„Ein Fußballprofi, der die finanzielle Misere von Schwimmern anprangert, wäre doch nicht authentisch“
profilieren will. Wer sich mit ihm öfter unterhält und sein Vorgehen aus der Nähe verfolgt, der merkt: Hartung ist eine Art enthusiastischer Pragmatiker. Er hört sich auch die andere Seite an, will verstehen. Er verstehe, sagt er, dass der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) ein kompliziertes Konstrukt sei. Mit vielen Interessen. Und mit noch mehr Interessensvertretern. Doch verstehen ist für Hartung nicht gleich akzeptieren. Er mag es zu diskutieren, stellt unangenehme Fragen, weist auf Abläufe in der Sportförderung hin, die nicht gut sind, nur weil sie mal gut gemeint waren. Er wollte die Athletenvertretung im DOSB auf Augenhöhe der Entscheidungsträger hieven. Nicht länger Bittsteller sein. Also musste er sich Augenhöhe aneignen, einlesen, Strukturen und Geldflüsse verstehen. Er schrieb Positionen, Konzepte, Briefe und Anfragen. Befasste sich mit dem Kartellamt. Learning by doing in Zeiten der Leistungssportreform. Er forderte, dass 25 Prozent der Einnahmen von Olympischen Spielen direkt an die Sportler gehen sollen. Hartung hat in Friedrichshafen Soziologie, Politik und Wirtschaft studiert. Nun konnte er sein theoretisches Wissen in der Praxis anwenden. Das reizte ihn.
Hartung hat den Athleten in den vergangenen Jahren keine Stimme gegeben, Sprecher gab es schon vorher. Aber er hat der Stimme Gehör verschafft wie wohl kein anderer Athletenvertreter vor ihm. Nicht weil er ein Sportpromi wäre, Fechten ist Randsportart. Hartung muss keine Autogramme beim Italiener schreiben, weil ihn einer am Nachbartisch erkennt. Aber Hartung hat verstanden, dass das Thema Athletenförderung in der Öffentlichkeit positiv besetzt ist. Er weiß es, weil er das Thema in die Öffentlichkeit getragen hat. Zuweilen auf eigene Faust. Die Interessen, die er vertritt, finden Zustimmung. Umfragewerte weisen Top-Sportler immer wieder aufs Neue als Vorbilder aus. Dass diese entsprechende Gelder bekommen müssen, damit sich Herr Müller und Frau Meier auch in Zukunft vor dem Fernseher über deutsche Olympiasiege freuen können, das stellt erst einmal niemand infrage. „Und am Ende ist es wahrscheinlich besser so, dass ich aus einer Randsportart komme.
Ein Fußballprofi, der sich vor den Sportausschuss stellt und die finanzielle Misere von Schwimmern und Sportschützen anprangert, der wäre doch nicht authentisch“, sagt Hartung.
Er dagegen kann authentisch sein, aus eigener Erfahrung sprechen. Er kann erzählen, dass er nur in der Altbau-Wohnung in Nippes wohnen kann, weil die Eltern für ihn gebürgt haben. Mit einer Sportförderzusage für einen olympischen Zyklus allein ist man eben nicht der Traum eines Vermieters. Deswegen freut sich Hartung auch so sehr, dass die Stiftung Deutsche Sporthilfe im Dezember 959 Athleten eine einmalige Zahlung in Höhe von 3.649,63 Euro überweist – insgesamt 3,5 Millionen Euro. „Die zusätzliche Förderung ist ein ganz wichtiges Signal in unsere Richtung – es bewegt sich etwas. Es zeigt auch, dass es lohnt, sich zu engagieren“, sagte Hartung. Er sagte auch etwas von zweijähriger Überzeugungsarbeit, die er für diese Zahlung habe leisten müssen.
Hartung kam zur Athletenvertretung, wie die meisten in ein Ehrenamt kommen. Er wurde gefragt, ließ sich überreden und war dann eben dabei. Erst als Athletensprecher im Fechter-Bund, dann seit 2014 in der
Athletenkommission des DOSB, seit Februar 2017 und nach der Wiederwahl im Oktober 2018 weitere vier Jahre als deren Vorsitzender. In dieser Rolle war er auch Teil des DOSB-Präsidiums. Hartung saß zudem im Aufsichtsrat der Deutschen Sporthilfe. Der Marsch durch die Institutionen war also eigentlich beendet. Doch Hartung und seine Mitstreiter, allen voran Kanutin Silke Kassner, hatten andere Pläne. Sie wollten die Interessenvertretung der Sportler aus dem DOSB komplett herauslösen, wollten echte Unabhängigkeit. Personell und finanziell. Also riefen sie im Herbst 2017 den Verein „Athleten Deutschland“ins Leben. Mit Hartung als Vorsitzendem. Der DOSB fand die Vereinsgründung wenig prickelnd, das taten seine Verantwortlichen auch so kund. Doch der Verein nahm gegen alle Widerstände seine Arbeit auf. Vom Bund gab es 225.000 Euro im zweiten Halbjahr 2018, für 2019 sind 450.000 Euro zugesagt. „Damit können wir hauptamtliche Strukturen aufbauen“, sagt Hartung. Der Verein schrieb unlängst die Stelle eines Geschäftsführers aus.
Damit ist Hartung seinem zweiten Ziel neben der Verbesserung der Athletenförderung nähergekommen: einer autarken Athletenvertretung. Autark vom DOSB – autark aber auch von Namen. Von Namen wie seinem. Denn ewig will er nicht die Stimme der Athleten sein. „Ich werde im nächsten Jahr 30 und habe noch keinerlei Berufserfahrung. Das gehört auch zur Wahrheit eines Leistungssportlers“, sagt er. Was er mal werden will? Noch weiß er es nicht. Erstmal geht der Blick in Richtung Tokio 2020. Seine dritten und vermutlich letzten Olympischen Spiele. Denn im Hauptberuf ist er ja nach wie vor Leistungssportler. Nur, dass er im Nebenjob dafür kämpft, dass man von diesem Hauptberuf in Deutschland leben kann.
Max Hartung Athletensprecher