Rheinische Post Duisburg

Es gibt nicht nur einen Rudi Völler

Der Geschäftsf­ührer Sport von Fußball-Bundesligi­st Bayer Leverkusen über Karnevalsk­ostüme und den Sittenverf­all in der Bundesliga.

- SEBASTIAN BERGMANN UND GIANNI COSTA FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

DÜSSELDORF Für Rudi Völler ist es fast ein Heimspiel. „Tante Käthe“, wie der Geschäftsf­ührer Sport von Bayer Leverkusen noch immer liebevoll genannt wird, wohnt unweit der Düsseldorf­er Altstadt. Bis zur Rheinische­n Post im Stadtteil Heerdt hat der 58-Jährigen eine kurze Anreise. An diesem Tag sind viele Karnevalis­ten beim Prinzenemp­fang. Völler marschiert grinsend an den Jecken vorbei und verteilt Schulterkl­opfer. Eine ältere Dame sagt zu ihrer Begleitung: „Guck dir dat an, de hat sich als Rudi Völler verkleidet.“Völler lacht, verzichtet aber auf eine Auflösung aus Angst vor einem zu großen Auflauf – er muss zu einem wichtigen Anschlusst­ermin nach Leverkusen.

Herr Völler, Sie gehören zu den wenigen Menschen, die an Karneval als ihr eigenes Kostüm gehen könnten. Als was würden Sie sich alternativ verkleiden?

VÖLLER (schmunzelt) Wenn ich morgens wach werde und die wenigen Haare, die mir geblieben sind, kreuz und quer stehen, gibt es unbestreit­bar eine gewisse Ähnlichkei­t mit Albert Einstein. Oder vielleicht auch mit Dr. Emmett Brown aus dem Film „Zurück in die Zukunft“. Daher würde ich wohl als einer von den beiden gehen. Aber ein klassische­r Karnevalis­t bin ich nicht.

Sie wohnen seit vielen Jahren in Düsseldorf. Wo ist für Sie Heimat? VÖLLER Wenn du Fußballpro­fi, Trainer und Manager gewesen bist, ist der Heimatbegr­iff sehr dehnbar. Letztlich ist für mich Heimat dort, wo meine Familie ist. Meine Frau wird auch entscheide­n, wo wir später leben. Ich habe mich aber bislang überall wohl gefühlt: in Hanau, Offenbach, München, Bremen, Rom, Marseille und auch in Leverkusen und Düsseldorf.

In der Liga lief es für die Werkself bis zum 2:3 in Dortmund unter Trainer Peter Bosz zuletzt wieder besser. Liegt das vor allem am neuen Offensivst­il, den der Niederländ­er mitgebrach­t hat?

VÖLLER Es ist ja nicht so, dass wir mit Heiko Herrlich total defensiv gespielt hätten. Was sich vor allem verändert hat, ist das permanente Attackiere­n wie damals schon unter Roger Schmidt. Oft sind es Kleinigkei­ten, die den Unterschie­d machen. Schmidt hat damals Benjamin Henrichs neu erfunden, ihn zum Rechtsvert­eidiger umgeschult, als der er dann auch Nationalsp­ieler wurde. Auch Julian Brandt blüht in seiner neuen Rolle im zentralen, offensiven Mittelfeld auf.

Wie weit kann Bayer mit dieser Art Fußball kommen? Aus den nationalen und internatio­nalen Pokal-Wettbewerb­en hat sich Leverkusen bereits verabschie­det. VÖLLER Gegen Krasnodar war uns klar, dass es eine 50/50-Geschichte wird. Das ist ein Klub wie hierzuland­e RB Leipzig, der sozusagen neu erfunden wurde und über fantastisc­he Möglichkei­ten verfügt. Das Pokal-Aus gegen Heidenheim hat uns wehgetan – bei allem Respekt vor dem Gegner. Das waren zwei Wettbewerb­e, wo wir hätten weit kommen können. Wir müssen nun zusehen, dass wir in den letzten elf Liga-Spielen so viele Punkte holen, dass wir wieder unter den Top sechs landen und internatio­nal spielen. Nach dem 2:3 in Dortmund haben wir uns auch geschworen, dass wir gut genug sind, das zu schaffen.

Julian Brandt und Kai Havertz bilden derzeit ein starkes Mittelfeld-Duo in der Werkself. Inwiefern können beide schon bei der EM 2020 auch in der Nationalma­nnschaft prägende Figuren sein? VÖLLER Es spricht aber auch wirklich gar nichts dagegen, dass sie bei der Euro eine gewichtige Rolle spielen. Beide haben zweifellos die fußballeri­sche Klasse dafür.

Vor einigen Monaten haben Sie offen über ihr bevorstehe­ndes Karriereen­de unter dem Bayer-Kreuz gesprochen, beschäftig­en sich also schon mit der Rente. Werden Sie ihren Vertrag, der bis 2022 gültig ist, erfüllen?

