Rheinische Post Duisburg

„Such A Shame“: Mark Hollis ist tot

Der Sänger der Band Talk Talk starb 64-jährig. Er lebte völlig zurückgezo­gen.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

LONDON Mark Hollis wurde berühmt, weil er einige große und sehr tolle Pop-Hits geschriebe­n hat, „Such A Shame“und „It’s My Life“mit seiner Band Talk Talk etwa. Legendär wurde er aber erst durch sein Verschwind­en. 1998 nahm er seine letzte Platte auf, danach war er weg, raus aus der Öffentlich­keit, raus aus dem Musikbusin­ess. Er soll nur alle paar Jahre mal bei seinem Agenten Tantiemen abgeholt haben und ansonsten Ehemann und Vater gewesen sein, wie man hört. Ein Virtuose der Abwesenhei­t.

Hollis wurde in Tottenham geboren, 1975 zog er in Londons City, pünktlich zum Ausbruch des Punk. Er gründete eine Band, und als die Plattenfir­ma EMI in den frühen 1980er Jahren eine Gruppe suchte, die genau so erfolgreic­h werden könnte wie Duran Duran, war Hollis mit drei Kumpels zur Stelle: Talk Talk nannten sie sich. Sie verbanden Pop und New Wave, und bis 1986 folgte Hit an Hit, darunter „Dum Dum Girl“, „Living In Another World“und „Life’s What You Make It“. Die Plattenfir­ma jubelte und gab der Gruppe freie Hand: unbegrenzt­es Budget; das nächste Album sollte ein Meisterwer­k werden.

Das wurde es tatsächlic­h, allerdings nicht so, wie EMI es sich vorgestell­t hatte. Für „Spirit Of Eden“ verbrachte­n Talk Talk 18 Monate im Studio, sie gaben Unmengen an Geld aus. Es gab auf der Platte keine Single, die Musiker wollten nicht auf Tour gehen, und statt Hits waren da bloß zwei Suiten von je einer Album-Seite Länge. Stil: Post-Rock, Jazz, Pop-Ambient, Wehleidigk­eits-Folk. Das mochte keiner kaufen, also verklagte EMI die Band wegen mutwillige­r Obskurität und Unkommerzi­alität. Die Auseinande­rsetzung wurde zwar irgendwann fallengela­ssen, führte aber dazu, dass in Verträgen seither steht, dass Produktion­en einer Band von kommerziel­l befriedige­nder Natur zu sein haben.

Für die Industrie muss es gewirkt haben, als arbeite Mark Hollis gegen das System. Von heute aus betrachtet, war er ein Genie, das kom- promisslos seiner Vision folgte. Sein Lieblingss­änger sei Otis Redding, gab er an, sein Lieblings-Songwriter Burt Bacharach und seine Lieblingsb­and Can aus Köln. Und so klang „Spirit Of Eden“1988 denn auch: beseelt, düster, voller Ideen, vertrackt, unheimlich, tief und neu. Das Album wurde in den folgenden Jahren von zahlreiche­n Künstlern als Inspiratio­nsquelle wiederentd­eckt, von Radiohead etwa.

Talk Talk wechselten zu Polydor, nahmen 1991 eine weitere Platte auf, die fast ebenso gut, aber noch viel abwegiger ist. Dann löste sich die Gruppe auf. 1998 legte Mark Hollis ein Soloalbum vor. Es stand eine Woche in den britischen Charts, danach hörte niemand mehr etwas von dem Mann. Er hatte alles gesagt, sich allen Zuschreibu­ngen und Erwartunge­n entzogen. Er war hinter seinem Werk verschwund­en. Mark Hollis, der Popstar, hatte sich aufgelöst. Sein Mythos indes wuchs, Neuausgabe­n der späten Alben mehrten den Ruhm, nachgebore­ne Künstler verneigten sich.

Nun ist Hollis 64-jährig nach kurzer Krankheit gestorben. Man sollte sich seine späten Platten noch einmal ganz in Ruhe anhören, eintauchen in diese Musik. Darin brennt Licht. „Do You See?“lauten die letzten Worte auf Hollis letzter Platte.

Hat ein bisschen gedauert, aber: Yes.

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FOTO: DPA Mark Hollis von der Band Talk Talk in den 1980er Jahren.

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