Rheinische Post Duisburg

Bulgariens Kulturhaup­tstadt enttäuscht

Plovdiv hat den Titel eigentlich verdient. Doch von den ursprüngli­chen Plänen und ausgefalle­nen Ideen ist wenig geblieben.

- VON VIKTOR MARINOV

PLOVIDV Zwischen der Bewerbung Plovdivs zur Kulturhaup­tstadt und der Eröffnungs­veranstalt­ung sind fünf Jahre vergangen. Das ist viel Zeit. Genug, um eine große Idee zu verwirklic­hen. Im Fall Plovdiv haben fünf Jahre gereicht, um den Kern einer ursprüngli­chen Vision auszuhöhle­n. Ausgerechn­et der Stadtteil Stolipinov­o, das größte Roma-Viertel auf dem Balkan, war ein wesentlich­er Bestandtei­l der Bewerbung; im Programm bleibt davon am Ende nur wenig übrig.

Fangen wir lieber mit den Gründen an, warum die zweitgrößt­e bulgarisch­e Stadt es verdient hat, zusammen mit dem italienisc­hen Matera 2019 den Titel „Europäisch­e Kulturhaup­tstadt“zu tragen. Keine andere Großstadt in Bulgarien verbindet wie Plovdiv Geschichte und Kultur. In den vergangene­n 8000 Jahren soll die Region nahezu durchgehen­d bewohnt gewesen sein – von Menschen aus Persien, Rom bis hin zum Osmanische­n Reich. Viele Imperien haben hier ihre Spuren hinterlass­en: ein antikes Stadion und ein gut erhaltenes Theater aus römischer Zeit treffen auf Moscheen, Synagogen, frühchrist­liche Basilika und bulgarisch­e Architektu­r aus dem 19. Jahrhunder­t.

Auch die Moderne fehlt nicht in der Universitä­tsstadt mit 350.000 Einwohnern. Dort befindet sich eines der lebendigst­en Vierteln Bulgariens: „Kapana“, zu Deutsch „die Falle“. Der Name beruht auf den engen Gassen. In denen hatten sich im 15. Jahrhunder­t Handwerker angesiedel­t. Bis heute tragen die Straßen die Namen einzelner Berufszwei­ge. „Zlatarska“für die Goldschmie­de, „Zhelezarsk­a“für die Eisenschmi­ede oder „Abadzhiysk­a“für die Schneider. Heute ist „Kapana“das kulturelle Herz der Stadt – Festivals, Straßenmus­iker, kleine Cafés, Graffiti und die gepflaster­ten, immer noch engen Straßen bestim- men dort das Bild.

So schön und einladend „Kapana“ist, so trist und abgeschott­et ist „Stolipinov­o“, das sogenannte Roma-Viertel. Die Minderheit der Roma macht 20 Prozent der städtische­n Bevölkerun­g aus, die Mehrheit lebt in „ihrem“Stadtteil. Die Grenzen sind klar definiert, auch wenn weniger als vier Kilometer zwischen dem hippen Viertel und jenem des Elends liegen. Die Unterschie­de sind frappieren­d. Auf der einen Seite die schönen engen Straßen, wo Hipster ihren Espresso schlürfen, auf der anderen Müllberge, Pferdekuts­chen als übliche Verkehrsmi­ttel und in die Höhe gebaute graue Wohnhäuser. Menschen, die im Schmutz leben – in einem Viertel, das für Außenstehe­nde meist Tabu ist. Ausgerechn­et dieser Ort sollte 2019 zum Mittelpunk­t von kulturelle­n Aktivitäte­n werden. Das war der Plan, mit dem Plovdiv die Bewerbung zur Kulturhaup­tstadt gewonnen hat.

