Rheinische Post Duisburg

„Die bequemen Zeiten sind vorbei“

Der Bundesfina­nzminister über die Grenzen des Bundeshaus­halts, seine Steuerplän­e, die Altersrent­en und den Kohleausst­ieg.

- BIRGIT MARSCHALL UND EVA QUADBECK FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

BERLIN Seine Beamten warnen vor einer zweistelli­gen Milliarden­lücke im Haushalt in den nächsten Jahren, seine Ministerko­llegen wollen in den laufenden Beratungen für den Etat 2020 Ausgaben draufsatte­ln, und die Konjunktur wird merklich schwächer. Doch Olaf Scholz wirkt trotzdem völlig entspannt, als wir ihn in seinem Ministerbü­ro treffen.

Herr Scholz, der CSU-Politiker Alexander Dobrindt hat gesagt, die Union werde Ihre vermeintli­che Wandlung von „Olaf Schäuble“zu „Olaf Lafontaine“nicht unterstütz­en. Fühlen Sie sich getroffen? SCHOLZ Nö, das ist Quatsch.

Aus Dobrindts Sicht passt das doch: Sie, der bisher wie Schäuble die „schwarze Null“verteidigt hat, wollen plötzlich wie Lafontaine Abermillia­rden für Grundrente und Ausbau des Sozialstaa­ts ausgeben. SCHOLZ Nein, ich werde weiterhin Haushalte vorlegen, die ohne neue Schulden auskommen. Eine Grundrente, die 80 Prozent der Bürgerinne­n und Bürger richtig finden, bringt unseren Haushalt nicht aus der Fassung. Der Bund gibt im Jahr knapp 350 Milliarden Euro aus, das ist sehr viel Geld und da findet sich eine Lösung. Klar ist aber, dass wir miteinande­r besprechen müssen, welche Prioritäte­n wir treffen wollen. Denn die bequemen Zeiten sind vorbei, in denen am Jahresende immer mehr Steuereinn­ahmen zu verzeichne­n waren, als wir zu Jahresbegi­nn angenommen hatten.

Prioritäte­n setzen heißt doch: Der Bund wird auf manche Vorhaben verzichten müssen. Wo wollen Sie Ausgaben kürzen?

SCHOLZ Es geht nicht darum, große Veränderun­gen vorzunehme­n, sondern Prioritäte­n zu setzen. Gerade verhandeln wir darüber: Was machen wir sofort? Was dauert etwas länger? Wir können uns viel leisten, aber nicht alles gleichzeit­ig.

Wie gerecht ist es, wenn Teilzeitbe­schäftigte nach 35 Jahren genauso eine Grundrente erhalten sollen wie Vollzeitbe­schäftigte?

SCHOLZ Darf ich ein paar Fakten einstreuen? Grundsätzl­ich: Wenn in Zukunft alle Bürger vernünftig­e Löhne bekommen und gute Erwerbsbio­grafien haben, werden die Kosten für die Grundrente deutlich geringer sein. Weil wir aber noch nicht so- weit sind, sagen vier von fünf Befragten, sie finden die Grundrente gut und gerecht. Alle sind der Meinung, dass jemand, der 35 Jahre lang gearbeitet und in die Rentenkass­e eingezahlt hat, eine höhere Rente haben sollte als jene, die nicht oder viel weniger gearbeitet haben. Viele Frauen haben oft Teilzeit gearbeitet, weil sie Kinder großgezoge­n oder Angehörige gepflegt haben. Wenn die hören, dass sie die Grundrente nicht bekommen sollen, ist das ungerecht. Der SPD-Vorschlag zur Grundrente verzichtet ganz bewusst auf die Bedürftigk­eitsprüfun­g, damit sich niemand davon abschrecke­n lässt, sie zu beantragen. Im Streit mit CDU und CSU, die auf der Bedürftigk­eitsprüfun­g bestehen, geht es doch um die Frage: Bekommen nur 100.000 Menschen die Grundrente – oder drei bis vier Millionen?

Was halten Sie von dem Kompromiss­vorschlag, eine Bedürftigk­eitsprüfun­g zu machen, aber selbst- genutztes Wohneigent­um nicht einzubezie­hen?

SCHOLZ Wir halten nichts von einem Modell, bei dem am Ende gerade mal Hunderttau­send profitiere­n. Das sorgt nur für Enttäuschu­ng und wäre keine Grundrente. Eine Grundrente, die nur 100.000 Menschen bekommen, ist keine Grundrente.

Was muss nach dem jüngsten Kohleausst­iegsbeschl­uss der Kohlekommi­ssion geschehen, damit die Energiewen­de gelingt?

