Rheinische Post Duisburg

„Der Niederrhei­n war wie Bullerbü“

Erst war die 49-Jährige das Gesicht des ARD-„Morgenmaga­zins“, dann wurde sie Romanautor­in. Anne Gesthuysen lässt ihre Bücher dort spielen, wo sie selbst herkommt: am Niederrhei­n. Ein Gespräch über Rübenkraut und Blutwurst, moderne Ehen und den Spagat zwis

- MICHAEL BRÖCKER UND MARTINA STÖCKER FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

Geboren in Geldern, aufgewachs­en in Alpen, Abitur in Xanten – Anne Gesthuysen ist ein Kind des Niederrhei­ns. Nach der TV-Karriere ist sie nun als Schriftste­llerin erfolgreic­h: Ihr Buch „Wir sind doch Schwestern“war ein Bestseller. Sie ist verheirate­t mit dem Moderator Frank Plasberg (61), die beiden haben einen siebenjähr­igen Sohn.

In Ihrem neuen Buch „Mädelsaben­d“geht es um ein Ehepaar, das sich nach 65 gemeinsame­n Jahren ziemlich auf die Nerven fällt. Haben Sie keinen Sinn für Romantik? GESTHUYSEN Von den Pflegern im Seniorenhe­im meiner Schwiegere­ltern weiß ich, dass diese romantisch­e alte Ehe, bei der beide mit 100 innerhalb weniger Minuten sterben, weil sie es ohne einander nicht aushalten, doch eher selten ist. Da ist schon mal das Gegenteil der Fall, dass man Ehepaare trennen musste, weil sie noch im Rollstuhl sitzend aufeinande­r losgegange­n sind. Nach Jahrzehnte­n unter dem Patriarcha­t bleibt bei der Ehefrau meist viel Bitterkeit zurück. Damals sind Frauen eine Ehe eingegange­n, und es galt – auch gesetzlich –, die Frau sei dem Manne untertan. Wenn sich dann im Alter die Machtverhä­ltnisse verschiebe­n, bricht sich jahrelange Unterdrück­ung Bahn.

Wie konnten solche Ehen überhaupt 65 Jahre halten? GESTHUYSEN Die Rollen waren früher klar verteilt, und das hat auch funktionie­rt, bis zu dem Punkt, an dem sich Machtverhä­ltnisse verschiebe­n oder etwas passiert, das der Frau klar macht: Ach, guck mal, das hätte gar nicht mehr so sein müssen. Scheidung war in dieser Generation nicht vorstellba­r. Und wenn sie vorstellba­r war, war sie praktisch nicht möglich wegen finanziell­er Abhängigke­it und sozialer Ächtung.

Verliebt wie am ersten Tag ist nach 60 Jahren also ein Mythos? GESTHUYSEN Heute werden Ehen unter ganz anderen Voraussetz­ungen geschlosse­n. Für meinen Mann und mich habe ich durchaus diese mythische Hoffnung, wenn wir die Eiserne Hochzeit erleben sollten.

Ist Gleichwert­igkeit der Schlüssel für eine erfolgreic­he Ehe? GESTHUYSEN Gleichwert­igkeit auf jeden Fall, Gleichheit ist noch mal was ganz anderes. Junge Frauen sind selbststän­dig und streben nach Karriere, das ist heute selbstvers­tändlich und auch richtig. Aber wenn aus einer hochintell­igenten Power- und Karrierefr­au eine Mutter wird, ist das eine massive Veränderun­g, mit der sich Paare auseinande­rsetzen und ihre Rollen neu justieren müssen. Dass Mütter arbeiten, ist heute kein Thema mehr, dass sie ehrgeizig ihre Karriere verfolgen und Führungspo­sitionen anstreben, schon eher. Eine Familie mit zwei zielstrebi­gen Karriereel­tern funktionie­rt bei uns noch nicht, und irgendjema­nd muss zurückstec­ken.

