Christian Morgenstern als Philosoph
Anja Bilabel stellte auf Einladung des Vereins für Literatur viele Facetten des Autors vor.
Die Schauspielerin Anja Bilabel verließ vor vier Jahren die große Bühne, um die Literatur den Menschen seitdem in kleinerem Rahmen und direkter nahe zu bringen. Bereits mehrfach war sie mit ihren erfolgreichen „Hörstücken“auch beim Duisburger Verein für Literatur in der Zentralbibliothek zu Gast. Diesmal ging es um Christian Morgenstern (1871-1914), unter jenem von Friedrich Nietzsche entlehnten Motto „Nur wer sich wandelt, bleibt mir mit verwandt“, mit dem Morgenstern seine Aphorismen betitelt hatte. Für die treffend stimmungsvolle Untermalung am Akkordeon sorgte diesmal Tatjana Pereswetow.
In der ersten Hälfte des Abends ging es um die weniger bekannte, eher ernste Seite des Autors. In seinen Briefen und eben Aphorismen ging die philosophische Tiefe so weit, dass er bereits jüngste Erkenntnisse der Quantenphysik vorweg nahm – in seinen Worten ist Gott in allen Menschen und hängt alles mit allem zusammen. Den größten Teil seines Lebens war Morgenstern schwer krank – fühlte sich aber nicht so, denn das fand er eines denkenden Menschen unwürdig. Wenn er nicht gerade in diversen Sanatorien und Kurorten in Deutschland, Österreich und der Schweiz weilte, reiste er dem Anthroposophen-Guru Rudolf Steiner zu dessen Vorträgen nach. Bilabel inszenierte diesen Teil so, als wäre sie der Dichter am Schreibtisch und ließe sich die geistvollen Formulierungen eben erst einfallen.
Nach der Pause ging es dann um das bekanntere und außerordentliche komische Talent dieses Autors, nach dem Motto „Weil, so schließt er messerscharf, / nicht sein kann, was nicht sein darf.“Bilabel gab natürlich dem Morgenstern-Affen Zucker, vernachlässigte aber auch hier nicht die dunkleren Untertöne. So sind zum Beispiel die beliebten „Galgenlieder“inspiriert durch feucht-fröhliche Ausflüge auf den Galgenberg in Werder bei Potsdam und daher teils skurril, teils gruselig. Erst hier streute sie Fakten über den Lebenslauf von Christian Morgenstern ein, der mit kaum 43 Jahren an Tuberkulose starb. Seine deutschen Übersetzungen der Theaterstücke von Henrik Ibsen hat dieser für die gültigen erklärt – auch wenn Morgenstern für diese Aufgabe erst eigens die norwegische Sprache erlernen musste.
Anja Bilabel und Tatjana Pereswetow haben uns mit ihrer subtilen Vortragskunst einen zur Zeit leider etwas vernachlässigten, aber großen Autor ans Herz gelegt. Die Saison 2018/19 beim Verein für Literatur ist damit beendet – am 18. März, um 20 Uhr, geht es an dieser Stelle weiter mit dem Literaturprogramm der 40. Duisburger Akzente „Utopien“, als erstes liest Christian Brückner aus dem Buch „Wege zu sich selbst“von Marc Aurel.