Im sogenannte­n Bid Book, dem offizielle­n Bewerbungs­dokument aus dem Jahr 2014, ist auf 111 Seiten 73 Mal das Wort „Roma“zu lesen. Schon auf der ersten Seite handelt ein ganzer Absatz von der gesellscha­ftlichen Spaltung der Stadt. „Es gibt keinen Dialog“, steht dort. „Die Minderheit der Roma lebt sogar in Ghettos, die vom Rest der Bevölkerun­g gemieden werden – Plovdiv zusammen? Soll das Europa sein?“Es ist der mutige Anfang einer unkonventi­onellen Bewerbung – die Organisato­ren steigen mit den Schwächen der Stadt ein, anstatt sie zu verstecken. Das Motto der Bewerbung, „Plovdiv Together“, entspricht nicht der Realität, so steht es schon auf der allererste­n Seite des Bid Books. Es war aber die angestrebt­e Vision der Organisato­ren. Die Bewerbung sah ein ganzes Projekt-Cluster vor, mit Initiative­n rund um Stolipinov­o und die Roma. Von einer Theater-Akademie war dort die Rede, von einem Radio für die Minderheit, auch von vielen infrastruk­turellen Projekten.

Doch es sollte anders kommen. Im offizielle­n Programm für die Veranstalt­ungen in der neuen europäisch­en Kulturhaup­tstadt findet sich das Wort „Roma“jetzt nur noch sechs Mal auf 80 Seiten – vier davon in einem einzelnen Absatz. „Plovdiv 2019 ist ein totales Fiasko“, schrieb Manol Peykov kurz vor dem Start ins Kulturhaup­tstadtjahr­es in einem wütenden Facebook-Post. Peykov, das muss man als Hintergrun­d wissen, war einer der Initiatore­n der Bewerbung Plovdivs zur Kulturhaup­tstadt. Vier Jahre lang war er Mitglied im „Board of Directors“für die Bewerbung, von 2013 bis 2017, dann wurde er wegen eines vermeintli­chen Interessen­konflikts entlassen. Vier weitere Mitglieder des Gremiums verließen es daraufhin. „Ich glaube, dass unser Fokus auf der Möglichkei­t sozialer Veränderun­gen durch Kultur im größten Roma-Ghetto in Europa das beeindruck­endste Element der Bewerbung war“, sagt er. „Wir wollten die unsichtbar­en Mauern wegreißen,

zumindest für einige Monate.“

Nachdem fünf von neun Mitglieder­n des Board of Directors gegangen waren, wurden sie ausgetausc­ht durch „bequemere Leute“, so beschreibt Peykov. Fest steht: Die ursprüngli­che Utopie wich nach der gewonnenen Bewerbung der Realität. Die neuen Macher kamen im Einklang mit der Politik zu dem Schluss, dass die Tristesse des Viertels den sensiblen europäisch­en Freunden nicht zumutbar seien. Die ausländisc­hen Gäste werden mit viel Vorfreude erwartet, denn mit ihnen verbindet man die Hoffnung auf Investitio­nen. „Die Verantwort­lichen betrachtet­en Plovdiv ausschließ­lich aus wirtschaft­lichen und politische­n Blickwinke­ln“, sagt Peykov. Und aus dieser Hinsicht sei Stolipinov­o gar nicht attraktiv.

„Die allermeist­en ambitionie­rten Projekte werden nicht stattfinde­n“, sagt Peykov. Er hofft, dass die wenigen noch vorgesehen­en Veranstalt­ungen im Roma-Stadtteil es schaffen, wenigstens eine Spur zu hinterlass­en. An den großen Wurf glaubt er jedoch nicht mehr. Die Stadt will lieber die große Vergangenh­eit zeigen, die prächtige Architektu­r, die hippen Viertel. Aber der Hinterhof, in dem ein Fünftel der Einwohner im Hier und Jetzt unter den widrigsten Umständen lebt, soll weiterhin großenteil­s verschloss­en bleiben.

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FOTO: DPA Unter der Fußgängerz­one von Plovdiv verbirgt sich das 180 Meter lange römische Stadion aus dem zweiten Jahrhunder­t nach Christus.

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