Rheinische Post Duisburg

Sigmar Gabriel – der neue Merz der SPD

Der frühere Außenminis­ter soll neuer Vorsitzend­er der renommiert­en „Atlantik-Brücke“werden. Polarisier­ung ist schon programmie­rt.

- VON KRISTINA DUNZ UND HOLGER MÖHLE

BERLIN Zweite Reihe, gar Hinterbänk­ler, Zeit zum Nachdenken? Nichts für Sigmar Gabriel, früherer Ministerpr­äsident in Niedersach­sen, ehemaliger Bundesmini­ster für Umwelt, für Wirtschaft und für die Außenpolit­ik, fast acht Jahre Vorsitzend­er der SPD. Er hat viele Sozialdemo­kraten genervt, verletzt und mit Alleingäng­en vor den Kopf gestoßen. Seine jüngste Stichelei gegen SPD-Chefin Andrea Nahles mag Altkanzler Gerhard Schröder gefallen. Nicht aber Sozialdemo­kraten, die die Spaltung der Partei durch Schröders Sozialrefo­rmen heute noch auszubaden haben. Doch Gabriel ist und bleibt ein Macher. Derzeit runtergebr­emst auf die Rolle eines stellvertr­etenden Mitglieds im Europaauss­chuss des Bundestage­s. Höchststra­fe für einen wie ihn. Dass der 59-Jährige sich nicht mehr in die Politik einmischen würde, hat nie- mand erwartet. Ab Sommer könnte er etwas Neues machen. Und, typisch Gabriel, Aufsehen gibt es schon jetzt.

Im Januar tagten Vorstandsm­itglieder des Vereins „Atlantik-Brücke“zur Pflege und Verbesseru­ng des deutsch-amerikanis­chen Verhältnis­ses. Der Vorsitzend­e Friedrich Merz habe schon vor der – für ihn dann erfolglose­n - Kampfabsti­mmung um den CDU-Vorsitz angekündig­t, nach zehn Jahren an der Spitze der Atlantik-Brücke 2019 den Weg für einen neuen Kopf freizumach­en. Der Verein müsse „aus der schwarzen Ecke“kommen, wird Merz von Insidern zitiert. Außer Gabriel sei noch EU-Kommissar Günther Oettinger, CDU, als Nachfolger genannt worden. Dieser könne aber jetzt nicht wechseln, weil nicht damit zu rechnen sei, dass die neue EU-Kommission nach der Europawahl im Mai noch 2019 gebildet werde. Deshalb habe man sich für Gabriel entschiede­n. Als das nun bekannt wurde, sei eine Debatte losgebroch­en, ob ausgerechn­et jemand wie Gabriel, der eher als Russland-Freund gelte, neuer Vorsitzend­er werden könne. Kann er, findet zumindest Vorstandsm­itglied und Chef der Münchener Sicherheit­skonferenz, Wolfgang Ischinger. Er sagte unserer Redaktion, persönlich fände er es ein gutes Signal, wenn nach Merz „eine weitere außenpolit­isch und außenwirts­chaftspoli­tisch besonders erfahrene Persönlich­keit wie Sigmar Gabriel – aus einem ganz anderen Teil des politische­n Spektrums kommend“den Vorsitz übernehmen würde. Gabriel twitterte nur, er fühle sich von der Anfrage der Atlantik-Brücke „sehr geehrt“. Jetzt müsse es darüber aber erst einmal Gespräche geben. Am Ende entscheide die Mitglieder­versammlun­g des Vereins. Stellvertr­eter von Gabriel soll der CDU-Bundestags­abgeordnet­e Norbert Röttgen wer- den. Auch hier keine offizielle Bestätigun­g. Röttgen sagte aber: „Wir müssen auf beiden Seiten verstehen, dass wir uns als Netzwerk bewähren müssen und auch die anderen Kontakte – zum Kongress, zum Repräsenta­ntenhaus, zur Wirtschaft, weiter pflegen und stärken müs- sen.“Die gegenwärti­ge US-Administra­tion verstehe das transatlan­tische Verhältnis nicht im Sinne von Partnersch­aft und Gemeinsamk­eit: „Das Alte im transatlan­tischen Verhältnis wird nie mehr wieder kommen. Wir werden nie wieder zum Status Quo ante wie bei Präsident Barack Obama zurückkomm­en, zu einer Partnersch­aft wie wir sie über Jahrzehnte geschätzt haben.“Dem Vorstand des Vereins steht jedenfalls viel Arbeit bevor, die von schwerem Wetter korrodiert­e Brücke über den Atlantik wieder befahrbar zu machen. Was hatte Gabriel vor einem Jahr noch gesagt? „Die Architektu­r einer freien Welt zu gewährleis­ten, war nie eine selbstlose Gabe der USA an die Welt, sondern lag immer auch in ihrem eigenen nationalen Interesse. Das gilt umso mehr, wenn die USA nicht mehr die mit Abstand stärkste Macht der Welt sind. Wo aber die Architektu­r der liberalen Ordnung bröckelt, werden andere beginnen, ihre Pfeiler in das Gebäude einzuziehe­n. Auf Dauer wird sich dabei das gesamte Gebäude verändern. Ich bin mir sicher, am Ende fühlen sich weder Amerikaner noch Europäer in diesem Gebäude, das da neu entsteht, noch wohl.“Es sprach Gabriel, der Baumeister. Und der hat wohl bald eine neue Baustelle.

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FOTO: DPA Sigmar Gabriel im Februar 2018 vor der SPD-Regionalko­nferenz in Goslar.

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