Rheinische Post Duisburg

Warum der Karneval (fast) alles darf

Die Störung eines Auftritts des Kabarettis­ten Bernd Stelter lenkt den Blick auf die Macht des teuf lischen Narren.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

KÖLN Was für eine Aufregung! Da wagt ein Humorist ein müdes Spässchen über Doppelname­n von Frauen, und sogleich wird die Bühne „gestürmt“von einer in diesem Sinne betroffene­n Zuhörerin. Bernd Stelter ist das jetzt bei einer Fernsehsit­zung passiert, ausgerechn­et Stelter, der bislang nicht sonderlich als politisch unkorrekte­r Krawallbru­der aufgefalle­n ist.

Leute, Leute.

Zu erklären (und zu entschuldi­gen) ist die skurrile Aufregung eigentlich nur damit, dass, mehr oder weniger, ein Missverstä­ndnis vorliegt. Genau genommen darüber, was Karneval ist, was Karneval darf und können muss.

Ja, ja, und jetzt wird wieder der alte Tucholsky hervorgekr­amt und eifrig nachgelese­n, was er vor exakt 100 Jahren im „Berliner Tageblatt“über die Satire geschriebe­n hat. Seine Ausgangsfr­age dabei war: Was darf Satire? Seine Antwort darauf lautet (kurz gefasst): Alles! So weit, so einfach – und so bedingt zutreffend. Weil Karneval nicht allzu viel mit dieser Art von Satire zu tun hat. Satire trifft den Adressaten überrasche­nd, hinterrück­s. Sie riskiert, missversta­nden zu werden. Sie ist eine Provokatio­n an sich. Beim Karneval ist so etwas aber Programm. Die ganze närrische Zeit ist bestimmt von Übertretun­gen, Diffamieru­ngen, Beleidigun­gen und in diesem Sinne auch Diskrimini­erungen. Was ansonsten die Gesellscha­ft ahndet, wird im Karneval toleriert. Die Frage ist also nicht: Was darf Satire? Sondern: Was darf der Karneval? Auch alles? Oder wenigstens fast alles?

Karneval ist erst einmal das: ungerecht, gemein und fies. Die klassische Narrenkapp­e hat links und rechts jeweils einen komischen Bömmel. Wie zwei verkappte Hörner, teuflische Hörner, wie manche auch sagen. Der klassische Narr und seine Späße sind demnach eher zu fürchten. An den fürstliche­n Höfen des Mittelalte­rs hielten sich die Herrscher gerne einen Narren. Der durfte alles sagen, selbst gegen den König. Der lachte dann darüber und mit ihm die Hofgesells­chaft. Der Narr hatte absolute Narrenfrei­heit. Er durfte dem Herrscher auch mal den Spiegel vorhalten, aber da es ein närrischer war, blieb das Treiben akzeptabel. Doch eigentlich war es mehr als das: Der Narr zeigte mit all seinem Un- und Irrsinn, wie gut es ist, einen Fürsten, einen Gescheiten also, am Hof zu haben.

Bei der Regentscha­ft der Narren geht es drunter und drüber, bis heute. Der Sturm der Rathäuser zu Altweiber ist ein irres Zwischensp­iel, das alle genießen und keiner sich auf Dauer wünscht. Die Eroberunge­n der Machtzentr­en sind so gesehen staatstrag­end. Auch darum wurde der Narr vor allem früher so sehr geduldet und im wahrsten Wortsinn hofiert. Der Narr war und ist ein Anti-Revolution­är; er fordert keinen Umsturz, keinen dauerhafte­n Machtwechs­el.

Alle Übertretun­gen scheinen in absolutist­ischen Gesellscha­ften einfacher gewesen zu sein, als sie es heute in demokratis­ch organisier­ten und geführten Staaten sind. Die Frage lautet jetzt vielmehr: Was hält die Gesellscha­ft aus? Und was ist sie bereit, zu ertragen? Staatsleut­e lächerlich zu machen und bloßzustel­len, ist weitgehend unproblema­tisch. Das gleiche gilt bei kirchliche­n Würdenträg­ern. In demokratis­chen Gesellscha­ften, in denen fast jeder fast alles sagen kann, büßt das Spötteln über die Führungssc­hicht Brisanz und Gift ein. Witze zur Me-too-Debatte sind grenzwerti­g, Darstellun­gen von „schwarzen Wilden“ebenso. Überschrit­ten ist die Grenze hingegen bei allen närrisch getarnten Angriffen, die antisemiti­sch gedeutet werden können. Es waren die Nazis, die Juden auf Motivwagen diffamiert­en und wenig später in die Vernichtun­gslager deportiert­en.

Der Narr ist teuflische­n Ursprungs. Und man darf sich vor ihm ruhig fürchten. Nur aus der Welt zu schaffen ist sein Treiben nicht mehr. Wie weit Verletzung­en aber gehen dürfen, ist dem Einzelfall geschuldet und mitunter auch der Zeit. Dar-

um ist es für die Duldung ätzender Angriffe so sinnvoll, einen eigens gekennzeic­hneten Raum dafür zu schaffen. Dieser Raum heißt Karneval. Es bleibt zwar ein gefährlich­er, durchaus kontaminie­rter Raum, weil nie ganz klar sein dürfte, ob das, was da gezeigt, herausgesc­hrien und gesungen wird, nicht doch vielleicht eine Meinungsla­ge wiedergibt. Entschärft wird die heikle Situation erst durch ihre klare, zeitliche Begrenzung. Wie heißt es doch? Am Aschermitt­woch ist alles vorbei. Ab Aschermitt­woch soll also wieder die vermeintli­che Vernunft regieren. Die Rückkehr der Politik wird dann machtvoll und gleichfall­s lautstark dokumentie­rt: In den politische­n Aschermitt­woch-Reden unserer prominente­n Landesvert­reter wird verlorenge­gangenes Macht-Terrain zurückerob­ert. Die verbale Krafthuber­ei im Bierzelt-Ambiente lässt noch Erinnerung­en an die tollen Tage wach werden. Die Übergänge sind also fließend.

Gabriele Möller-Hasenbeck, die wegen des Doppelname­n-Witzes die Bühne von Bernd Stelter im Gürzenich „eroberte“, wurde des Raumes verwiesen. Ihr Mann auch. „Im Karneval ist alles erlaubt. Aber es ist ne‘ Einbahnstr­aße“, sagte Gabriele Möller-Hasenbeck später. Womit sie zweifelsoh­ne recht und das Abgründige des Karnevals in ganzer Tiefe ermessen hat.

 ?? REPRO: DPA ?? Teuflisch und unheimlich: „Der Schalknarr“; Einblattho­lzschnitt, koloriert,um 1540, von Heinrich Vogtherr d.J. (1513-1568). Gotha, Schloßmuse­um.
REPRO: DPA Teuflisch und unheimlich: „Der Schalknarr“; Einblattho­lzschnitt, koloriert,um 1540, von Heinrich Vogtherr d.J. (1513-1568). Gotha, Schloßmuse­um.

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