Von Leonardo da Vinci lernen
Zum 500. Todestag des Universalgenies zeigt die Akademie der Wissenschaften und Künste Nachbauten seiner technischen Entwürfe.
Es rattert und knattert im Foyer der Akademie der Wissenschaften und der Künste, denn hier muss Hand angelegt werden. Drehen, kurbeln und zusammenstecken: In der neuen Ausstellung „Leonardo da Vinci – Bewegende Erfindungen“können die Besucher hier und im Rathaus an Apparaturen den Erfindungsreichtum Leonardo da Vincis buchstäblich erfassen. Wie hat sich das Renaissance-Genie ein Schaufelradboot vorgestellt? Wie funktioniert ein Flaschenzug, und was genau ist ein Schneckenradgetriebe?
Die Antworten lassen sich an 22 Modellen finden, die Studierende aus dem Fachbereich Ingeni-
„Wie Leonardo müssen wir die Welt mit Kinderaugen
betrachten“
Reiner Kopp Moderator des Abends
eurwissenschaften und Mathematik der Fachhochschule Bielefeld nach Leonardos Zeichnungen gebaut haben. Die Ausstellung ist Teil einer Veranstaltungsreihe zu Ehren des Universalgenies. Gemeinsam mit der Deutsch-Italienischen Gesellschaft hat die Akademie den 500. Todestag Leonardos zum Anlass genommen, mit mehreren Veranstaltungen an Leonardos Wirken zu erinnern.
Der Abend der Ausstellungseröffnung war Leonardo als Künstler und Ingenieur gewidmet. Zwar ist das Ausnahmetalent vor allem als Schöpfer der „Mona Lisa“bekannt. Jedoch war er nicht nur Maler, sondern auch Naturwissenschaftler und Ingenieur, ein „Experimentator im Weltenbau“, wie ihn Hans Peter Thurn, Vizepräsident der Akademie, in seiner Einführung nannte. Neben vergleichsweise wenigen Gemälden hinterließ Leonardo auch naturwissenschaftliche Schriften und technische Zeichnungen. Rund 1700 davon finden sich in dem Codex Madrid I, auf dem einige der nachgebauten Modelle basieren.
Pünktlich zum „Leonardo-Jahr“ist nun eine Neuausgabe fertiggestellt worden, die Mitherausgeber Dietrich Lohrmann, Mittelalterhistoriker an der RWTH Aachen, vorstellte. In dem vierbändigen Werk werden Leonardos Ausführungen zu seinen Konstruktionen und Naturbeobachtungen erstmals kommentiert und mit Hilfe von Technikfachleuten erklärt.
Georg Satzinger vom Kunsthistorischen Institut der Universität Bonn erklärte, warum bei Leonardo Malerei und Naturwissenschaften Hand in Hand gingen. Da bei der Malkunst die naturgetreue Wiedergabe von Körpern, Gegenständen und Landschaften im Vordergrund stand, mussten sich die Künstler auch mit Physik, Chemie und Anatomie auseinandersetzen. Doch Leonardos Neugier war unersättlich, sodass er sich weit mehr mit den Naturwissenschaften beschäftigte, als es für die Malerei notwendig gewesen wäre. Wie Naturwissenschaften und Malerei einander beeinflussten, illustrierte Satzinger am Beispiel der Landschaftspartien in Leonardos Bildern. Mit Hilfe von Detailaufnahmen zeigte er, wie Leonardo die neue Technik der Ölmalerei nutzte, um Landschaften zu erschaffen, die sich in der Ferne aufzulösen scheinen. Mit Ölfarben konnten mehrere Schichten übereinander gemalt werden, wodurch fließende Übergänge und durchscheinende Effekte möglich wurden.
Gleichzeitig sensibilisierte diese Maltechnik Leonardo für die Frage, wie Luft mit zunehmendem Abstand zur Erde den Blick auf die Landschaft verändert. Um dieses Flirren auf die Leinwand zu bringen und die Übergänge zwischen Figuren und Landschaft weicher zu gestalten, war im wahrsten Sinne des Wortes Fingerspitzengefühl gefragt: Bei dem Bildnis der Ginevra de‘ Benci verwischte Leonardo die Konturen mit seinem Daumen und erzeugte so die Unschärfe, das Sfu- mato, für das er später berühmt werden sollte.
Wie es generell um die Naturwissenschaften und die Technik in der Renaissance bestellt war, erläuterte Eberhard Knobloch, ein Experte auf dem Gebiet der Wissenschaftsund Technikgeschichte. In der Renaissance waren Ingenieure Wundervollbringer, die das Unmögliche möglich machten. Sie sollten einen scharfsinnigen Geist haben und sinnreiche Erfindungen erdenken, beides Bedeutungen des lateinischen Wortes ingenium, von dem sich der Begriff Ingenieur ableitet. Das besondere Verdienst Leonardos
bestand laut Knobloch darin, dass er seine Beschreibungen um theoretische Erklärungen ergänzte und größeren Wert auf die Zeichnungen der Apparaturen legte.
Dass Maschinen auch Poesie innewohnen kann, erfuhr das Publikum beim Vortrag von Herbert Maschat von der TU Graz: „Der Kolben will vom Zylinder umarmt werden.“So beschreibt Maschat das Ineinandergreifen der verschiedenen Elemente einer Maschine. Seiner Ansicht nach war Leonardo der Erste, der die Maschine als Summe unabhängiger Funktionseinheiten verstanden hat. Das Besondere dieser „Maschinenelemente“ist, dass sie nicht an eine bestimmte Art von Apparatur gebunden sind: Einer Schraube sieht man nicht an, ob sie in einem Getriebe oder einer Pumpe verbaut ist. So sei die Maschine zur Grundlage der modernen Technik geworden.
Können wir heute, ein halbes Jahrtausend nach dem Tod dieser Lichtgestalt, von Leonardo noch etwas lernen? Für Moderator Reiner Kopp, ebenfalls Mitglied der Akademie, sind vor allem die Neugierde und die Beobachtungsgabe wegweisend: „Wir müssen wie Leonardo die Welt mit Kinderaugen betrachten und alles hinterfragen.“Dazu laden auch die Nachbauten von Leonardos Apparaturen ein, die selbst in Zeiten von Smartphones nichts von ihrer Faszination eingebüßt haben.