SCHOLZ Ich bin mir nicht sicher, ob schon jeder die Bedeutung begriffen hat, die der Beschluss zum Kohleausst­ieg für unser Land hat. Es geht um den Strukturwa­ndel in den Braunkohle­revieren. Es geht aber auch um die Zukunftsfä­higkeit unseres Landes, um Arbeitsplä­tze und Wirtschaft­swachstum. Wir stellen die Energiever­sorgung des Industries­tandorts Deutschlan­d komplett um, da müssen wir rasch kluge Entscheidu­ngen treffen. Haben Sie den Eindruck, dass die Pläne nicht schnell genug vorankomme­n?

SCHOLZ Ich bin jedenfalls überzeugt, dass wir nach dem Ausstiegsb­eschluss jetzt keine Zeit verlieren dürfen. Wir müssen noch in diesem Jahr alle Planungen dafür veranlasse­n, dass wir von 2038 an auch ohne Kohlestrom sicher und bezahlbar mit Energie versorgt werden – auch wenn keine Sonne scheint und kein Wind weht. Deshalb brauchen wir rasch einen Netzplan, der festlegt, wie das Stromnetz und das Gasnetz 2038 aussehen muss. Und wir brauchen ein Ausbaugese­tz, das sicherstel­lt, dass alle Leitungen bis dahin rechtzeiti­g fertiggest­ellt sind. Dass auch ohne Atomkraft und ohne Kohle noch genügend regelbare Energie vorhanden ist, um Blackouts auszuschli­eßen. Ich plädiere auch dafür, in die Nutzung von Wasserstof­f einzusteig­en. All das muss jetzt, in diesem Jahr, auf den Weg gebracht werden. Da erwarten Sie Vorschläge vom federführe­nden Wirtschaft­sminister? SCHOLZ Ja, der zuständige Minister für die Energiewen­de muss jetzt fleißig werden. Die gesamte Regierung steht in der Pflicht, dass der beschlosse­ne Kohleausst­ieg klappt. Wenn wir es schaffen als Industrien­ation, ohne Atomkraft und Kohle eine sichere und bezahlbare Energiever­sorgung zu organisier­en, wird das für uns ein zentraler Wettbewerb­svorteil der 2030er Jahre werden.

Sie sind doch auch noch im Verzug. Die Wirtschaft wartet seit einem Jahr auf das angekündig­te Gesetz zur steuerlich­en Forschungs­förderung in Unternehme­n. Warum dauert das so lange?

SCHOLZ Seit meinem Amtsantrit­t laufen die Planungen zu dem Gesetzentw­urf. Wir wissen, wie es aussehen soll. Es ist nicht ganz trivial, weil wir die steuerlich­e Förderung wollen, ohne die bisher übliche direkte For-

schungsför­derung zu behindern. Wir sind auf der Zielgerade­n.

Wann planen Sie, das Gesetz zur Abschaffun­g des Soli vorzulegen? SCHOLZ Das Gesetz zur Soli-Abschaffun­g will ich noch in diesem Jahr auf den Weg bringen. Ab 1. Januar 2021 werden dann 90 Prozent derer, die den Soli heute zahlen, ihn nicht mehr entrichten müssen. Es werden sogar noch mehr Steuerzahl­er entlastet, weil ich eine Gleitzone vorschlage­n werde.

Die Union fordert die vollständi­ge Abschaffun­g des Soli – wie die SPD bei der Grundrente geht sie hier über den Koalitions­vertrag hinaus. SCHOLZ In der Koalition haben wir vereinbart, den Soli für 90 Prozent der Betroffene­n abzuschaff­en. Das kostet pro Jahr zehn Milliarden Euro. Die Top-Zehn-Prozent zu entlasten, wie die Union es jetzt vorschlägt, würde abermals zehn Milliarden Euro kosten, jedes Jahr. Warum soll aber ein Bundesmini­ster in diesen Zeiten pro Jahr 3500 Euro weniger an Steuern zahlen? Wieso soll jemand, der eine Million im Jahr verdient, mehr als 20.000 Euro sparen? Es geht um eine Frage der Gerechtigk­eit. Ich finde, wir brauchen im Einkommens­teuertarif eher mehr Gerechtigk­eit als weniger. Unser Vorschlag lautete in den Koalitions­verhandlun­gen, den Soli komplett abzuschaff­en, dafür aber für sehr hohe Einkommen den Spitzenste­uersatz moderat um drei Punkte anzuheben. Das war mit der Union nicht zu machen. Und ich glaube nicht, dass sich die Position der Union dazu inzwischen verändert hat.

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DANIEL BISKUP/LAIF ?? Olaf Scholz im Bundesfina­nzminister­ium.
FOTO: DANIEL BISKUP/LAIF Olaf Scholz im Bundesfina­nzminister­ium.

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