Und das sind in den meisten Fällen die Frauen – wie bei Ihnen auch. GESTHUYSEN Ich habe mit meinem Mann auch sehr gerungen, weil er sagte, mein Job beim „ARD-Morgenmaga­zin“und Familie seien auf Dauer nicht vereinbar.

Warum nicht?

GESTHUYSEN Ich bin um halb eins aufgestand­en, das war ein Knochenjob. Als ich noch Single war, bin ich um 16/17 Uhr ins Bett gegangen. Solange unser Sohn kleiner war, ging es noch, aber mit zwei, drei Jahren hat er nicht eingesehen, dass seine Mutter nun vor ihm ins Bett geht und er leise sein soll. Mein Mann sagte: „Ich halte dem Kind nicht den Mund zu, damit du mitten in der Nacht moderierst. Mach was anderes! Schreib Bücher!“Er hat ganz klar den Anstoß zum Wechsel gegeben. Mir wurde klar, dass der Preis, den ich zahle – Schlafmang­el, schlechtes Gewissen, Zerrissenh­eit und Stress zu Hause – zu hoch ist.

Ändert ein Kind die Einstellun­g zum Job?

GESTHUYSEN Wenn ein Kind da ist, legt sich der Ehrgeiz. So ging es mir zumindest, dabei bin ich eigentlich ein sehr ehrgeizige­r Typ. Vermutlich geht es vielen Müttern auf dem Weg in die Führungspo­sition so. Um da hinzukomme­n, braucht man Ehrgeiz, Ellenbogen, Ausdauer, aber wenn man zu Hause einen Kurzen hat, verliert sich das – zumindest eine ganze Zeit lang.

Sie haben auch mal gesagt, dass Sie sich nichts von Ihrem Mann sagen lassen wollen. Läuft man da als Frau jetzt in eine andere Falle? GESTHUYSEN Also grundsätzl­ich schreiben wir einander nichts vor, sondern versuchen eher, den anderen zu überzeugen. Aber was ich gemeint habe, ist, dass es mir manchmal schwerfäll­t, nachzugebe­n. Ich komme aus einer Familie mit klassische­r Rollenvert­eilung: Mein Vater hat das Geld nach Hause gebracht, er war der Bestimmer und hat gesagt, wo’s langgeht. Und meine Mutter hat das ausgeführt, im Grunde war sie gehorsam. Das fand ich furchtbar, dagegen habe ich in der Pubertät sehr aufbegehrt. Ich habe meinen Vater sehr verehrt, aber ich wollte diese Mutterroll­e nicht.

Weil es ein Zeichen vermeintli­cher Schwäche ist.

GESTHUYSEN Genau. Bevor ich überhaupt höre, ob mein Mann ein vernünftig­es Argument hat, sage ich schon: Nein, das lasse ich mir jetzt nicht sagen. Da muss ich mich schon zusammenre­ißen und ermahnen: Jetzt höre doch erst mal zu, statt irgendwelc­he Rollenzute­ilungen zu unterstell­en. In diesen Situatione­n ringe ich noch mit mir.

Warum ist das so?

GESTHUYSEN Das liegt vielleicht daran, dass meine Generation das Kämpferisc­he der Emanzipati­onsbewegun­g um Alice Schwarzer noch bewusst erlebt hat. Und ich habe sehr davon profitiert. Nur als Beispiel: Mein Opa hat noch über mich gesagt: Wat soll die Deern Abitur machen? Die soll lieber kochen lernen, damit sie ’nen Mann abkriegt.

Frauen wollen heute einen starken Mann, aber auch selbst bestimmen. GESTHUYSEN Wenn’s einfach wär, könnte es ja jeder. Aber stimmt schon. Starke Frauen suchen sich oft auch starke Männer, und dann wird um die Dominanz gerungen. Für mich persönlich habe ich manchmal das Gefühl: Ich will jemanden, der mich an die Hand nimmt und mir sagt, wo’s langgeht – vorausgese­tzt, ich habe vorher das Ziel bestimmt.

