Das Elend an Australiens „Pokies“
Nirgendwo wird so hemmungslos gezockt wie in Australiens Kneipen und Spielhallen. Viele sind der Sucht nach dem Automatengedaddel völlig verfallen.
MELBOURNE (dpa) Wie schön das sein könnte: Melbourne, wo sich angeblich besser leben lässt als in nahezu jeder anderen Stadt der Welt, vor allem jetzt, im australischen Sommer. Und dann auch noch in einem Vorort, der Sunshine heißt. Aber abgesehen von all dem Regen, der gerade vom Himmel fällt: Sunshine ist eher eine ärmere Gegend. Und gewiss kein Ort, wo man Leute treffen kann, mit denen es das Leben besonders gut meint. Schon gar nicht im „Derrimut“.
Das „Derrimut“ist eine der typischen australischen Kneipen, die bis in die letzte Ecke mit Spielautomaten vollgestellt sind. Hier wird unter künstlichem Licht gedaddelt, sieben Tage die Woche, bis morgens früh um vier. Die 60 elektronischen Pokermaschinen tragen Namen wie „Dragon Cash“, „Five Dragons“oder „Secret Tomb“. Aber eigentlich nennen sie die Flimmerkisten hier einfach nur „Pokies“. Für viele gehören sie zur Aussie-Kultur wie Surfen oder Barbecue.
Der Name ist viel zu harmlos für das, was die Maschinen anrichten. In Wahrheit wird hier Geld verzockt wie nirgendwo sonst auf der Welt. 2017 verlor jeder Australier im Durchschnitt 1324 einheimische Dollar (etwa 850 Euro) beim Glücksspiel. Pro Kopf war das mehr als in jeder anderen Nation und doppelt so viel wie in den USA. Für das ganze Land summiert sich das auf umgerechnet 14 Milliarden Euro. Die Hälfte davon ging an den etwa 200.000 „Pokies“drauf.
Auch Doris Clohesy trug ihren Teil dazu bei. Die 77-Jährige, die früher als Fahrlehrerin ihr Geld verdiente, gehört im „Derrimut“zu den Stammgästen. Sie spielt immer am selben Automaten, immer einen Plastikbecher neben sich, aus dem sie das Geld in den Schlitz wirft. „Ich mag das Ding irgendwie“, sagt sie. „Aber das Ding mag mich nicht.“Auch heute nicht: Innerhalb einer Stunde sind wieder 200 Dollar (128 Euro) weg. Nichts Besonderes: Als die Rentnerin geht, nimmt von den anderen Spielern keiner Notiz. Das Daddeln ist eine einsame Angele- genheit. Selbst wenn einer der Automaten einen Gewinn ausspuckt, schaut kaum jemand auf. Auch Doris Clohesy kommt und geht immer allein. Ans Aufhören denkt sie aber nicht. Sie scherzt: „Ich rauche nicht. Ich trinke nicht. Ich gehe nicht mehr mit schlechten Männern aus. Irgendwie muss das Geld ja weg.“ Aber sie sagt auch: „Früher hat das Spaß gemacht. Heute bekomme ich davon nur Depressionen. Du gewinnst hier nicht.“
Nach Schätzungen kommen mindestens 200.000 Australier von den Maschinen nicht mehr los, vor allem Männer. Zum Vergleich: In Deutschland, das dreimal mehr Einwohner hat als Australien, sind nach Expertenmeinung etwa gleich viele Menschen süchtig nach Glücksspielen.
Und meistens trifft es Leute, die es sich eigentlich am wenigsten leisten können. Wie in Sunshine. Das staatliche Glücksspiel-Forschungsinstitut Australian Gambling Research Centre verglich die Gegend mit einem besser gestellten Vorort von Melbourne, Box Hill. Das Ergebnis: In Sunshine verloren die Leute durchschnittlich dreimal mehr. Auf 1000 Einwohner kommen dort zehn Automaten, in Box Hill nur vier. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Staat seit der Liberalisierung der Glücksspiel-Gesetze in den 1990er Jahren damit viele Milliarden an Steuern eingenommen hat. Sechs der sieben Bundesstaaten erlauben, dass die „Pokies“in ganz normalen Kneipen stehen dürfen. Nur in Western Australia muss man dafür ins Casino.
Inzwischen wird die „Pokie“-Kultur von vielen Australiern aber als echtes Problem angesehen. Die Allianz für eine Glücksspiel-Reform vergleicht die nationale Glücksspielindustrie sogar mit der Waffenlobby in den USA. Zu ihren Forderungen gehört, dass der Höchsteinsatz pro Spiel künftig auf einen Dollar begrenzt wird. Bislang sind es – je nach Bundesstaat – bis zu zehn. Wer schnell ist, kann damit am Automaten in einer einzigen Stunde etwa 760 Euro verzocken.