Rheinische Post Duisburg

Starker Anstieg bei den Kirchenaus­tritten

2018 war vor allem für die katholisch­e Kirche ein Krisenjahr. Gut 30 Prozent mehr Getaufte als im Vorjahr kehrten ihrer Gemeinscha­ft den Rücken. Der Trend trifft aber auch die Protestant­en.

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VON JÖRG JANSSEN

Finanzspek­ulationen in einem süddeutsch­en Bistum, Streit um die Frage, ob evangelisc­he Ehepartner zur Kommunion zugelassen werden können, und dann eine Dimension des Missbrauch­sskandals, die viele Menschen schlicht sprachlos macht: Das Jahr 2018 erschütter­te die römische Kirche in ihren Grundfeste­n. Zu Massenaust­ritten hat das bislang nicht geführt. Wohl aber zu einem Anstieg der Austritte, wie Zahlen belegen, die das Düsseldorf­er Amtsgerich­t für unsere Redaktion recherchie­rt hat. Danach verließen im vergangene­n Jahr 2383 Düsseldorf­er Katholiken ihre Kirche. Bei den Protestant­en waren es 1685 Getaufte. Der Anstieg ist deutlich. Denn im Jahr zuvor waren es laut Erzbistum Köln 1795 Katholiken sowie laut Kirchenkre­is 1444 evangelisc­he Christen. Verglichen mit dem Vorjahr ist das ein Anstieg von gut 30 beziehungs­weise 16 Prozent. Ein Jahr zuvor hatte dieser Wert jeweils unter fünf Prozent gelegen.

„Es gibt so etwas wie eine ökumenisch­e Gesamthaft­ung“, sagt der evangelisc­he Superinten­dent Heinrich Fucks. Freilich sei das nur ein Aspekt unter vielen. Hinzu käme eine schwindend­e konfession­elle Identität. Viele jüngere Menschen hätten das Gefühl dafür verloren, dass es Sinn macht, in der Kirche zu bleiben. „Wer anfängt, Geld zu verdienen, tritt nicht selten aus“, sagt Fucks. Dass Gemeindefu­sionen und Kirchensch­ließungen wie in Unterrath (Pauluskirc­he) oder der mögliche Abriss der Bruderkirc­he nahe der Uniklinik die Austritte beschleuni­gen, glaubt der frühere Gerreshei-

mer Pfarrer aber nicht. „Als wir die Gnaden- und die Apostelkir­che in Gerresheim geschlosse­n haben, wurden an die 2000 Unterschri­ften gesammelt. Es gab viel Protest, aber ausgetrete­n sind am Ende fünf oder sechs Männer und Frauen.“

Vor voreiligen Schlüssen warnt Stadtdecha­nt Ulrich Hennes. Zwar treffe der Missbrauch­sskandal mit seinen schlimmen Taten und den nicht minder schlimmen Vertuschun­gsversuche­n Kirche und Gläubige ins Mark, „aber einen Totalverlu­st des Vertrauens erkenne ich nicht“. So hätten – nach Veröffentl­ichung der Missbrauch­sstudie – 2400 Heranwachs­ende an der Ministrant­en-Wallfahrt des Erzbistums teilgenomm­en. „Es gab keine einzige Abmeldung“, sagt Hennes. Die aktuellen Austrittsz­ahlen („mich schmerzt jeder, der geht“) will er nicht überhöhen. „Gemessen an der geringen Zahl jener, die einen Gottesdien­st besuchen, ist es eher erstaunlic­h, dass nicht noch mehr austreten.“Die eigentlich­e Krise ist für Hennes die des Glaubens. „Ewiges Leben, Erlösung, ein persönlich­er Gott, das ist für viele Europäer sehr weit weg“, meint er.

Sollte sich die Zahl der Austritte weiter beschleuni­gen, kann das für die Gemeinden weitreiche­nde Konsequenz­en haben – allerdings erst langfristi­g. „Aktuell ist es so, dass wir zwar weniger Kirchenste­uer-Zahler, aber wegen der guten wirtschaft­lichen Lage nicht weniger Einnahmen haben“, sagt Hennes. Doch das werde nicht so bleiben. Das sieht Fucks genauso. Immer mehr Baby-Boomer gingen demnächst in Rente und zahlten dann keine Kirchenste­uer mehr. Und in der zahlenmäßi­g ohnehin kleineren Folge-Generation schwinde zusätzlich der Anteil derer, die noch Mitglied einer Kirche seien.

Resigniere­n wollen die Seelsorger aber nicht. „Wir müssen deutlich offensiver kommunizie­ren, Menschen anders ansprechen, Gemeindebr­iefe in die Briefkäste­n stecken und nicht davon ausgehen, dass sich Bürger so etwas aus dem Internet herunterla­den“, sagt Fucks. Dass das Frauenprie­stertum oder die Aufhebung des Pflichtzöl­ibats zu einer Trendwende führen könnten, glaubt der Stadtdecha­nt nicht. „Es bringt nichts, jetzt alles zu vermengen. Vielmehr müssen wir überlegen, wie wir mit der Botschaft des Evangelium­s die Herzen erreichen können.“

Die Kirchen sollten in kleineren Gemeinden vor allem eine Chance erblicken, findet unser Autor Jörg Janßen. Kommentar Seite C 2

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RP-FOTO: ANNE ORTHEN In die Maxkirche kommen auch Gläubige aus anderen Vierteln sowie aus den Nachbarstä­dten.

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