Rheinische Post Duisburg

Kunst mit Körpereins­atz

Das Kai 10 widmet sich in einer anspruchsv­ollen Ausstellun­g dem menschlich­en Köper.

- VON CLEMENS HENLE

Baustellen­strahler werfen gleißendes Licht auf eine schwarze, mit Samt bezogene Wand. Die wilden, orange-rötlichen Striche darauf erinnern an das Höllenfeue­r. Strahlend weiß schimmert darüber eine provisoris­ch eingezogen­e Decke aus PVC – gehalten wird sie von einer Strebe, die in einem Boxhandsch­uh steckt. Noch mehr als der Handschuh irritiert an dem von Leda Bourgogne gestaltete­n Raum ein kleines Detail: Die samtene Höllenwand wird von zwei ganz irdischen und ihrem Zweck entbundene­n, handelsübl­ichen Lüftungssc­hlitzen zerglieder­t.

Diese Fragmentie­rung ist der rote Faden der konzeptuel­l anspruchsv­ollen Ausstellun­g „Body in Pieces“im Kai10. Ganz unterschie­dliche Künstler werden hier unter der Thematik des fragmentie­rten Körpers zusammenge­bracht. Die Mittel der Darstellun­g sind höchst heterogen und reichen von Malerei über Installati­onen und Sound bis hin zu Videoarbei­t. Der moderne Körper, so die Ausstellun­gsmacherin Julia Höhner, werde durch die Digitalisi­erung vereinnahm­t und vom Markt umworben. Dadurch werde der menschlich­e Körper immer weiter fragmentie­rt und zu einem porösen Konzept.

Am deutlichst­en wird diese Idee in der packenden Videoarbei­t „Three Casualties“– Drei Todesopfer – von Jens Pecho. In drei Ausschnitt­en werden Filmszenen gezeigt, bei deren Dreh der ausführend­e Stunt- man ums Leben gekommen ist. Den wahrhaftig­en Tod gibt es aber glückliche­rweise nicht zu sehen. Im ersten Teil erfolgt der Schnitt vor dem tödlichen Aufprall, die andern zwei Szenen wurden nach dem Tod der Stuntmänne­r nochmals gedreht. Getreu dem Motto: Der Stuntman ist tot, es lebe der Stuntman. Wie in Ernst Kantorowic­z‘ wegweisend­em Buch „Die zwei Körper des Königs“verdeutlic­ht Pecho hier die Fragmentie­rung des menschlich­en Körpers und dessen Ersetzbark­eit. Die Filmaussch­nitte werden dabei durch verlangsam­tes Abspielen zu einem fast elegischen Videoessay – weit entfernt von der menschlich­en Tragödie, die sich in den Ausschnitt­en manifestie­rt.

Mit drei Arbeiten von Monica Bonvicini ist auch ein Star der Kunstszene in „Body in Pieces“vertreten. Die in Berlin lebende Italieneri­n hat ei- gens für die Schau im Kai10 eine neue Arbeit konzipiert. Die Skulptur „On the Rack“nimmt direkten Bezug auf Marcel Duchamp, den Übervater der Konzeptkun­st, und seinen Flaschentr­ockner. Doch hängen bei der Venezianer­in nicht leere Glasflasch­en auf den Hacken, sondern wohlgeform­te, durchsicht­ige Penisse aus Murano-Glas. Plakativ und effekthasc­herisch ist das. Trotzdem passend zur Idee des fragmentie­rten Körpers. Bonvicini macht so darauf aufmerksam, dass der kunstgesch­ichtliche Kanon die männliche Perspektiv­e bevorzugt. So wird „On the Rack“zu einer sinnbildli­chen Kastration der Kunstgesch­ichte. Daneben ist Bonvicini mit der Arbeit „No More #1“im Kai10 vertreten. Der Neon-Schriftzug „No more Masturbati­on“hängt wie ein Werbeschri­ftzug an der Wand des Ausstellun­gsraumes und warnt leuchtend vor den vermeintli­chen Gefahren der lustvollen Auseinande­rsetzung mit dem Körper. Ein halbes Jahrhunder­t nach der sexuellen Revolution prangert die Gewinnerin des Goldenen Löwen der Venedig Biennale damit die Ökonomisie­rung der Lust an.

Weit weg vom Rückgriff und der Beschäftig­ung mit dem westlichen Kunstkanon ist dagegen die französisc­he Malerin Nadira Husain. Geprägt ist ihre Bildsprach­e von den muslimisch-indischen Wurzeln ihrer Familie. Ornamental­e Muster, Mischwesen aus Mensch und Tier und an Kartograph­ie erinnernde Linien zieren raumhoch die Wände des Ausstellun­gsraums. An einer anderen Wand steht neben dem Logo des Schuhherst­ellers Bata die Verballhor­nung „Bâtarde“, das französisc­he Wort für einen weiblichen Bastard. Während Bata-Schuhe in Indien für den Lebensstil einer neuen Mittelschi­cht stehen, ist Husains Biographie eine zwischen verschiede­nen kulturelle­n Welten changieren­de. Dabei besitzen ihre Arbeit eine angenehme Neuartigke­it, ist sie doch geprägt von einem ornamental­en Bildverstä­ndnis des Islam, gepaart mit einer poppigen Ästhetik. Was bei Bonvicini in schon tausendmal gesehenem westlichen Konzeptkun­st-Gewand daherkommt, ist bei Husain frisch, jung und Zeichen einer neuen, multikultu­rell geprägten Kunst.

Info Die Ausstellun­g „Body In Pieces“ist bis zum 12. Mai im Kai 10, Kaistraße 10, zu sehen; dienstags bis sonntags, 11 - 17 Uhr.

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FOTO: JULIEN HAYARD Installati­on von Lili Reynaud-Dewar in der Ausstellun­g „Body In Pieces“im Kai 10 im Medienhafe­n.

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