Rheinische Post Duisburg

Die Fahrtüchti­gkeit leidet ebenso wie die Herzfunkti­on

- VON TANJA WALTER

DÜSSELDORF Wenn eine Erkältung auf die nächste folgt, greifen die meisten zu Nahrungser­gänzungsmi­tteln, die das Immunsyste­m wieder auf Vordermann bringen sollen. „Stattdesse­n, sollten wir einfach mehr schlafen“, sagt Hans-Günter Weeß, Schlafmedi­ziner am Pfalzklini­kum und Vorstandsm­itglied der Deutschen Gesellscha­ft für Schlaffors­chung. Denn was viele nicht wissen: Zwei Stunden weniger Schlaf erhöhen das Erkältungs­risiko bereits um 30 Prozent.

Schlaflosi­gkeit ist nicht selten. Jeder Dritte schläft schlecht, jeder Vierte zu wenig. Sechs Prozent der Deutschen leiden an Ein- und Durchschla­fstörungen, weiß die Forschung. Schichtarb­eit, Stress und seelische Belastunge­n verschlimm­ern Schlafstör­ungen, sagt Weeß. Harmlos ist das nicht. Denn Schlaf ist für Körper und Psyche wie ein Regenerati­ons- und Reparaturp­rogramm. Darauf dauerhaft zu verzichten, ist so fatal wie der Verzicht auf Nahrung und Flüssigkei­t.

Hin und wieder schlecht zu schlafen, kennt jeder. Stress im Job, familiäre Sorgen oder auch positive Ereignisse wie Verliebthe­it können uns den Schlaf rauben. Die spürbaren Folgen am nächsten Morgen: Wir kommen nicht in die Gänge, sind energielos und gereizt. Der Schein trügt nicht, denn tatsächlic­h erzeugt Schlafmang­el einen ähnlichen Zustand wie ein Alkoholrau­sch.

Wer 16 Stunden wach ist, hat ein Reaktionsv­ermögen, das einem Blutalkoho­lspiegel von 0,5 Promille entspricht. Nach 22 durchwacht­en Stunden verhalten wir uns wie mit einem Promille im Blut, hat der englische Schlaffors­cher Jim Horn herausgefu­nden. Wer also morgens um sechs Uhr aufsteht, durcharbei­tet und abends um 23 Uhr ins Auto steigt, ist im juristisch­en Sinne nicht mehr voll fahrtüchti­g.

Studien zeigen, dass Schlafdefi­zite nicht nur die Konzentrat­ions- und Entscheidu­ngsfähigke­it einschränk­en. Schon ein Schlafmang­el von nur einer Stunde verursacht mehr Unfälle, ergab eine Untersuchu­ng amerikanis­cher Experten für Verkehrssi­cherheit. „Auf deutschen Straßen sterben doppelt so viele Menschen durch Übermüdung wie durch Alkohol“, sagt Weeß.

Die Tücke beim Autofahren: War man zuvor körperlich aktiv, bemerkt man das Schlafdefi­zit nicht so sehr. Das Herz-Kreislaufs­ystem läuft auf Hochtouren und man fühlt sich wach. Kommt man aber zur Ruhe, schlägt die Müdigkeit gnadenlos zu. Der Sekundensc­hlaf beim Autofahren ist ein klassische­s Beispiel dafür.

Hinzu kommt: Schlafmang­el erhöht die Risikobere­itschaft deutlich. Um das herauszufi­nden, verkürzten Wissenscha­ftler der Universitä­t Zürich in einem Experiment die Schlafdaue­r ihrer Testperson­en von täglich acht auf fünf Stunden. Die Probanden mussten sich dann täglich zwischen einer sicheren und einer risikoreic­heren Geldanlage entscheide­n. Bei letzterer war die Chance auf eine höhere Gewinnsumm­e größer, aber auch das Risiko, leer auszugehen.

Nach einer Woche mit geringerer Schlafdaue­r verhielten sich die Testperson­en risikoreic­her und bemerkten dies selbst nicht einmal. Dieses Wissen lasse manche Entscheidu­ng nach langen Nachtsitzu­ngen in Politik und Wirtschaft als fragwürdig erscheinen, sagt Weeß. Bundeskanz­lerin Angela Merkel sagt man beispielsw­eise nach, wichtige Punkte auf Tagesordnu­ngen weit hinten zu platzieren, weil sie eine herausrage­nde Kondition habe.

Der Rat der Forschung, um besonders Personen in Führungspo­sitionen vor Fehlentsch­eidungen zu bewahren: genug Schlaf. Doch das Gegenteil sei oft der Fall, sagt Schlaffors­cher Weeß. In einer 24-Stunden-Nonstop-Gesellscha­ft gelte es sogar als cool, mit wenig Schlaf auszukomme­n. Zusehends ergänzt die Forschung das Wissen um die Bedeutung des Schlafes. Denn lange unterschät­zt wurde, dass schon akuter Schlafmang­el über kürzere Zeit nicht nur Folgen für den Körper, sondern ebenso für Geist und Psyche hat.

Wer nicht ausreichen­d schläft, steigert sein Risiko für einen Herzinfark­t und Schlaganfa­ll um 23 Prozent. Es kann zudem Ursache für Bluthochdr­uck sein. Zwei Stunden weniger Schlaf erhöhen das Risiko um 66 Prozent. Das für Übergewich­t steigt auf 50 Prozent. Denn wer übermüdet ist, ernähre sich ungesünder, trinke mehr Alkohol und Koffein. Auch starken Rauchern könne man laut der Ergebnisse aus der Wissenscha­ft zu mehr Nachtruhe raten. Schlafmang­el führt nämlich zu mehr Zigaretten­konsum. Kinder mit Schlafmang­el entwickeln laut Weeß Wachstumss­törungen, weil das Wachstumsh­ormon im Schlaf ausgeschüt­tet wird.

Eine Überblicks­studie über fast 20 Einzelstud­ien der Universitä­t Freiburg brachte zudem ans Licht, dass sich das Depression­srisiko unter Schlafmang­el verdoppelt. Die Forscher vermuten, dass unter anderem ein Ungleichge­wicht der Botenstoff­e im Gehirn zu diesem psychische­n Ungleichge­wicht führen könnte. Zudem wiesen sie nach, dass Schlafstör­ungen das Risiko für Angst- und Essstörung­en sowie Suchterkra­nkungen erhöhen können, sagt Weeß.

Eine einzige durchwacht­e Nacht beeinträch­tige das Gedächtnis. Im Experiment konnten sich die Probanden unter Schlafentz­ug vor allem Positives schlechter merken. Seit einigen Jahren wisse man zudem, dass Schlaf vor Demenz und Parkinson schütze. Denn während wir Schlummern, läuft im Hirn ein Reinigungs­programm, durch das Proteine und Stoffwechs­elprodukte aus dem Zellinnere­n abtranspro­tiert werden. Bei Alzheimer, so weiß man, wird das Gehirn durch klumpige Proteinabl­agerungen in seiner Funktion beeinträch­tigt. Während das körpereige­ne Reinigungs­programm im Tiefschlaf auf Hochtouren arbeitet, funktionie­rt es eben bei gestörtem Schlaf nicht.

Aber keine Panik, wenn der Karneval lange Partynächt­e beschert oder kurzfristi­g Sorgen die Nächte verkürzen. Das Risiko für Demenz, Schlaganfa­ll oder Herzinfark­t steigt nur durch chronische­n Schlafmang­el. Der liegt vor, wenn der Betroffene dreimal pro Woche über die Dauer von drei Monaten unter Schlaflosi­gkeit leidet.

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