Zwei Atommächte im Clinch
Der Kaschmir-Konfilkt zwischen Pakistan und Indien droht zu eskalieren.
AGNES TANDLLER
ISLAMABAD/NEU-DELHI Der gefangene Pilot hatte die Augen verbunden: „Ich bin Luftwaffen-Oberstleutnant Abhinandan und meine Dienstnummer ist 27981“, erklärt er sachlich. Pakistans Militär veröffentlichte am Mittwoch ein Video, um zu beweisen, dass es zwei indische Kampfflugzeuge abgeschossen und einen indische Piloten gefangengenommen habe. Damit spitzt sich die Lage zwischen den beiden verfeindeten Atommächten zu. Angesichts der kriegsähnlichen Situation haben Indien und Pakistan zahlreiche zivile Flugverbindungen gestrichen. Indien sperrte neun Flughäfen im Norden des Landes. Pakistan schloss am Mittwoch seinen gesamten Luftraum für kommerzielle Flüge. Indien bestätigte, dass einer ihrer Piloten in pakistanischer Hand sei und verlangte seine „sofortige und sichere Rückkehr“.
Am Dienstag hatten indische Kampfjets ein angebliches Terrorcamp nahe der pakistanischen Stadt Balakot bombardiert, die etwa 80 Kilometer von der indisch-pakistanischen Grenzlinie entfernt ist. Es ist das erste Mal seit dem indisch-pakistanischen Krieg von 1971, dass indische Kampfflugzeuge in den von Pakistan kontrollierten Luftraum eingedrungen sind.
Pakistans Premierminister Imran Khan versuchte, die Lage zu entschärfen: „Es ist notwendig, dass wir weise handeln.“Khan rief erneut zu einem Dialog mit Indien auf. Pakistans Armeesprecher Asif Ghafoor erklärte, die Luftwaffe habe zwei indische Kampfjets im pakistanischen Luftraum abgeschossen. Eine der Mig-21-Maschinen sei auf der indischen Seite der Grenzlinie abgestürzt, die zweite auf der pakistanischen Seite. Pakistan habe einen Piloten festgenommen. Ghafoor zeigte Ausweise und persönliche Gegenstände des Gefangenen. Gleichzeitig versuchte er, die Aktion herunterzuspielen. „Pakistans Militär hatte keine andere Option, als auf das indische Eindringen in den Luftraum zu reagieren.“Dies sei ein Akt der Selbstverteidigung und keine Kriegshandlung gewesen. Beide Seiten hätten die Möglichkeiten, „aber Krieg ist ein Versagen der Politik“. Die USA, China, Russland und andere Länder forderten beide Nachbarstaaten zur Zurückhaltung auf.
Die Beziehungen zwischen Indien und Pakistan befinden sich an einem Tiefpunkt, nachdem am 14. Februar 46 Soldaten bei einem Selbstmordattentat auf einen Militärkonvoi im indische Kaschmir ums Leben kamen. Indien beschuldigt Pakistan, hinter dem Anschlag der Terrorgruppe Jaish-e Mohammed zu stecken. Pakistan weist hingegen alle Anschuldigungen von sich. Die Terrorgruppe ist offiziell in Pakistan verboten, soll jedoch dort weiter operieren. Jaish-e Mohammed wird für mehrere Attentate auf indischem Boden verantwortlich gemacht.
Die Furcht vor einer Eskalation des Konfliktes wird nun immer größer. Die beiden verfeindeten Atommächte haben bereits drei Kriege gegeneinander geführt. Beide Länder verfügen über zusammen knapp 300 Atomsprengköpfe. Hinzu kommt: Indiens hindunationalistische Regierung unter Premierminister Narendra Modi muss sich im Mai einer Neuwahl stellen und ist daher darauf bedacht, ein Bild der Stärke zu zeigen.
Das mehrheitlich muslimische Kaschmir ist seit sieben Jahrzehnten ein Zankapfel zwischen Indien und Pakistan, die beide jeweils nur einen Teil des Gebietes verwalten. Als Grenze dient die Waffenstillstandslinie von 1949, die international aber nicht anerkannt ist. Separatisten im indischen Teil von Kaschmir kämpfen seit Jahrzehnten für eine Unabhängigkeit von Indien, das mehrheitlich hinduistisch geprägt ist. Indien unterhält eine massive Polizei- und Militärpräsenz in dem unruhigen Himalaya-Gebiet.