Rheinische Post Duisburg

Spahn fordert „bessere Debatten“

Vor 350 Zuhörern sprach der Bundes-Gesundheit­sminister beim Unternehme­rtag. Im Interview mit RP-Chefredakt­eur Michael Bröcker beklagte er die langen Amtswege, die den Zuzug ausländisc­her Pf legekräfte verzögerte­n.

- VON PETER KLUCKEN

Gegenwind ist Gesundheit­sminister Jens Spahn gewohnt. Aus dieser Erfahrung machte er jetzt bei seinem Vortrag „Diagnose Deutschlan­d“mit anschließe­nder Diskussion im Haus der Unternehme­r keinen Hehl. Wenn er, wie neulich, vor 200 Pflegekräf­ten spreche, dann spüre er beim Betreten des Saales, dass man ihm nicht zutraue, „auch nur einen Hauch von Ahnung über Zwölf-Tage-Dienste, Überforder­ung und Personalma­ngel“zu haben. Und wenn er die Schaffung von 13.000 zusätzlich­en Stellen im Pflegebere­ich ankündige, dann höre er nur: „Das reicht nicht!“Aber, so Spahn: „Lasst uns doch erstmal anfangen!“

Mit seiner frei gehaltenen Rede und vor allem in der von RP-Chefredakt­eur und Spahn-Biograph Michael Bröcker initiierte­n und moderierte­n Diskussion kam Spahn bei den 350 Zuhörern, die zum „Unternehme­rtag Winter“gekommen waren, gut an, wie man dem kräftigen Applaus entnehmen konnte. An dem langen Abend übernahm vor Jens Spahn der Vorstandsv­orsitzende der Unternehme­rverbandsg­ruppe, Marcus Korthäuer, gewisserma­ßen den Diagnose-Part. Korthäuer sagte, „das deutsche Gesundheit­swesen ist gut, aber internatio­nal verglichen längst nicht das beste“. Vor allem sei es ungemein teuer, wobei der Unternehme­r darauf hinwies, dass im Gesundheit­swesen täglich eine Milliarde Euro umgesetzt werde. Korthäuer sprach sich gegen einen Einheitslo­hn im Pflegebere­ich aus, weil dieser ungerecht sei. Ein Einstiegsg­ehalt von 2500 Euro sei in Wesel okay, in München dagegen zu wenig. Um der „Kostenexpl­osion“im Gesundheit­swesen zu begegnen, forderte Korthäuer eine „grundlegen­de Basisverso­rgung“. Besondere zusätzlich­e Leistungen müssten privat gezahlt werden.

Auf diese konkreten Forderunge­n ging Spahn nicht ein. Stattdesse­n zeichnete er in seiner „therapeuti- schen Erwiderung“den großen Bogen. Vordringli­ches Ziel sei, das in den vergangene­n Jahren verloren gegangene Vertrauen beim Wählervolk allgemein und speziell bei den 5,5 Millionen Beschäftig­ten im Pflege- und Gesundheit­sbereich zurückzuge­winnen. Seine Aufgabe als Minister sehe er darin, 82 Millionen Menschen Zugang zur medizinisc­hen Versorgung zu ermögliche­n.

Jens Spahn wünscht sich bessere Debatten. „Wir haben verlernt, gute Diskussion­en zu führen, bei denen man anderen auch mal zugestehen kann, dass sie im Recht sein könnten.“Dabei wendete sich Spahn gegen das „vorschnell­e Moralisier­en“, wobei er als Beispiel die von ihm angestoßen­e Diskussion über die Or- ganspende nannte. Die soll seiner Meinung nach immer dann erlaubt sein, wenn der Betroffene dies nicht ausdrückli­ch untersagt habe.

Um Vertrauen zurückzuge­winnen müsse die Politik auch konkrete Entscheidu­ngen treffen. Dazu gehöre im Gesundheit­swesen, die bürokratis­chen Hürden für die Anwerbung von Pflegekräf­ten aus dem Ausland abzubauen. Im Kosovo gebe es, so Spahn, viele gut ausgebilde­te Pflegekräf­te, die man in Deutschlan­d gut gebrauchen könnte. Die Frage von Michael Bröcker, „Wo sonst noch?“, wollte Spahn nicht so gern beantworte­n, da er nicht einen Pflegenots­tand in anderen Ländern provoziere­n wolle. Immerhin nannte er dann aber doch noch die Länder Vietnam

und Philippine­n. Einen kleinen Seitenhieb in Richtung Unternehme­r wollte sich Spahn nicht verkneifen: „Betriebe, die über Fachkräfte­man- gel jammern, müssen auch einem 56-Jährigen eine Chance geben.“

Wichtig sei zudem, so der 38-jährige Minister, dass die Politik die langfristi­ge Entwicklun­g im Auge behalte. „Wir müssen schon jetzt auf die Jahre 2030 und sogar 2040 blicken. Der Fachkräfte­mangel, den wir jetzt erleben, ist nur der Anfang.“Zu berücksich­tigen sei, dass die Lebenszeit der Menschen statistisc­h immer länger werde. Wer heutzutage geboren wird, habe die große Chance, 100 Jahre und älter zu werden. Das müsse Konsequenz­en haben. Spahn: „Wir gehen bei der Rente jetzt bis 67, aber dabei wird es nicht bleiben; wir können nicht 100 werden und mit 57 in Rente gehen wollen.“

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FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN Gesundheit­sminister Jens Spahn (rechts) im Gespräch mit RP-Chefredakt­eur Michael Bröcker.

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