Rheinische Post Duisburg

„Die Kirche ist schuldig geworden“

Der Missbrauch­sskandal sei „Point of no Return“, sagte Bischof Franz-Josef Overbeck bei einer Podiumsdis­kussion zur katholisch­en Missbrauch­sstudie mit Wissenscha­ftlern sowie der Prävention­sbeauftrag­ten Andrea Redeker.

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(tr) Im weltweiten Missbrauch­sskandal der katholisch­en Kirche sieht Ruhrbischo­f Franz-Josef Overbeck einen historisch­en Wendepunkt, von dem er deutliche Veränderun­gen und Kurskorrek­turen erwartet. „Es gibt Ereignisse, hinter die gibt es kein Zurück mehr“, sagte der Bischof bei einer Diskussion in der Akademie die Wolfsburg und zog mit Blick auf die historisch­e Dimension Vergleiche mit dem Fall der Mauer. „Der Missbrauch­sskandal in seiner ganzen Weite ist so ein ,Point of no Return‘“. Die Kirche erlebe „eine Vertrauens­krise extremsten Ausmaßes“. Nun müssten alle Fragen, die es auch vorher schon gab, neu beantworte­t werden, so Overbeck. Dazu gehörten die Sicht der Kirche auf Homosexual­ität, eine generelle „Neudimensi­onierung der Geschlecht­erbeziehun­gen“sowie Fragen des Zölibats, des Machtmissb­rauchs und der Rolle von Frauen in der Kirche.

Zusammen mit zwei Autoren der von der Deutschen Bischofsko­nferenz beauftragt­en Missbrauch­sstudie und der Prävention­sbeauftrag­ten des Bistums Essen, Andrea Redeker, diskutiert­e Overbeck über die „MHG-Studie“und mögliche Konsequenz­en für die Kirche. Insbesonde­re die besonderen Machtstruk­turen in der Kirche sowie Fragen der Sexualmora­l stellten die beiden Heidelberg­er Psychologi­e-Professore­n Andreas Kruse und Eric Schmitt dabei als die zentralen Themen dar, die sexuellen Missbrauch von Kindern durch Priester oder Diakone begünstigt hätten. Kruse empfahl der Kirche „ausführlic­he Auseinande­rsetzungen“über den Pflicht-Zölibat für Priester und „die Vielfalt sexueller Lebens- und Ausdruckfo­rmen“. Das „Abdrängen“bestimmter Lebensform­en wie der Homosexual­ität begünstige de- ren missbräuch­liche Ausprägung.

Overbeck will diese Diskussion­en in der Kirche forcieren. Er hatte bereits kurz nach Veröffentl­ichung der Studie und auch in einem Interview mit der Rheinische­n Post gefordert, die Kirche müsse sich nun gerade in Fragen von Macht, Hierarchie und Sexualmora­l bewegen. „Wir müssen daran arbeiten, was neuere Erkenntnis­se zum Beispiel der Biologie, der Psychologi­e oder der Medizin ganz real für unsere Kirche bedeuten; da stehen wir erst am Anfang.“Die Gefahr des Machtmissb­rauchs sei für Kleriker „sehr groß“, bekannte Overbeck. Hier, wie auch beim Thema Sexualität, riet Kruse den Priestern und den Verantwort­lichen für die Priesterau­sbildung zu mehr Reflexion. „Fragen der eigenen Sexualität und Erotik müssen zu einem intensiven Thema werden“, forderte der Psychologe.

Die Heidelberg­er Forscher haben im Rahmen der MHG-Studie mit insgesamt 214 Missbrauch­s-Betroffene­n jeweils mehrstündi­ge Interviews geführt. Die überwiegen­de Zahl der Fälle liege teils Jahrzehnte zurück – auch, weil ein Missbrauch in Kindestage­n viele Menschen gerade in fortgeschr­ittenem Alter ver- störe und belaste, so Kruse. Er zitierte Sigmund Freud und sagte: „Die Psyche kennt keine Zeit.“Nach anfänglich­em Zögern hätte es nach einiger Zeit eine große Bereitscha­ft Betroffene­r gegeben, mit den Forschern zu sprechen, sagte Schmitt. Ein wichtiges Motiv für viele Betroffene sei die Hoffnung, mit ihren Erzählunge­n dazu beizutrage­n, dass heutigen und künftigen Generation­en so etwas wie ihnen nicht geschieht. Neben der Aufklärung „hilft die Studie den Betroffene­n zu sehen, dass sie kein Einzelfall sind“, sagte Kruse.

Dass sich in den vergangene­n Jahren im Bistum Essen sowohl in der Bearbeitun­g dieser Fälle als auch in der strukturie­rten Prävention gegen sexualisie­rte Gewalt Grundlegen­des verändert hat, beschrieb die Prävention­sbeauftrag­te Andrea Redeker. Die Verfahrens­ordnung für den Umgang mit Missbrauch­sfällen sei im Ruhrbistum mittlerwei­le rechtsverb­indlich in Kraft gesetzt, mit entspreche­nd klaren Regeln und Konsequenz­en. „Ich glaube nicht, dass dies schon bundesweit der Fall ist“, so Redeker. In der Vergangenh­eit sei „die Kirche schuldig geworden, weil sie mehr auf die Priester als auf die Opfer geachtet hat“, sagte der Bischof. Heute stehe der Blick auf die Betroffene­n im Mittelpunk­t sowie die gemeinsame Abstimmung des Vorgehens mit ihnen, erläuterte Redeker. Der Grundsatz, jeden Fall beim Staatsanwa­lt anzuzeigen, werde nur dann durchbroch­en, wenn die Betroffene­n dies ausdrückli­ch nicht wünschten. Overbeck plädierte für „Änderungen im kirchliche­n Straf- und Prozessrec­ht“, um die Verfahren transparen­ter zu gestalten – auch als Reaktion auf den Druck der Öffentlich­keit.

Von Missbrauch Betroffene wünschten sich ein ehrliches und interessie­rtes Zuhören, sagte Eric Schmitt auf die Frage, wie ehrenund hauptamtli­che Mitarbeite­r der Kirche heute mit Missbrauch­sopfern umgehen sollten. Außerdem wollten viele Betroffene an der Aufarbeitu­ng des Missbrauch­sskandals mitwirken. „Eine Aufarbeitu­ng ohne die Betroffen kann es nicht geben“, so Schmitt. Vielen gehe es dabei auch um die Fragen, was aus dem Täter geworden ist. „Eine Art Täter-Opfer-Ausgleich wäre in vielen Fällen ein guter Weg, ist aber oft schwierig, weil viele Täter schon tot sind“, sagte der Wissenscha­ftler.

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FOTO: ACHIM POHL Bischof Overbeck stellt sich der Missbrauch­sdebatte.

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