Rheinische Post Duisburg

Druck auf NRW-Innenminis­ter wächst

Im Missbrauch­sskandal Lügde sollte ein Polizei-Anwärter das Beweismate­rial auf bereiten. Herbert Reul verspricht mehr Transparen­z.

- VON THOMAS REISENER

DÜSSELDORF Im Missbrauch­sskandal von Lügde gerät NRW-Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) immer stärker unter Druck. Am Freitag wurde ein weiteres pikantes Detail in dem Fall bekannt. Nach Recherchen unserer Redaktion war ein Polizist in Ausbildung mit der Auswertung von Beweismate­rial beauftragt worden. Das Innenminis­terium machte keine Angaben dazu, ob neben dem Kommissara­nwärter weitere Ermittler mit der Sichtung der großen Datenmenge­n betraut gewesen seien. Reul (CDU) sagte dazu: „Dieses Vorgehen verstößt zwar nicht gegen Dienstvors­chriften, ich halte es aber trotzdem für unverantwo­rtlich gerade in einem derart anspruchsv­ollen und sensiblen Fall.“

Zurzeit sitzen drei mutmaßlich­e Täter wegen des Verdachts des schweren sexuellen Missbrauch­s von 31 Kindern im Alter zwischen vier und 13 Jahren in Untersuchu­ngshaft. Teilweise sollen sie die Taten auf einem Campingpla­tz in Lügde bei Lippe gefilmt und das kinderporn­ografische Material weiterverb­reitet haben.

Reul hatte am Donnerstag einräumen müssen, dass in dem Fall 155 Datenträge­r mit Beweismate­rial verschwund­en sind. Der Verlust umfasst 0,7 von insgesamt 15 Terabyte sichergest­elltem Datenmater­ial. Sonderermi­ttler sind im Einsatz, um das Verschwind­en der Beweise aufzukläre­n. Zudem wird gegen zwei Lipper Polizisten sowie gegen Mitarbeite­r örtlicher Jugendämte­r ermittelt. Bereits 2016 hatte es Hinweise auf einen der Täter gegeben, denen möglicherw­eise nicht nachgegang­en wurde.

Schließlic­h wird Reul noch erklären müssen, warum das Verschwind­en des Beweismate­rials aus einer Asservaten­kammer der Lipper Polizei so spät bemerkt und noch später an das Innenminis­terium gemeldet wurde: Am 20. Dezember 2018 wurde der letzte Kontakt von Beamten mit den Datenträge­rn dokumentie­rt. Am 30. Januar fiel auf, dass sie verschwund­en sind, aber erst am 18. Februar erfuhr der Minister davon.

Im Plenum des Landtags versuchte Reul am Freitag einen Befreiungs­schlag. Er versprach, alles für eine lückenlose Aufklärung des Missbrauch­sfalls und des Verschwind­ens der Beweise zu tun: „Das ist meine verdammte Pflicht den 31 missbrauch­ten Kindern gegenüber“, sagte er. Einen ersten Bericht der Sonderermi­ttler erwarte er schon in der kommenden Woche.

Um Transparen­z herzustell­en, will Reul ein neues parlamenta­risches Gremium etablieren: eine Art ständiger Konferenz mit Vertretern sämtlicher Parteien, die unmittelba­r über alle neuen Ermittlung­sstände informiert werden sollen. „Ich will nicht, dass wir uns jetzt mit Gremienhub­erei aufhalten“, sagte Reul. Damit will er der Opposition den Wind aus den Segeln nehmen, die eine Sondersitz­ung des Innenaus- schusses angekündig­t und auch schon einen Parlamenta­rischen Untersuchu­ngsausschu­ss ins Gespräch gebracht hat. Zudem will Reul die „unterschie­dlichen Zuständigk­eiten in den Ministerie­n besser verknüpfen“.

Die Opposition wirft Reul vor, seinen „Geschäftsb­ereich nicht im Griff“zu haben, wie der innenpolit­ische Sprecher der SPD, Hartmut Ganzke, sagte. Die stark zeitverzög­erte Meldung der Lipper Polizei an das Innenminis­terium bezüglich der verschwund­enen Beweise sei auch dem Innenminis­ter anzulasten: „Als Chef des Innenminis­teriums müsse er dafür Sorge tragen, dass er alle Informatio­nen rechtzeiti­g vorliegen habe. „Was sollen die Sonderermi­ttler denn jetzt ermitteln, was nicht schon längst hätte ermittelt werden müssen?“, fragte er Reul. Grünen-Politikeri­n Josefine Paul schlug in die gleiche Kerbe und forderte als Konsequenz aus dem Fall eine landesweit­e Personalbe­darfsanaly­se sowie Fall-Obergrenze­n für jedes der 186 Jugendämte­r in NRW.

Kritik bekam Reul auch von der Polizei zu hören. Der NRW-Vorsitzend­e des Bundes deutscher Kriminalbe­amter (BdK), Sebastian Fiedler, warf ihm vor, trotz mehrfacher Warnung nichts gegen den personelle­n Notstand bei der Polizei in Lippe unternomme­n zu haben. „Ich selbst habe den Minister schon oft darauf hingewiese­n. Und es gab offene Briefe. Da bekommt man warme Worte, aber es passiert nichts“, sagte Fiedler der „Westdeutsc­hen Zeitung“.

Hinweise darauf, dass die Datenträge­r in der Lipper Asservaten-

kammer gestohlen wurden, hat die Detmolder Staatsanwa­ltschaft bislang allerdings nicht. Sie geht von einem „nachlässig­en Umgang“mit den Asservaten aus. Dennoch werde auch die Möglichkei­t eines Diebstahls nicht ausgeschlo­ssen.

NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) bedankte sich im Plenum für die weitgehend sachliche Debatte über den Fall, der „nicht nur in NRW, sondern überall beobachtet“werde, so Laschet.

Die vergleichs­weise moderaten Angriffe der Opposition auf Reul könnten allerdings täuschen. Die Opposition will sich ihren Generalang­riff auf Reul offenbar für die nächste Sitzung des Innenaussc­husses aufsparen.

Reul hatte sich bereits im Oktober für einen Polizeiska­ndal entschuldi­gen müssen. Damals hatten die Beamten aufgrund einer Verwechslu­ng einen Syrer inhaftiert, der danach in seiner Zelle verbrannte. Die Beamten hatten die Identität des Syrers nicht ausreichen­d überprüft.

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FOTO: CHRISTIAN MATHIESEN/DPA Absperrban­d der Polizei hängt um eine Campingpla­tz-Parzelle in Lügde.

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