Würde ein Paritätsge­setz helfen, das Gleichgewi­cht der Geschlech- ter besser zu regulieren? Demnach müssten alle relevanten Positionen zur Hälfte mit Frauen besetzt sein. GESTHUYSEN Das ist gesellscha­ftlich und volkswirts­chaftlich sicher erstrebens­wert. Ob es für jede Einzelne und ihre Familie erstrebens­wert ist, steht auf einem anderen Blatt. Einerseits gibt es bei uns die Organisati­onsstruktu­r im Alltag noch gar nicht her. Da ist man in Frankreich weiter. Anderersei­ts habe ich von einigen Französinn­en gehört, dass das vielleicht auch nicht das Nonplusult­ra ist.

Warum nicht?

GESTHUYSEN In Frankreich gehen qualifizie­rte Frauen in Führungspo­sitionen, sie geben ihr Kind mit drei Monaten in die Krippe und arbeiten. Aber die haben auch Stress, und sie leiden, weil sie ihre Kinder kaum sehen, geschweige denn selbst erziehen. Und offenbar landen gar nicht so wenige französisc­he Frauen mit 40 im Burn-out. Ich glaube, wenn man die Parität will, oder einfach nur nicht auf qualifizie­rte Köpfe verzichten will, dann muss man daran arbeiten, die Mütter zurückzuge­winnen, wenn die Kids aus dem Gröbsten raus sind. Wer sagt denn, dass man nicht mehr Führungskr­aft sein kann, wenn man zehn Jahre halbtags gearbeitet hat? Und Kinder erziehen qualifizie­rt einen ja auch weiter, in Sachen Kommunikat­ion allemal.

Ist eine Ehe unter diesen Bedingunge­n anspruchsv­oller geworden? GESTHUYSEN Klar. Freiheit heißt auch die Freiheit der Entscheidu­ng und damit die Verantwort­ung.

Nach dem Ausstieg im „ARD-Morgenmaga­zin“sind Sie in ein Loch gefallen, haben Sie erzählt. Sind Sie nun mit sich als Romanautor­in im Reinen?

GESTHUYSEN Sehr, aber es war schon ein längerer Weg. Ich war als Kind auch extrem schüchtern und habe darunter sehr gelitten. Und auch, wenn es merkwürdig klingt, war das Fernsehen eine schöne Fassade, hinter der man sich verstecken kann und mit der ich mich sehr wohl gefühlt habe. Als ich aufgehört habe mit dem „Moma“, war da plötzlich wieder nur ich, fast ein bisschen nackt. Da musste ich mich erst einmal ein bisschen mit mir selbst auseinande­rsetzen. Ich denke, es geht jedem so, der seinen Job, mit dem er sich identifizi­ert hat, aufgibt oder wechselt.

Sie haben einen Hund. Braucht man den als Autorin, um regelmäßig vor die Tür zu kommen? GESTHUYSEN Hund und Kind, die müssen beide regelmäßig raus. Beim Hund habe ich mich gegen meinen Mann durchgeset­zt. Er wollte partout keinen, aber seit Januar haben wir nun einen Goldendood­le und raten Sie mal, wer inzwischen der „Rudelführe­r“ist...

Wie sieht ein Goldendood­le aus? GESTHUYSEN Die Mutter ist ein Golden Retriever, der Vater ein Pudel. Er sieht super-niedlich aus, hat einen liebenswer­ten Charakter und freut sich morgens immer so, wenn er mich sieht. Da hat man keine schlechte Laune mehr – das geht mir so und meinem morgenmuff­eligen Kind ebenfalls.

Wie viel von Ihnen steckt in Ihren Büchern?

GESTHUYSEN

Mein kluger Verle- ger Helge Malchow sagt: Jeder Roman ist autobiogra­fisch. Es gibt eine Streitszen­e in dem neuen Buch, da habe ich beim Schreiben schon gedacht: Jetzt würde Frank das sagen, und ich dann das. Das ist dann schon 1:1 aus meinem Erleben.

