Brüssel hilft Berlin gegen Fahrverbote
Die EU-Kommission billigt Pläne, Diesel-Fahrverbote in solchen Städten zu verhindern, in denen Grenzwerte nur geringfügig überschritten werden.
BRÜSSEL/BERLIN Die Bundesregierung ist bei der Vermeidung von Diesel-Fahrverboten in vielen deutschen Städten einen Schritt vorangekommen: Die Brüsseler EU-Kommission hat am Mittwoch die Pläne Berlins für eine Änderung des Bundesimmissionsschutzgesetzes gebilligt. Mit dieser Änderung stellt die Bundesregierung klar, dass Fahrverbote in solchen Städten unverhältnismäßig sind, in denen der zulässige durchschnittliche EU-Stickoxid-Grenzwert von 40 Mikrogramm je Kubikmeter Luft im Jahr zwar überschritten wird, jedoch 50 Mikrogramm nicht übersteigt.
In diesen Städten sollen andere Maßnahmen als Fahrverbote für ein Sinken des Grenzwerts sorgen, etwa der Einsatz von Elektrobussen. Dass dies funktioniere, zeigt das Beispiel Wiesbadens, erklärte das Umweltministerium. Dort konnte ein gerichtliches Fahrverbot am Mittwoch vermieden werden, weil das Gericht andere umweltschonende Maßnahmen akzeptierte.
Die Änderung des Bundesimmissionsschutzgesetzes hatte das Kabinett im Dezember beschlossen. Darin wird klargestellt, dass Fahrverbote „aus Gründen der Verhältnismäßigkeit“erst bei Jahresmittelwerten von mehr als 50 Mikrogramm in Betracht kommen sollten. Diese Änderung musste die Bundesregierung der EU-Kommission zur Prüfung vorlegen. Mit der Zustimmung des Bundestags wird spätestens bis zum Sommer gerechnet. Die Brüsseler Entscheidung berührt nicht den überall in Europa weiter geltenden verbindlichen EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm.
Damit sinken die Chancen von Umweltverbänden, bei geringfügiger Überschreitung der Grenzwerte gerichtlich Fahrverbote zu erwirken. Für die bestehenden Fahrverbote hat die geplante Gesetzesänderung zwar keine Auswirkung. Doch die Liste der Städte, in denen Fahrverbo- te drohen, wird damit deutlich kleiner: Das Umweltbundesamt hatte in der vergangenen Woche eine vorläufige Bilanz der Grenzwert-Überschreitung in 2018 herausgegeben. Demnach war die Stickoxid-Konzentration in 36 Städten im Jahresmittel so hoch, dass dort Fahrverbote drohen. Für 26 dieser Städte, die in 2018 Werte zwischen 40 und 50 Mikrogramm hatten, gibt es nun unmittelbar Hoffnung. Dazu zählen Hannover, Mainz, Berlin, Frankfurt, Essen, Aachen, Osnabrück, Augsburg, Leverkusen und Leipzig.
„Es ist ein positives Zeichen, dass die EU-Kommission der Einschätzung der Koalition folgt, dass Verkehrsverbote in Gebieten, in denen bei Stickstoffdioxid der Wert von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel nicht überschritten wird, in der Regel nicht erforderlich sind“, sagte SPD-Fraktionsvize Sören Bartol. „Damit ist endgültig klar, dass wir mit der Änderung des Bundesimmissionsschutzgesetzes nicht die europäischen Grenzwerte für Stickoxide ändern, sondern lediglich rechtlich klarstellen werden, wann Fahrverbote verhältnismäßig sind“, sagte Bartol. „Wir sind uns sicher, dass wir in den Städten mit geringfügig erhöhter Schadstoffbelastung keine Fahrverbote für Dieselfahrzeuge brauchen, um für saubere Luft zu sorgen“, so der SPD-Politiker. „Da helfen bereits alle anderen Maßnahmen wie der Ausbau des ÖPNV, die wir in den Kommunen unterstützen“, sagte Bartol.
Deutschlands oberster Verbraucherschützer Klaus Müller verlangte dagegen weitergehende Schritte zur Verbesserung der Luftqualität in Städten. „Die Möglichkeit, den eigentlich geltenden Grenzwert zu überschreiten, verschafft von Fahrverboten bedrohten Dieselfahrern und den Kommunen Zeit, aber unterm Strich keine saubere Luft“, sagte der Chef des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen. „Wir brauchen Hardwarenachrüstungen und alle Anstrengungen für eine Reduktion von Stickoxiden.“
Auch die Mobilitätsforscherin Philine Gaffron von der Technischen Universität Hamburg erklärte: „Diese Brüsseler Entscheidung entlässt die Kommunen nicht aus der Verpflichtung, den EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm zeitnah einzuhalten.“Die Deutschen müssten generell an einer Verkehrswende arbeiten, sich von fossilen Antrieben verabschieden und gerade in Städten auf Fahrräder, ÖPNV und Sharing-Angebote umsteigen.
Die EU-Kommission stellte klar, dass sie damit keineswegs grünes Licht für die einseitige Erhöhung der Grenzwerte in Deutschland gibt. Eine Sprecherin von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte: „Der Grenzwert ist EUweit verbindlich. Daran wird nicht gerüttelt.“Wie die einzelnen Länder diesen Grenzwert erreichen, sei die alleinige Entscheidung eines jeden Landes.
Leitartikel, Wirtschaft