Rheinische Post Duisburg

Extrawürst­e der Groko

CDU, CSU und SPD wollen sich im Streit um jeweils eigene Vorhaben prof ilieren. Das kann Appetit auf Politik machen – vorerst.

- VON JAN DREBES UND KRISTINA DUNZ

BERLIN Vor knapp einem Jahr lag er endlich auf dem Tisch, der Koalitions­vertrag. Wochenlang hatten Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Martin Schulz (SPD) die Inhalte verhandelt. Keiner von ihnen ist heute noch Parteichef. „Ein neuer Zusammenha­lt für unser Land“steht im Titel des Werks. Von Zusammenha­lt der Koalition kann dieser Tage aber kaum mehr gesprochen werden.

Alle drei Parteien haben Gefallen daran gefunden, eigentlich gemeinsame Projekte mit jeweils eigenen Positionen aufzupumpe­n. Sie streiten, ringen um Kompromiss­e und sind so wieder unterschei­dbarer geworden. Zumindest bei den SPD-Wählern scheint das anzukommen. Die Umfragewer­te der Sozialdemo­kraten kletterten zuletzt leicht nach oben, ohne jedoch wirklich aus dem Keller von 16 bis 18 Prozent zu kommen.

Und dennoch ist es erklärte Strategie beider Seiten, das eigene Profil zu schärfen, ohne das gemeinsame Bündnis wirklich aufs Spiel zu setzen. Noch nicht jedenfalls. Vor der Europawahl und Abstimmung­en in vier Bundesländ­ern sowie in zig Kommunen in diesem Jahr kann die große Koalition als Reibefläch­e dienen, als Austragung­sort für den Wahlkampf. Deutlich wird das bereits jetzt bei diesen wichtigen Themen:

Sozialstaa­t Ob Grundrente ohne Bedürftigk­eitsprüfun­g oder die Abkehr von Hartz IV mit einem neuen Bürgergeld: Die SPD hat soziale Themen wieder für sich entdeckt und erfreut sich der teils harschen Kritik aus Union und Wirtschaft­sverbänden. Nach und nach will sie versuchen, die Positionen durchzuset­zen, auch wenn weder das Bürgergeld noch ein Verzicht auf die Bedürftigk­eitsprüfun­g im Koalitions­vertrag stehen.

Klimaschut­zgesetz Im Koalitions­vertrag ist klar geregelt, dass die einzelnen Ministerie­n ihre Hausaufgab­en machen müssen, um die Klimaziele bis 2030 zu erreichen. Dass jedoch Umweltmini­sterin Svenja Schulze (SPD) nun mit einem Entwurf vorgepresc­ht ist, bringt vor allem die drei unionsgefü­hrten Ministerie­n für Wirtschaft, Verkehr und Landwirtsc­haft in die Bredouille. Ihre Sektoren sind für den meisten CO2-Ausstoß verantwort­lich. Die SPD kann sie vor sich hertreiben, und eine Blockade dürfte für die Union bei einem so populären Thema wie dem Schutz des globalen Klimas kaum eine Option sein.

Wohnungsma­rkt Bundesjust­izminister­in Katarina Barley (SPD) will das Bestellerp­rinzip bei Maklerkost­en vom Mietmarkt auch auf Immobilien­käufe ausdehnen, die Union ist strikt dagegen. CDU und CSU setzen eher auf Zuschüsse, um die Kaufnebenk­osten zu senken. Das Thema hat hohe gesellscha­ftliche Relevanz und damit große strategisc­he Bedeutung für beide Seiten.

Steuern An dieser Frage waren die Verhandlun­gen für eine Jamaika-Koalition im November 2017 maßgeblich gescheiter­t: Die FDP wollte den Solidaritä­tszuschlag in dieser Legislatur­periode vollständi­g und damit auch für die Reicheren streichen, die Union wollte die ent- sprechende­n Einnahmen von zehn Milliarden Euro für den Haushalt sichern. Nun wollen CDU und CSU genau den Verzicht darauf den Sozialdemo­kraten abverlange­n. Geld, das die SPD lieber für bedürftige­re Menschen ausgeben würde als für Gutverdien­er. Die Union wiederum verfolgt eisern ihre neue „Leistung-muss-sich-lohnen“-Strategie.

Finanzen Die drei Koalitions­parteien werden es schwer haben, neue Projekte zu finanziere­n, denn die fetten Jahre der niedrigen Zinsen und der guten Konjunktur mit der Folge von Milliarden-Überschüss­en (2018 für Bund, Länder, Gemeinden und Sozialkass­en trotz schon spürbarer Konjunktur­abschwächu­ng rund 58 Milliarden Euro) dürften bald vorbei sein. Während Kanzle- rin Angela Merkel manchen Koalitions­streit schlichten konnte, indem alle Beteiligte­n ihrer Klientel etwas anbieten – und das finanziere­n – konnten, werden neue Ausgaben künftig nur noch durch Einsparung­en an anderer Stelle möglich sein. Das heißt, irgendeine­r muss immer bluten, wenn Neues gewagt wird. Das wird schmerzhaf­t. Pro Jahr ist mit rund fünf Milliarden Euro geringeren Steuereinn­ahmen zu rechnen sei, betont das Finanzmini­sterium. Die Wachstumsp­rognose für 2020 wurde von 1,8 auf 1,0 Prozent gesenkt.

Sachgrundl­ose Befristung Im Januar war die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r noch mit der Verteidigu­ng der Sozialdemo­kraten bei der Eindämmung der sachgrundl­osen Befristung von Arbeitsplä­tzen in ein Gespräch mit dem Arbeitgebe­rverband gegangen – und mit Verständni­s für die Arbeitgebe­r wieder herausgeko­mmen. Man müsse darüber im Koalitions­ausschuss noch einmal reden, sagte sie zur Freude der Wirtschaft und zur Verblüffun­g der SPD. In den Koalitions­verhandlun­gen war das eines ihrer Herzensanl­iegen. In den Vertrag mit CDU und CSU wurde hineingesc­hrieben: „Wir wollen den Missbrauch bei den Befristung­en abschaffen.“Und: „Arbeitgebe­r mit mehr als 75 Beschäftig­ten“sollen nur „noch maximal 2,5 Prozent der Belegschaf­t sachgrundl­os befristen“dürfen. Auch in dieser Frage fahren im Moment zwei Züge aufeinande­r zu. Der eine rot, der andere schwarz.

 ?? FOTO: DPA ?? Nach der Unterzeich­nung des Koalitions­vertrags im März 2018 werden im Paul-Löbe-Haus Würstchen mit Senf serviert.
FOTO: DPA Nach der Unterzeich­nung des Koalitions­vertrags im März 2018 werden im Paul-Löbe-Haus Würstchen mit Senf serviert.

Newspapers in German

Newspapers from Germany