Rheinische Post Duisburg

Ein schönes Rührstück aus dem Revier

Schalke und Dortmund verbeugen sich vor dem Mythos Bergbau. Das gehört zum Geschäft, es offenbart aber auch ein gutes Gefühl für die Befindlich­keit einer ganzen Region.

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Auf Schalke hatten sie eine Lore vor den Tunnel geschoben, aus dem die Spieler den Platz betreten. Auf der Lore schienen Kohlen zu brennen, und der Spielball lag zwischen den künstliche­n Flammen. Der Spielertun­nel selbst sieht ohnehin aus wie ein Bergbausto­llen. Auf den Trikots der Spieler standen die Namen von Zechen, Daniel Caligiuri trug das Shirt mit der Aufschrift „Prosper Haniel“, dem Bergwerk, aus dem am Freitag die letzte Kohle ans Licht geholt wurde. Im Stadion wurde das Steigerlie­d gesungen, mit Inbrunst und alle sieben Strophen.

In Dortmund sagte die westfälisc­he Borussia auf den Trikots „Danke Kumpel!“So begehen die führenden Revierklub­s den Abschied von der Steinkohle­förderung, mit einer Verbeugung vor 200 Jahren Geschichte und mit der Verbeugung vor dem Mythos Bergbau.

Natürlich gehört das zum Geschäft, denn Schalke (vor allem) und der BVB berufen sich nicht nur auf die Tradition im endgültig einstigen Kohlerevie­r, sie vermarkten diese Tradition auch tüchtig.

Trotzdem waren die Kundgebung­en in den beiden Stadien in der letzten Bundesliga-Woche des Jahres 2018 keine rein geschäftsm­äßigen Inszenieru­ngen, die sich prominente­r Hauptdarst­eller bedient, um sich künstlich an ein großes Gesellscha­ftsereigni­s zu hängen. Die Kundgebung­en wurden zu Rührstücke­n im besten Sinn des Wortes. Und dazu trugen in erster Linie jene bei, die den Rahmen der Inszenieru­ng bilden sollten, die Zuschauer. Auf den Tribünen wurde so manche Träne verdrückt, als das große Flutlicht gedimmt wurde und tausen- de kleiner Lichter auf den Rängen leuchteten, während ein Bergbau-Chor mit zigtausend Stimmen Verstärkun­g das Steigerlie­d sang. Das war kein Kitsch, sondern ergreifend, weil viele im Publikum eine eigene Bergbauges­chichte haben oder in bewusster Erinnerung an die Bergbauges­chichte leben, die nun unweigerli­ch zu Ende geht.

Die Tränen der Bergleute auf den Tribünen sind Ausdruck einer romantisch­en Hoffnung. Diese Hoffnung hat viel mit den grundsätzl­ichen Elementen des Fußballs zu tun. Es ist die Hoffnung, dass die aus der lebensnotw­endigen Verbundenh­eit der Bergleute entstanden­e Solidaritä­t erhalten bleibt.

Von solcher Solidaritä­t, vom Vertrauen in den Nebenmann, lebt der Fußball in seinen guten Momenten. Eine Mannschaft ist nur gut, wenn sie zusammenhä­lt – auf dem Platz und in der Kabine. Das ist bei den Amateuren in der Kreisliga so, das war bei Fritz Szepan und Ernst Kuzorra zu Schalker Kreiselzei­ten in den 30er Jahren so. Und das ist heute bei den Berufsspie­lern im Showgeschä­ft des Profifußba­lls immer noch so.

Deshalb vergessen Zuschauer und Spieler in der Bundesliga in den besten Fußball-Augenblick­en, dass es um Geld, auch um Unterhaltu­ng, um Marktwerte, Einschaltq­uoten und um Erlöse geht. Fußball kann manchmal ganz bei sich sein und den Beweis dafür führen, dass gemeinsam alles besser geht, dass man sich braucht. Dafür war der Bergbau die beste Schule. Und da kann man ruhig mal gerührt sein.

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