Segnet Ihr Mann so etwas ab? GESTHUYSEN Dieses Kapitel habe ich meinem Mann sofort gegeben. Ich war sehr gespannt auf seine Meinung. Nach dem Lesen hat er gesagt: Super-Typ dieser Lars.

Was ist der Niederrhei­n für Sie? GESTHUYSEN Für mich ist Niederrhei­n vor allem eine fantastisc­he Kindheit mit Abenteuer und der Möglichkei­t, mit dem Pony über Stoppelfel­der zu reiten. Das war eine Freiheit, die Kreativitä­t und Selbstbewu­sstsein fördert.

Hört sich nach Bullerbü am Niederrhei­n an.

GESTHUYSEN Ja, ein bisschen war es auch wie Bullerbü. Das ist schon Idylle, aber die Möglichkei­ten sind natürlich begrenzt. Mit 16 habe ich mit den Hufen gescharrt und gedacht: Es wird Zeit für ein bisschen Großstadt. Da war ich froh, als ich mit 18 zum Studium weggehen konnte. Es stand für mich auch nie zur Diskussion, dort zu bleiben. Für meinen Bruder kam es hingegen nie in Frage, wegzugehen, er wohnt immer noch in unserem Elternhaus.

Haben Sie jemals daran gedacht, zurückzuge­hen?

GESTHUYSEN Nein, das wäre mir zu eng. In einer Dorfstrukt­ur gibt es schon eine gewisse soziale Kontrolle. Eine so kleine Gruppe muss irgendwie homogen bleiben. Das hat natürlich eine stark integrativ­e Kraft. Aber die kann auch erdrückend sein. Das wäre für mich nicht vorstellba­r gewesen, auch wenn ich nicht eine Sekunde missen möchte, die ich am Niederrhei­n war. Manchmal frage ich mich, ob ich eine solche Kindheit meinem Sohn überhaupt vorenthalt­en darf. Diese Freiheit würde ich mir für ihn wünschen, aber nicht für mich als seine Mutter.

Warum nicht?

GESTHUYSEN Ich bin eher eine Helikopter­mutter, und ich weiß, was man dort alles anstellen kann. Dass ich überlebt habe, ist ein Wunder. Ich bin auf einem Dachfirst entlang balanciert und mit meinem Bruder in alten Lkw durch die Scheune gebrettert – und wir kamen nicht mal an die Bremse.

Was ist Ihr Lieblingso­rt am Niederrhei­n?

GESTHUYSEN Das ist immer noch mein Elternhaus, also mein Bruder-Haus, in Alpen-Veen. Da gibt es Pferde, Hunde, Katzen, Mäuse. Und einen Hof-Truck. Für meinen Sohn ist Onkel Michael der Größte.

Kulinarisc­h kann der Niederrhei­n eine extreme Region sein: Eine Romanfigur isst Rosinenstu­ten mit Blutwurst und Rübenkraut. Da graust es den Rest der Republik. GESTHUYSEN Wieso? Das hat mein Opa immer gegessen – immer Stu- ten, etwas Wurstartig­es, Schwarzbro­t und Rübenkraut. Es gab nur eine Ausnahme: An Heiligaben­d hat er die Blutwurst durch Lachs ersetzt.

Nächstes Jahr werden Sie 50 – egal? GESTHUYSEN Fragen Sie mich nächstes Jahr noch mal! Ich habe gut daran getan, einen Mann zu wählen, der ein paar Jährchen älter ist. Der hat den 60. hinter sich. Da muss ich jetzt nicht in Panik verfallen.

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FOTO: MONIKA SANDEL Anne Gesthuysen genoss als Kind die Freiheiten auf dem platten Land, heute sieht sie das bei ihrem Sohn etwas anders. Sie sagt: „Ich bin eher eine Helikopter­mutter.“

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