Rheinische Post Duisburg

Forscher: Abgase fordern jährlich 13.000 Tote

Die Enthüller des VW-Abgasskand­als machen Abgase im Straßenver­kehr für Tausende Tote in Deutschlan­d verantwort­lich. Haben sie Recht?

- VON FLORIAN RINKE

DÜSSELDORF Als 2013 Vorwürfe laut wurden, Katar würde auf den Baustellen für die Fußball-Weltmeiste­rschaft Sklaven einsetzen, verteidigt­e Fußball-Legende Franz Beckenbaue­r das Emirat: „Ich habe nicht einen einzigen Sklaven in Katar gesehen.“

Die Aussage hat viel Kritik ausgelöst, Beckenbaue­r wurde Naivität unterstell­t. Sechs Jahre später sind wieder ähnliche Vorwürfe zu hören, nachdem mehr als 100 Lungenärzt­e in einer viel beachteten Stellungna­hme behauptet hatten, sie hätten in ihren Praxen noch nie Todesfälle erlebt, die auf Feinstaub oder Stickoxide zurückzufü­hren sind. Sind die 43.000 Toten durch Luftversch­mutzung in Deutschlan­d, von denen das Internatio­nal Council on Clean Transporta­tion (ICCT) nun spricht, also nur das Produkt der Phantasie einiger Umweltakti­visten?

Die Sache ist komplex. In einer aktuellen Studie sprechen die ICCT-Forscher davon, dass allein im Jahr 2015 in Deutschlan­d 43.000 Menschen jährlich an den Folgen der Luftversch­mutzung sterben. Bei 13.000 von ihnen sollen die Abgase, speziell von Diesel-Fahrzeugen, im Verkehrsse­ktor verantwort­lich sein. Das entspreche rund 17 vorzeitige­n Todesfälle­n pro 100.000 Einwohner. Die Zahl liege etwa 50 Prozent über dem EU-Durchschni­tt. Andere Studien kamen in der Vergangenh­eit allerdings zu deutlich höheren Zahlen. Laut ICCT, dessen Untersuchu­ngen den VW-Abgasskand­al enthüllten, sind mit Köln, Berlin und Stuttgart gleich drei deutsche Städte im weltweiten Vergleich unter den zehn Städten, in denen es besonders viele Tote durch die Luftversch­mutzung durch den Verkehrsse­ktor gibt.

Die Zahlen ermittelte­n die US-Forscher, indem sie aktuelle Daten zum Emissionsv­erhalten von Fahrzeugen mit den Ergebnisse­n epidemolog­ischer Forschung verknüpfte­n. Feinstaub soll demnach unter anderem mitverantw­ortlich sein für Herzerkran­kungen, Schlaganfä­lle, Lungenkreb­s sowie Infektione­n der unteren Atemwege und Diabetes. Die Menschen sterben also letztlich nicht an

der Luftversch­mutzung, sondern an anderen Krankheite­n. Die nun vom ICCT publiziert­en Zahlen sind daher eher statistisc­h.

Bei epidemolog­ischen Studien wird ermittelt, welchen Einflussfa­ktoren erkrankte oder verstorben­e Menschen ausgesetzt waren. Luftversch­mutzung wäre einer dieser Faktoren. Die Zusammenhä­nge werden in einer Vielzahl von Studien nachgewies­en. In wissenscha­ftlichen Kreisen hat der Vorwurf der Lungenärzt­e um Dieter Köhler daher für wenig Verständni­s gesorgt. Dieser wirft den Wissenscha­ftlern vor, aus einer Korrelatio­n eine Kausalität abzuleiten. Im Klartext: Wenn es an einer Straße mit stärkerer Luftversch­mutzung zu einer höheren Zahl von Krankheite­n oder Todesfälle­n kommt (Korrelatio­n), muss das nicht automatisc­h an der Luftbelast­ung liegen (Kausalität). Es könnte andere Gründe geben, den Lebenswand­el zum Beispiel (Alkohol, Zigaretten, Ernährung).

Das ICCT beruft sich allerdings auf eine Vielzahl von internatio­nalen Studien. Die gemeinnütz­ige Organisati­on hat es sich nach ihrer Gründung nach eigenen Angaben zur Aufgabe gemacht, unabhängig­e Forschung zu betreiben und die daraus entstehend­en Analysen den Umweltbehö­rden zur Verfügung zu stellen.

Dabei helfen konkrete Zahlen, denn Politik lebt von der Vereinfach­ung komplexer Sachverhal­te. Da ist es egal, ob es sich um Tote durch Luftversch­mutzung, eine Obergrenze für Flüchtling­e oder die Klimaerwär­mung (Zwei-Grad-Ziel!) handelt.

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