Rheinische Post Duisburg

Die Klangforsc­herin

Die englische, seit vielen Jahren in Berlin lebende Komponisti­n Rebecca Saunders bekommt den angesehene­n Ernst-von-Siemens-Musikpreis. Ihre Werke mikroskopi­eren den Klang und dringen in die Zonen der Stille vor.

- VON WOLFRAM GOERTZ

BERLIN Rebecca Saunders, die wunderbare englische Komponisti­n, wohnt in einer Mietswohnu­ng nahe dem Prenzlauer Berg in Berlin. Das Haus macht einen auffallend schütteren Eindruck, als lebten darin glücklich arbeitende Menschen, die keine Lust haben, ihre Phantasie an die Fassade zu verschwend­en. Man ahnt den Rumor im Inneren. Hinter diesen Wänden könnte es explosiv zugehen.

Bei Rebecca Saunders muss man erst einmal fürchten, dass sie eine Lungenentz­ündung kriegt. Ihr Arbeitszim­mer verströmt die Heimeligke­it einer Baracke. Wahrschein­lich ist gerade ein Heizkörper defekt. Das passt gut zu den eisblumenh­aften Tönen, mit denen die englische Komponisti­n in der Musikwelt für Furore sorgt. Nirgends heiße Luft. Allenfalls ein Kältebad in tönender Stille, dem Saunders‘ Klänge entsteigen. Die 51-jährige Londonerin lebt seit vielen Jahren in Berlin und hat hier ihre Ästhetik verfeinert. Sie schleift Töne zu Diamanten. Dieses Handwerk ist famos für erlebnisfr­eudige Musikfreun­de, die das Innenleben der Töne interessie­rt. Jetzt bekommt Rebecca Saunders den angesehene­n Ernst-von-Siemens-Musikpreis.

Damit der Kern der Stücke gut nach außen kommt, müssen die Töne vorher präpariert und von der Umgebung isoliert werden. Wie eine Biologin setzt sie die Töne in Salzsäure aus. Ist ein Ton blank und zum Single geworden, gewinnt er an Freiheit, Klarheit, Unverwechs­elbarkeit.

Saunders studierte bei Wolfgang Rihm in Karlsruhe und Nigel Osborne in Edinburgh. Sie ist jetzt sehr oft unterwegs, bei Festivals, aber damit ihr der rote Faden beim Komponiere­n nicht abhanden kommt, hängen ihre aktuellen Werke in der Esmarchstr­aße an der Wand. Dort wachsen sie wie eine Collage zusammen, von keinem Ton weiß Saunders im Moment der schriftlic­hen Niederkunf­t, wann er im Werk erklingen wird.

Manchmal geht sie an der Wand entlang, als tausche sie Quartettka­rten. Man müsste diese Wand eine Woche lang täglich fotografie­ren: Dann könnte man sehen, wie diese Stücke entstehen. Lauter einzigarti­ge Töne, dazwischen das Weiß der Wand. Wenn das Werk fertig ist, hängt sie es in der endgültige­n Reihenfolg­e ab und gibt es zum Abschreibe­n an Profis.

Um das Äußerste aus dem Innersten der Klänge herauszuho­len, bedarf es genauer Kenntnis, was bei den Instrument­en geht, was nicht. In der Flötenstim­me ihres versponnen­en „Molly‘s Song 3 – shades of crimson“stehen beispielsw­eise Grifftabel­len. Da entstehen extrem eigenartig­e Töne, klamm, hohl, pfeifend, ohne Resonanz. Ihre Klänge nennt Saunders auch schwebende Skulpturen, das ist ein schönes Bild, weil die Künstlerin sowieso eine überfeiner­te Vorstellun­gsgabe hat. Kaum träumte sie davon, dass sie den Kaiserwalz­er von Johann Strauß in ihre Musik einschmilz­t, war es auch schon geschehen. Überhaupt hängt sie an wehen, alten Klängen, und so mischt sie unter die Töne ihrer Ensembles auch Spieldosen, das ist ein Bimmeln, wie es die Welt nicht heiterer, wehmütiger kennt.

Der Hörer hat natürlich keinen blassen Schimmer von der pedantisch erklügelte­n Zeitstrukt­ur dieser Musik, er weiß nicht, dass für Saunders jedes Stück eine reine Essenz hat, die von seiner Besetzung abhängt – vor allem ahnt er nicht, was als nächster Ton kommt. Nicht selten sind diese Klänge bei der Komponisti­n mit Farbvorste­llungen verwandt. Liest man ihre Werkliste, fallen einem die Titel „Vermilion“oder „Crimson“auf – dahinter verbirgt sich das Saturnrot von Zinnober (hochgiftig) und das Purpurrot für jene „Molly“, zu dem Saunders die Lektüre von Joyces „Ulysse“inspiriert­e. Später wurde Blau ihr Lockstoff.

Sieht sich Saunders in einer Tradition? Welche Komponiste­n hauen sie um? Ihre Antwort haut erst mal den Fragestell­er um. Sie liebt nämlich Bach, und Anton Webern, der Musik als erster mikroskopi­erte. Und sie verehrt die Russin Galina Ustwolskaj­a, die Klänge so radikal zertrümmer­t und die Reste vereist, dass man nach dem Hören in den Schockraum muss.

Bei Kompositio­nen von Rebecca Saunders ist man sich manchmal nicht sicher, ob die Musiker schon spielen oder noch ihre Instrument­e stimmen. Immer dringt Saunders in Schweigezo­nen vor, in denen Töne wie Geräusch klingen. Sie lässt es huschen, wispern, flüstern, tuscheln. Solche Momente gibt es auch in ihren jüngsten Werken. Sie sind manchmal ein Nichts an Tönen. Aber immer ein Maximum an Kunst.

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FOTO: ERNST-VON-SIEMENS-MUSIC -FOUNDATION Die Komponisti­n Rebecca Saunders in Berlin.

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