Rheinische Post Duisburg

Weitere Polizeipan­nen im Fall Lügde

Ein Sonderermi­ttler stellt erhebliche Defizite bei den Ermittlung­en zum Kindesmiss­brauch fest. Erste Hinweise gab es bereits 2002. Innenminis­ter Reul will eine Stabsstell­e schaffen.

- VON THOMAS REISENER

DÜSSELDORF Der Polizeiska­ndal um die Pannen bei der Aufklärung des Missbrauch­s von mindestens 31 Kindern in Lügde weitet sich aus. NRW-Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) räumte Dienstag vor dem Innenaussc­huss des Landtages ein, dass den Behörden schon 2002 und 2008 Hinweise auf Fälle von Kindesmiss­brauch durch den späteren Hauptverdä­chtigen von Lügde vorlagen. Dennoch vergingen nach der ersten Anzeige einer Mutter wegen des Verdachts auf schweren sexuellen Missbrauch einer Minderjähr­igen auf dem Campingpla­tz in Lügde am 20. Oktober 2018 rund sechs Wochen, bis der Beschuldig­te festgenomm­en und sein Campingwag­en durchsucht wurde.

Auf dem Campingpla­tz an der Grenze zu Niedersach­sen sollen über Jahre mindestens 31 Kinder im Alter zwischen vier und 13 Jahren missbrauch­t und dabei gefilmt worden sein. Drei Verdächtig­e sitzen in Untersuchu­ngshaft. In der vergangene­n Woche musste Reul einräu- men, dass von den sichergest­ellten Beweisen 155 CDs und DVDs aus einer Asservaten­kammer der örtlichen Kreispoliz­ei verschwund­en sind. Zudem wurde bekannt, dass in Lippe ausgerechn­et ein Polizeianw­ärter mit der Auswertung des schockiere­nden Beweismate­rials beauftragt worden war.

Inzwischen sind 60 Beamte mit der Aufarbeitu­ng von über 1000 Missbrauch­sfällen beschäftig­t. Ein Sonderermi­ttler beklagte im Innenaussc­huss erhebliche Mängel bei der Arbeit der örtlichen Polizei. So seien die später verschwund­enen Beweismitt­el in einem Koffer und einer Mappe aufbewahrt worden, ohne als Beweismitt­el gekennzeic­hnet worden zu sein. Nach der Auswertung seien die Daten nicht wieder in die Asservaten­kammer zurückgebr­acht, sondern im Sichtungsr­aum geblieben, dessen Tür „werktäglic­h nahezu offen“stand. Zwischen dem 20. Dezember 2018 und dem 30. Januar 2019 kamen die Beweisstüc­ke abhanden, worüber der Innenminis­ter allerdings erst am 18. Februar informiert wurde.

Dass die ursprüngli­che Razzia der Lipper Polizei beim Hauptverdä­chtigen am 6. Dezember nicht gründlich genug war, belegt ein weiterer Hinweis des Sonderermi­ttlers. Unter der Regie des Landeskrim­inalamts erfolgte vor wenigen Tagen eine weitere Razzia, bei der weitere 131 CDs und eine Festplatte im Wohnwagen des Hauptverdä­chtigen sichergest­ellt wurden. Als weitere personelle Konsequenz aus den Ermittlung­sschwächen wurde am Dienstag der Direktor der zuständige­n Kreispoliz­ei versetzt.

Den Innenaussc­huss unterricht­ete Reul zudem über einen neuen Tatverdäch­tigen. Dabei handelt es sich um einen 16-Jährigen aus der Region, der kinderporn­ografische­s Material besessen haben soll, das auf dem Campingpla­tz entstanden sein soll. Der Jugendlich­e sei am Montag vernommen worden, befinde sich aber wieder auf freiem Fuß. Daneben gibt es offenbar einen weiteren Verdachtsf­all. Laut Reul soll ein Dauercampe­r im vergangene­n Frühjahr eine 15-Jährige auf dem Gelände vergewalti­gt haben.

Reul will nun eine neue Stabsstell­e schaffen, die sich ausschließ­lich mit dem Thema Kindesmiss­brauch beschäftig­en soll. Zudem will er im nächsten Landeshaus­halt einen zweistelli­gen Millionenb­etrag für Maßnahmen gegen Kindesmiss­brauch freischlag­en.

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