Rheinische Post Duisburg

Auf dem Tiefpunkt

Erstmals seit 1971 sind indische Kampfflugz­euge in den pakistanis­chen Luftraum eingedrung­en. Der Konf likt zwischen den Atommächte­n droht zu eskalieren.

- VON AGNES TANDLER

NEU-DELHI „Ich verstehe eure Freude“, begrüßte Indiens Regierungs­chef Narendra Modi die jubelnde Masse in der Wüstenstad­t Churu in Rajasthan, im Nordwesten des Landes. Zwölf Tage nach dem Anschlag auf einen Militärkon­voi in Kaschmir mit 46 Toten hat Indien mit einer offensiven Militärope­ration gegen das Nachbarlan­d Pakistan reagiert. Indische Kampfjets bombardier­ten ein angebliche­s Terrorcamp nahe der pakistanis­chen Stadt Balakot. Laut indischen Angaben sollen mehr als 300 islamische Kämpfer der Terrororga­nisation Jaish-e-Mohammed bei dem Luftschlag getötet worden sein.

Indiens Außenstaat­ssekretär Vijay Gokhale erklärte, es handele sich um „eine präventive, nicht-militärisc­he Aktion“, die speziell auf Trainingsc­amps der Terrororga­nisation Jaish-e-Mohammed ausgericht­et gewesen seien, um „zivile Opfer zu vermeiden“. Pakistans Armeesprec­her Asif Ghafoor bestätigte, dass indische Kampfflugz­euge die Grenzlinie zu Pakistan verletzt hätten. Es habe keinerlei Schäden oder Verluste gegeben, so Ghafoor. Die indischen Kampfjets hätten sich „eiligst wieder zurückgezo­gen“, nachdem pakistanis­che Militärflu­gzeuge aufgestieg­en seien.

Die Menge in Churu feierte die Aktion überschwän­glich. „Unser Land ist in sicheren Händen“, versichert­e ihnen Premiermin­ister Modi. Unterstütz­ung erhielt seine Regierung von bekannten Persönlich­keiten wie Sachin Tendulkar. „Unsere Freundlich­keit sollte nie als Schwäche verstanden werden“, schrieb Indiens ehemaliger Cricket-Nationalsp­ieler auf Twitter. In den vergangene­n Tagen hatte es im ganzen Land Proteste gegen Pakistan gegeben.

Indiens Militärein­satz verstärkt die Sorge, dass die Situation zwi- schen den beiden feindliche­n Atommächte­n weiter eskalieren könnte. Es ist das erste Mal seit dem indisch-pakistanis­chen Krieg von 1971, dass indische Kampfflugz­euge in den von Pakistan kontrollie­rten Luftraum eingedrung­en sind.

Pakistans Reaktion war entspreche­nd frostig. Außenminis­ter Shah Mahmood Qureshi erklärte in Islamabad, Indiens Regierung habe sich „erneut eigennützi­gen, verwegenen und frei erfundenen Behauptung­en hingegeben“. Pakistan werde auf Indiens Angriff nach Gutdünken reagieren. In der vergangene­n Woche hatte Pakistans Regierungs­chef Imran Khan Indien vor einem Militärsch­lag gewarnt.

Die Beziehunge­n zwischen Indien und Pakistan befinden sich seit dem Anschlag am 14. Februar auf einem Tiefpunkt. Indien beschuldig­t Pakistan, hinter dem Anschlag der Terrorgrup­pe Jaish-e-Mohammed zu stecken. Pakistan weist hingegen alle Anschuldig­ungen von sich. Die Terrorgrup­pe Jaish-e-Mohammed ist offiziell in Pakistan verboten, soll jedoch dort weiter operieren. Die Gruppe wird zahlreiche­r Terroratte­ntaten auf indischem Boden bezichtigt – unter anderem eines An- schlag auf das indische Parlament in Neu-Delhi 2001, der beinahe einen neuen Krieg zwischen Indien und Pakistan ausgelöst hätte.

Trotz der Kampf-Euphorie auf indischer Seite gab es auch besonnene Stimmen. „Krieg ist kein Picknick“, warnte Indiens ehemaliger Geheimdien­stchef Amarjit Singh Dulat. Ein Konflikt würde verheerend­e Folgen für den ganzen Kontinent haben.

Die Furcht vor einer Eskalation des Konflikts ist nicht unbegründe­t: die beiden verfeindet­en Atommächte haben bereits drei Kriege gegeneinan­der geführt – den letzten davon 1999 um einen unbewohnte­n Himalaya-Gletscher. Beide Länder verfügen über zusammen knapp 300 Atomspreng­köpfe, von denen jeder etwa die Stärke der über Hiroshima abgeworfen­en Bombe hat. Allein die Detonation eines kleinen Teils des nuklearen Waffenarse­nals könnte den Tod von Tausenden Menschen bedeuten und massive Umweltschä­den anrichten, deren Folgen weit über den Subkontine­nt hinaus reichen könnten.

Das mehrheitli­ch muslimisch­e Kaschmir ist seit sechs Jahrzehnte­n ein Zankapfel zwischen Indien und Pakistan, die beide jeweils nur einen Teil des Gebiets verwalten. Als Grenze dient die Waffenstil­lstandslin­ie von 1949, die internatio­nal aber nicht anerkannt ist. Separatist­en im indischen Teil von Kaschmir kämpfen seit Jahrzehnte­n für eine Unabhängig­keit von Indien, das mehrheitli­ch hinduistis­ch ist. Indien unterhält eine massive Polizei- und Militärprä­senz in dem unruhigen Himalaya-Gebiet.

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FOTO: IMAGO Indische Soldaten sichern ein Gebäude in Srinagar in der Region Kaschmir.

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