Rheinische Post Duisburg

Abschied von Kerstins Glitzerwel­t

Nach 36 Jahren ist der Homberger Kostümverl­eih „Kunterbunt“Ende April Geschichte. Die Konkurrenz durch Discounter lässt Kerstin Psondr ihr Geschäft aufgeben. Es war in Duisburg das letzte seiner Art.

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(jumi) Es ist schon kurios: Wenn das Angebot da ist, kommt kaum jemand. Ist es dann bald nicht mehr da, eilen die Kunden in Scharen herbei. Kerstin Psondr zuckt mit den Schultern. „Ich freue mich natürlich, dass so viel los ist“, sagt die 54-Jährige und hängt ein blaues Tüllkleid zurück an seinen Platz. Ein halb bekleidete­r Pirat wartet darauf, dass sie ihm eine passende Jacke zeigt. Ein Ehepaar, das Karneval gerne als Gärtner-Duett gehen möchte, braucht Hilfe. Und an der Kasse hat sich bereits eine Schlange gebildet. An diesem Freitagnac­hmittag so kurz vor Karneval könnten die Kunden eine beeindruck­end lange Polonaise durch die gut 500 Quadratmet­er große Kostümwelt an der Augustastr­aße machen. „Wenn die mal alle vorher gekommen wären, dann müsste ich meinen Laden nicht zumachen“, sagt die Chefin und seufzt.

Vor zehn Jahren hatte Kerstin Psondr das kultige Kostümgesc­häft von den beiden Schwestern Anneliese Dreier und Elfriede Scheid übernommen. 1983 hatten die beiden zunächst ganz klein in Keller und Garage damit begonnen, Kostüme zu verkaufen. Ihre Geschäftsi­dee kam so gut an, dass ihr Kostümverl­eih weit über die Grenzen Hombergs hinaus bekannt wurde. Als den Damen der Verleih der vielen Tausend Kostüme 2009 aus Altersgrün­den zu viel wurde, stürzte sich Kerstin Psondr in das Abenteuer. „Das hier war mein Baby“, sagt sie und sieht traurig aus. „Es fällt mir wirklich sehr, sehr schwer, das alles aufgeben zu müssen.“

Finanziell hat sie das Geschäft zuletzt nicht mehr stemmen können. Viele schlaflose Nächte hat sie vor ihrer Entscheidu­ng gehabt, den Laden aufzugeben. „Es wurden im- mer weniger Kunden.“Nicht nur die Konkurrenz der Discounter, die im Kostümgesc­häft mitmischen, hat ihr das Berufslebe­n schwer gemacht. Auch der boomende Internetha­ndel ließ die Kunden immer öfter ausbleiben. Warum bis nach Homberg fahren, wenn der Postbote die Prinzessin nach Hause bringt? „Weil wir hier ganz besondere Stücke haben“, beschreibt Psondr die Seele des Ladens. „Bei uns konnten Sie Kostüme leihen, die Sie so nirgendwo sonst bekommen.“Originale aus den ver- schiedenst­en Jahrzehnte­n. Von der echten bayrischen Lederhose über das Rokoko-Kleid und dem braunorang­en Strickpull­under bis zum Cowboyhut – die sehr eigenwilli­ge Mischung quer durch alle Moden hat das Homberger Kunterbunt berühmt gemacht. Klassische­s wie Clowns und Dracula inklusive. Aber ein guter Ruf allein reicht auf Dauer nicht. Es muss auch Geld in die Kasse kommen, um ein Geschäft halten zu können, das einst mehr als 1000 Quadratmet­er hatte.

Der Abschied auf Raten hat begonnen. Ende April ist Schluss. Bis dahin wird im Kunterbunt nicht mehr nur verliehen, sondern auch verkauft. Preise müssen erfragt werden. Etwa zwanzig Prozent rechnet Kersting Psondr auf den Verleihpre­is drauf. Zwischen 35 und 150 Euro kosten die meisten der Kostüme. Für Liebhaber gibt es aber auch besondere Stücke, für die noch einiges mehr ausgegeben werden kann.

Vieles hat die Inhaberin in den vergangen Tagen schon verkaufen können. An Kleidersta­ngen hängen jede Menge Sachen, die schon reserviert wurden. Schulen haben sich gemeldet, die sonst immer bestimmte Kostüme gemietet haben. Jetzt wollen sie die Sachen kaufen. Stangenwei­se Bischöfe sind schon weg – das nächste Nikolausfe­st kann kommen. Und Kerstin Psondr hat Kontakt zu anderen Kostümverm­ietungen und Filmgesell­schaften aufgenomme­n. „Ich muss schauen, dass ich die Sachen an die Leute bringe.“Früher war Karneval gar nicht ihr Hauptgesch­äft, aber jetzt ist sie froh, dass es kurz vor den jecken Tagen ganz gut läuft mit dem Verkauf.

„An solche Sachen kommt man ja sonst nicht mehr dran“, sagt eine Kundin, die gerade das dritte Kleid anprobiert. Tüll in Hülle und Fülle. „Hier muss man zuschlagen, bevor der Laden zumacht.“Eine andere trägt gleich zwei Paar Engelsflüg­el zur Kasse und ein schrilles 70er-Jahre Ensemble. Allerdings machen sich auch die Schattense­iten eines solchen Ausverkauf­s bemerkbar. Die Chefin flucht, als sie ein zerrissene­s Kostüm auf dem Boden entdeckt. „Das gibt’s doch nicht, dass sich die Leute hier so benehmen.“

Sie atmet hörbar tief aus. Das entspannt. Dann zieht sie geduldig mit der nächsten Kundin los. Etwas Schräges aus den 80er Jahren? Kein Problem. Die beiden verschwind­en – so als würden sie verschluck­t von all den Stoffen, die in den Gängen bis unter die Decke hängen.

Ein paar Lieblingss­tücke hat sich Kerstin Psondr übrigens rechtzeiti­g gesichert. Schließlic­h sitzt sie an der Quelle. „Ich habe einen sehr schönen 60er Jahre-Mantel, so wie Doris Day ihn trug.“Die passenden Schuhe dazu natürlich auch. Ein bisschen Trost muss sein!

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FOTO: ULLA MICHELS Kerstin Psondr an der Kasse im aktuell prall gefüllten Kostümverl­eih „Kunterbunt“. Obwohl es vor Karneval gut läuft, lohnt es sich für sie nicht mehr, das Geschäft weiter zu betrieben.

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