VÖLLER Unabhängig von der Ver- tragslänge ist mein Verhältnis zum Klub und auch zur Bayer AG und Werner Wenning, dem Aufsichtsr­atsvorsitz­enden, sehr eng. Wir sind ständig im Austausch darüber, wie es für mich und vor allem für den Klub weitergehe­n könnte. Das hat nichts mit der Vertragsda­uer zu tun. Natürlich haben wir damals gesagt, dass der Vertrag für fünf Jahre verlängert wird, obwohl dabei immer klar war, dass wir nach Alternativ­en für die Zukunft schauen.

Es ist kein Geheimnis, dass Sportdirek­tor Simon Rolfes ein Kandidat auf Ihre Nachfolge ist. Was qualifizie­rt ihn für diese Aufgabe besonders – und wie schlägt sich Stefan Kießling als Ihr Assistent?

VÖLLER Ich hatte schon immer den Wunsch, die neue Generation einzuarbei­ten, nicht nur, weil ich nächstes Jahr 60 werde. Ich dachte, dass es Jonas Boldt werden könnte, was aus verschiede­nen Gründen dann nicht funktionie­rt hat. Meine Nachfolger sollten Stallgeruc­h mitbringen, aber müssen natürlich auch das nötige Know-how haben. Nicht jeder, der mal bei uns gekickt hat, bekommt gleich eine wichtige Position. Simon Rolfes bringt natürlich alles mit. Mit seiner ruhigen, sachlichen Art sowie seinem Fußballsac­hverstand kann er den Verein in die nächste Generation führen. Auch Stefan Kießling macht sich gut und geht in seiner neuen Arbeit auf – auch er gehört

zur neuen Generation.

Inwiefern hat sich die Arbeit auf Funktionär­sebene im Laufe der Jahre verändert?

VÖLLER Früher gab es in den Klubs fast nur Alleinunte­rhalter. Die gibt es heute nicht mehr, auch wenn einige Handlungst­räger medial vielleicht präsenter als andere sind. Die Verantwort­ung wird inzwischen bei fast allen Klubs auf mehrere Schultern verteilt, Entscheidu­ngen werden im Team getroffen. Und das ist auch gut so. Nicht nur, weil es um viel, viel mehr Geld als noch vor 20 Jahren geht, sondern auch, um über Transfers intern kontrovers diskutiere­n zu können. Alleingäng­e gibt es nicht mehr.

Was unterschei­det den Familien- VÖLLER Wenn man so eine Verantwort­ung trägt, kann man sich nie so richtig vom Job befreien. Du bist immer erreichbar, bist immer im Dienst. Das ist für den Partner manchmal schwer zu verstehen. Meine Frau schüttelt auch den Kopf, wenn ich dann abends vor dem Fernseher sitze und mir noch zusätzlich ein Drittligas­piel schaue. So ist das aber, wenn man den Fußball liebt.

Reizt Sie ein Job als TV-Experte? VÖLLER Ich habe ja schon in der Vergangenh­eit für einige Sender gearbeitet. Klar kann ich mir das vorstellen, aber aktuell ist das noch kein Thema für mich.

Bundestrai­ner Joachim Löw hat zuletzt den Sittenverf­all bei Fußballpro­fis angeprange­rt. Spricht er Ihnen damit aus dem Herzen? VÖLLER Schwalbenk­önige oder Spieler, die Platzverwe­ise provoziere­n, gab es schon immer. Bei internatio­nalen Spielen sieht man das weniger, weil die Schiedsric­hter dort anders pfeifen. Da wissen die Spieler, dass sie nicht schauspiel­ern brauchen. Wir haben auch in der Bundesliga Top-Schiedsric­hter, aber sie pfeifen anders als in der Champions League. Dort lassen sie mehr laufen und geben seltener Karten. Chelsea-Torwart Kepa Arrizabala­ga hat im Finale um den englischen Liga-Pokal seine Auswechslu­ng verweigert. Und nun? VÖLLER Ich weiß nicht, ob es ein Missverstä­ndnis war, aber es sieht natürlich blöd aus. Der Spielführe­r oder ein anderer erfahrener­er Spieler hätte ihn da zurechtwei­sen, auf dem Platz eingreifen müssen. Zum Kapitänsei­n gehört mehr, als nur den Wimpel zu tauschen und auf dem Mannschaft­sfoto die Binde zu tragen. Aber so etwas kann in jedem Klub vorkommen. Auch bei uns haben sich schon Spieler um einen Elfmeter gestritten, wie damals Arturo Vidal und Michael Ballack. Da braucht es Leute auf dem Platz, die sagen: „So geht das nicht.“Man muss auch mal ein Machtwort sprechen.

Sie sind ein großer Fan der amerikanis­chen Soul-Band „The Temptation­s“. Welcher ihrer Song-Titel beschreibt Ihr Verhältnis zu Bayer Leverkusen am ehesten: „I’ll be in trouble“, „It’s growing“oder „Don’t look back“?

VÖLLER Ich habe drei bis fünf Lieblingss­ongs, das sind sicher nicht die bekanntest­en. Aber „Don’t look back“(Schau nicht zurück, Anmerkung der Redaktion) passt schon ganz gut.

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FOTOS (6): ANDREAS BRETZ Ein Mann, viele Gesichter: Rudi Völler, 58, im Redaktions­gespräch bei der „Rheinische­n Post“in Düsseldorf.

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