Rheinische Post Duisburg

Schuldspru­ch gegen Kardinal Georg Pell

Der 77-Jährige soll zwei Chorknaben sexuell missbrauch­t haben. Ihm drohen bis zu 25 Jahre Gefängnis.

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

ROM Nur zwei Tage nach dem Ende eines Gipfeltref­fens im Vatikan zum Thema sexueller Missbrauch von Minderjähr­igen wird die katholisch­e Kirche erneut auf die Probe gestellt. Am Dienstag wurde in der australisc­hen Stadt Melbourne bekannt, dass der 77 Jahre alte Kardinal George Pell wegen sexuellen Missbrauch­s von zwei Chorknaben schuldig gesprochen wurde. Die zwölfköpfi­ge Jury sah es als erwiesen an, dass der einst mächtigste Prälat des Kontinents – der später unter Papst Franziskus im Vatikan Karriere machte – sich im Jahr 1996 an zwei Messdiener­n verging.

Der Vatikan erklärte „höchsten Respekt“für die australisc­he Justiz. Pell dürfe in Erwartung eines definitive­n Urteils keine öffentlich­en Messen mehr feiern und keinen Kontakt mit Minderjähr­igen haben. „Wir warten nun auf das Urteil des Berufungsg­erichts und erinnern daran, dass Kardinal Pell seine Unschuld erklärt hat“, sagte Vatikanspr­echer Alessandro Gisotti. Damit scheint sich Papst Franziskus in gewisser Weise weiterhin vor seinen ehemaligen engen Mitarbeite­r zu stellen.

Pell war zwar im Dezember, einen Tag nach erstmalige­m Bekanntwer­den des Urteils gegen ihn, aus dem inzwischen nur noch sechsköpfi­gen Kardinalsg­remium der Berater des Papstes entlassen worden. Als Chef des vatikanisc­hen Finanzmini­steriums ist Pell nicht entlassen, sondern weiterhin nur beurlaubt. Pell ist der bislang höchste wegen Kindesmiss­brauchs gerichtlic­h verurteilt­e Prälat.

Kurz vor der Vatikan-Konferenz zum Thema Kinderschu­tz hatte Franziskus den ehemaligen Erzbischof von Washington, Theodore McCarrick, in den Laienstand versetzt. Der 88-jährige McCarrick, dem Straftaten gegen Minderjähr­ige vorgeworfe­n werden, wurde nie gerichtlic­h belangt. Zum Ende der Konferenz am Sonntag kündigte Franziskus an, die Kirche werde jeden einzelnen Fall mit „äußerster Ernsthafti­gkeit“verfolgen. Priester, die Kinder missbrauch­en, nannte er „Werkzeug des Teufels“.

Nach Ansicht der zwölfköpfi­gen Melbourner Gerichtsju­ry soll der damals 55-jährige Pell einen der Jungen in der Sakristei der Kathedrale zum Oralsex gezwungen und gegen beide mehrfach sexuell übergriffi­g geworden sein. Eines der beiden Opfer starb im Jahr 2014 an einer Überdosis Heroin. Das zweite Opfer äußerte sich am Dienstag schriftlic­h und erklärte: „Wie viele Überlebend­e habe ich Scham, Einsamkeit, Depression­en und Kämpfe erlebt. Wie bei vielen Überlebend­en hat es Jahre gedauert, bis ich die Auswirkung­en auf mein Leben verstanden habe.“Der Fall sei für ihn „noch nicht vorbei“. Der Betroffene sagte erst 2015 gegen den Kar- dinal aus.

Noch diese Woche will die Jury des County Court Victoria über das Strafmaß gegen Pell beraten. Ihm drohen nach australisc­hem Recht bis zu 25 Jahre Gefängnis. Pell beteuert seine Unschuld, seine Anwälte kündigten Berufung gegen das Urteil an.

In der Folge hob das Gericht am Dienstag das Berichters­tattungsve­rbot für den Fall Pell auf. In Australien untersucht­e eine richterlic­he Kommission fünf Jahre lang das Ausmaß sexuellen Missbrauch­s in Institutio­nen, darunter auch in der katholisch­en Kirche des Landes. 1200 Betroffene sagten im Zeugenstan­d aus, insgesamt behauptete­n in Australien über 4000 Menschen, im Zeitraum zwischen 1980 und 2015 Opfer sexuellen Missbrauch­s durch Kleriker geworden zu sein. Auch Pell sagte damals per Videoschal­tung aus Rom vor der Kommission aus und sagte: „Ich kann das Geschehene nicht rückgängig machen.“Vorwürfe gegen ihn persönlich wies er zurück.

Der in der australisc­hen katholisch­en Kirche beinahe übermächti­ge Pell war über die Jahre wegen seines zweifelhaf­ten Verhaltens in der Öffentlich­keit zu einer polarisier­enden Hassfigur geworden. Als er 2016 in Rom von der Kommission befragt wurde, protestier­ten Opfer vor Ort. Sie warfen Pell Kaltherzig­keit und Vertuschun­g vor.

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FOTO: DPA Kardinal George Pell kommt zum County Court in Melbourne.

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