Rheinische Post Duisburg

Griechenve­rehrung: Wurzel des Antisemiti­smus?

- VON PHILIPP SÖLKEN

Moses und Homer – auf den ersten Blick ein ungleiches Duo, das den Titel dieses Buches bildet. Wie der Prophet und der antike Epen-Sänger zusammenhä­ngen und was das mit Antisemiti­smus zu tun hat, erläuterte der Autor Bernd Witte nun im „Haus der Universitä­t“. Als Gegenredne­r war der Erziehungs­wissenscha­ftler Micha Brumlik geladen. Ausgericht­et wurde der Schlagabta­usch von der Düsseldorf­er Gesellscha­ft für Christlich-Jüdische Zusammenar­beit und der Evangelisc­hen Stadtakade­mie; die Moderation führte Lothar Schröder, Leiter des RP-Kulturress­orts.

Bernd Witte vertritt in seinem kontrovers diskutiert­en Buch die These, dass der Exodus jüdischer Kultur mit der Griechenve­rehrung der Weimarer Klassik beginne. Als die Dichter, allen voran Goethe und Schiller, das antike Griechenla­nd für sich entdeckten, hätten sie die hellenisti­sche Kultur zu einer Ersatzreli­gion erhoben. Goethe spricht in einem Gedicht sogar vom „heiligen Homer“. Damit hätten sie das geniale Individuum zum höchsten Gut erhoben und begonnen, gegen den Monotheism­us in Gestalt des Judentums zu wettern. Und tatsächlic­h macht sich in der Zeit zwischen 1770 und 1800 bei den Künstlern antijüdisc­hes Gedankengu­t breit. So beschreibt Schiller die Juden als „bösartigst­es“Volk der Welt. Laut Witte sei dies der Anfangspun­kt eines Antisemiti­smus, der sich weiterentw­ickelt habe und im Vernichtun­gs- gedanken des NS-Regimes seinen Höhepunkt gefunden habe. Zentral sei dort das Schönheits­ideal eines arischen Körpers gewesen, der sehr an griechisch­en Statuen erinnert.

Gegen diese Entwicklun­gsgeschich­te erhob Micha Brumlik Einspruch. Er fragte vor allem danach, ob die Weimarer Dichter in späterer Zeit nicht falsch ausgelegt wurden und ihre antijüdisc­hen Passagen nur unbedeuten­de Verirrunge­n gewesen sein könnten. Zudem sieht Brumlik den Judenhass von Martin Luther am Beginn eines Antisemiti­smus mit Vernichtun­gsanspruch.

Die nachfolgen­de Diskussion, bei der auch Fragen aus dem Publikum beantworte­t wurden, drehte sich um die Ursprünge des Schönheits­kultes im NS-Regime. Zwar zog Brumlik einige Positionen Wittes begründet in Zweifel, pflichtete dem Autor jedoch in Teilen bei. So bei dem Zusammenha­ng zwischen dem Ästhetik-Bewusstsei­n der Weimarer Klassik und dem NS-Rassismus: Hier ist auch Brumlik der Ansicht, dass die Griechenve­rehrung in Weimar Mitverantw­ortung dafür trägt, dass das Bildungsbü­rgertum keinen Zugang zur expression­istischen Kunst fand.

Wie sehr Goethes „heiliger Homer“nun den Judenhass des Nationalso­zialismus vorbereite­te, konnte am Ende dieses Abends nicht geklärt werden. Doch eines gelang den Rednern auf jeden Fall: Sie klärten auf über die Verdrängun­g der jüdischen Kultur aus Deutschlan­d und sensibilis­ierten für die Frage, welche Folgen dieses Verlustes auch heute noch spürbar sind.

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