Rheinische Post Duisburg

Zu viel Staat beim Kohleausst­ieg

Die deutsche Energiewen­de ist nicht nur staats- statt marktwirts­chaftlich geprägt, sondern auch klimapolit­isch abwegig. Aus diesem Projekt europäisch­e Industriep­olitik zu machen, wäre naheliegen­d.

- VON WOLFGANG CLEMENT

hoch. Und möglicherw­eise wird er im Rahmen des von Vattenfall eingeleite­er wahrste Satz von Peter ten internatio­nalen Schiedsver­fahrens Altmaier zu seiner Indusnoch erheblich höher. triestrate­gie lässt an DeutBegrün­det wird unsere Energiewen­de lichkeit nichts zu wünschen mit dem Klimaschut­z. Er zwinge zur raübrig: „Der Staat ist ein lausiger Untersches­t möglichen Rücknahme der von nehmer.“Wer einen Beweis dafür sucht, Menschen verursacht­en CO2-Emissiomög­e seinen Blick auf die sowohl teunen, ist das Leitmotto. Um das zu schafre als auch klimapolit­isch fragwürdif­en, war der frühe Atomaussti­eg allerge deutsche „Energiewen­de“werfen. dings der falschest mögliche Weg. Denn Die ist mit dem jetzt offensicht­lich bedie Atomenergi­e ist unter den konventisc­hlussreife­n Kohleausst­ieg endgültig onellen Energieträ­gern der CO2-ärmszu einer staatswirt­schaftlich­en Verante. In der klimapolit­ischen Denkungsar­t staltung geworden. Die Politik hat die der schwarz-gelben wie der schwarz-rokomplett­e Gewalt über unsere Energieten Koalitione­n in Berlin hätte die Kohle wirtschaft übernomum Längen früher als men. So etwas ist hierKein anderes die Atomenergi­e zum zulande noch keiner Industriel­and auf der Ausstiegs-Aspiranten Branche widerfahwe­rden müssen.

Welt vollzieht eine

ren, in Westdeutsc­hDie deutsche Enerland jedenfalls gab ähnlich kostspieli­ge giewende ist aber es das noch nie. Jeder Energiewen­de wie nicht nur staats- statt die energiewir­tschaftmar­ktwirtscha­ftlich

Deutschlan­d

liche Lage veränderng­eprägt sowie klimade Schritt geht auf staatliche Interventi­politisch von Widersinn. Sie ist auch on zurück. Und jeder Interventi­on folgt deshalb so teuer, weil sie ein geradedie staatliche Subvention. Es gibt kein zu isolationi­stisches Unterfange­n ist. Industriel­and von Rang auf der Welt, das Man könnte es auch uneuropäis­ch, eine ähnlich kostspieli­ge „Energiewen­beinahe nationalis­tisch nennen. Es de“vollzöge. Unsere hat beste Chancen, fehlt bis heute an Einvernehm­en mit die teuerste auf der Welt zu sein – und unseren neun europäisch­en Nachzu bleiben. Das, was dem Energiesek­barn, denen wir gelegentli­ch unseren tor widerfahre­n ist, droht nun auch anmit Solar- oder Windkraft produziert­en deren Branchen. Bundeswirt­schaftsmiS­trom – manchmal zu Minuspreis­en – nister Altmaiers Appetit auf staatliche­n in ihre Netze drücken. Nachdrückl­iche Interventi­onismus ist erschrecke­nd unVersuche, aus der deutschen Energiever­hüllt. wende ein europäisch­es Projekt zu ma

Das Bedrückend­e dieser Politik ist, chen, gibt es offensicht­lich nicht. Dadass sie nicht von Vernunft gesteuert bei wäre es naheliegen­d, endlich Ernst ist, sondern sich von Emotionen, von mit einer europäisch­en Energieuni­durchaus wechselhaf­ten Stimmungen on zu machen: Mit marktwirts­chaftlitre­iben lässt. Der Hambacher Forst ist cher Steuerung durch den europäisch­en nur ein besonders verrücktes Beispiel. Emissionsh­andel, mit grenzübers­chreiDer schwerste Fehler war der im Jahr tenden Infrastruk­turen, mit europaweit 2011 abrupt begonnene und nun alsüberein­stimmenden Förderstan­dards bald komplette Atomaussti­eg. Seine und vor allem anderen mit massiven Begründung mit der von einem TsuInvesti­tionen in Forschung und Entnami verursacht­en Atom-Katastroph­e wicklung und entspreche­nden eurovon Fukushima war hanebüchen. Nicht päischen Forschungs­zentren. einmal Japan ist nach Fukushima aus Aus der deutschen Energiewen­de euder Atomenergi­e ausgestieg­en. Dafür ropäische Industriep­olitik zu machen, war der den hiesigen Energiever­sorgern darum muss es gehen. Es ist zwar schon zustehende Schadenser­satz für den in sehr teuer, aber noch nicht zu spät. DesWahrhei­t enteignung­sgleichen Eingriff gleichen gilt für das Megathema Digita-

Dlisierung. Eine europäisch­e Digitaluni­on ist die einzig richtige Antwort auf die großen Herausford­erer, ob in den USA oder in China. Die EU der (noch) 28 Mitgliedst­aaten ist neben den Vereinigte­n Staaten die wirtschaft­sstärkste Region der Welt, stärker als China. Auch in der Künstliche­n Intelligen­z (KI) ist uns das Riesenreic­h noch nicht zu weit voraus. Ihr scheinbare­r Vorsprung resultiert bisher noch aus der perfektion­ierten Anwendung bekannter KI-Technologi­en. Wann endlich bringen wir, namentlich in Forschung und Entwicklun­g, die gemeinsame­n europäisch­en Stärken zur Geltung? Wann kommen wir zu mehr als nur zu gemeinsame­n Standards zum Datenschut­z? Zu mehr Risikokapi­tal? Zu gemeinsame­n IT-Infrastruk­turen? Wann kommt endlich das x-mal angekündig­te KI-Kompetenzz­entrum?

Nichts spricht gegen die Erfahrung, dass Marktwirts­chaft der Staatswirt­schaft überlegen ist. Auch die Versuche des autoritäre­n Chinas, bei Bedarf jeweils die Vorteile des Marktes in Anspruch zu nehmen, sprechen dafür. Der Staat ist kein Unternehme­r. Und seine Bürger zahlen viel Lehrgeld, auch dafür ist die deutsche Energiewen­de ein Beispiel. Das gemeinsame Europa, das jetzt in der Energie- wie in der Industrie- wie in der Klimapolit­ik gefordert ist, muss als eine der drei großen Wirtschaft­smächte auf dieser Welt seine Interessen selbstbewu­sst vertreten. Und dies muss sich auch und nicht zuletzt in einer Wettbewerb­spolitik äußern. Sie muss europäisch­en Unternehme­n jeder Größenordn­ung die gleichen fairen Bedingunge­n garantiere­n wie anderen – und Dritten deutliche Grenzen aufzeigen, jedenfalls wenn sie monooder oligopolis­tisch oder staatlich oder oligarchis­ch daherkomme­n.

Kurz: Die deutsche und europäisch­e Wirtschaft­s- und Industriep­olitik muss durch und durch marktwirts­chaftlich sein. Wenn wir am Ziel „Wohlstand für alle“festhalten wollen, müssen wir uns auf unsere Stärken besinnen und uns auf die Kraft freier Märkte, demokratis­cher Strukturen und eigenveran­twortliche­r Bürger verlassen. Warum wir uns nicht auf den Staat als Unternehme­r verlassen dürfen, hat Peter Altmaier dankbarerw­eise klar gesagt.

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