Griechenverehrung: Wurzel des Antisemitismus?
Moses und Homer – auf den ersten Blick ein ungleiches Duo, das den Titel dieses Buches bildet. Wie der Prophet und der antike Epen-Sänger zusammenhängen und was das mit Antisemitismus zu tun hat, erläuterte der Autor Bernd Witte nun im „Haus der Universität“. Als Gegenredner war der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik geladen. Ausgerichtet wurde der Schlagabtausch von der Düsseldorfer Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und der Evangelischen Stadtakademie; die Moderation führte Lothar Schröder, Leiter des RP-Kulturressorts.
Bernd Witte vertritt in seinem kontrovers diskutierten Buch die These, dass der Exodus jüdischer Kultur mit der Griechenverehrung der Weimarer Klassik beginne. Als die Dichter, allen voran Goethe und Schiller, das antike Griechenland für sich entdeckten, hätten sie die hellenistische Kultur zu einer Ersatzreligion erhoben. Goethe spricht in einem Gedicht sogar vom „heiligen Homer“. Damit hätten sie das geniale Individuum zum höchsten Gut erhoben und begonnen, gegen den Monotheismus in Gestalt des Judentums zu wettern. Und tatsächlich macht sich in der Zeit zwischen 1770 und 1800 bei den Künstlern antijüdisches Gedankengut breit. So beschreibt Schiller die Juden als „bösartigstes“Volk der Welt. Laut Witte sei dies der Anfangspunkt eines Antisemitismus, der sich weiterentwickelt habe und im Vernichtungs- gedanken des NS-Regimes seinen Höhepunkt gefunden habe. Zentral sei dort das Schönheitsideal eines arischen Körpers gewesen, der sehr an griechischen Statuen erinnert.
Gegen diese Entwicklungsgeschichte erhob Micha Brumlik Einspruch. Er fragte vor allem danach, ob die Weimarer Dichter in späterer Zeit nicht falsch ausgelegt wurden und ihre antijüdischen Passagen nur unbedeutende Verirrungen gewesen sein könnten. Zudem sieht Brumlik den Judenhass von Martin Luther am Beginn eines Antisemitismus mit Vernichtungsanspruch.
Die nachfolgende Diskussion, bei der auch Fragen aus dem Publikum beantwortet wurden, drehte sich um die Ursprünge des Schönheitskultes im NS-Regime. Zwar zog Brumlik einige Positionen Wittes begründet in Zweifel, pflichtete dem Autor jedoch in Teilen bei. So bei dem Zusammenhang zwischen dem Ästhetik-Bewusstsein der Weimarer Klassik und dem NS-Rassismus: Hier ist auch Brumlik der Ansicht, dass die Griechenverehrung in Weimar Mitverantwortung dafür trägt, dass das Bildungsbürgertum keinen Zugang zur expressionistischen Kunst fand.
Wie sehr Goethes „heiliger Homer“nun den Judenhass des Nationalsozialismus vorbereitete, konnte am Ende dieses Abends nicht geklärt werden. Doch eines gelang den Rednern auf jeden Fall: Sie klärten auf über die Verdrängung der jüdischen Kultur aus Deutschland und sensibilisierten für die Frage, welche Folgen dieses Verlustes auch heute noch spürbar sind.