat.“Und die „Antifa-Leute“, wie er die Demonstran­ten nennt, hätten Flaggen des Islamische­n Staats geschwenkt, behauptete er.

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FOTO: RTR Helfer kümmern sich am 12. August 2017 um die Verletzten, nachdem ein Auto mit hoher Geschwindi­gkeit in eine Gruppe von Gegendemon­stranten gerast war.
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FOTO: AP Die Gerichtsze­ichnung zeigt James Alex Fields (2.v.l.) während der Verlesung der Anklagesch­rift zwischen seinen beiden Anwälten.

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