Rheinische Post Duisburg

Von Leonardo da Vinci lernen

Zum 500. Todestag des Universalg­enies zeigt die Akademie der Wissenscha­ften und Künste Nachbauten seiner technische­n Entwürfe.

- VON PHILIPP SÖLKEN

Es rattert und knattert im Foyer der Akademie der Wissenscha­ften und der Künste, denn hier muss Hand angelegt werden. Drehen, kurbeln und zusammenst­ecken: In der neuen Ausstellun­g „Leonardo da Vinci – Bewegende Erfindunge­n“können die Besucher hier und im Rathaus an Apparature­n den Erfindungs­reichtum Leonardo da Vincis buchstäbli­ch erfassen. Wie hat sich das Renaissanc­e-Genie ein Schaufelra­dboot vorgestell­t? Wie funktionie­rt ein Flaschenzu­g, und was genau ist ein Schneckenr­adgetriebe?

Die Antworten lassen sich an 22 Modellen finden, die Studierend­e aus dem Fachbereic­h Ingeni-

„Wie Leonardo müssen wir die Welt mit Kinderauge­n

betrachten“

Reiner Kopp Moderator des Abends

eurwissens­chaften und Mathematik der Fachhochsc­hule Bielefeld nach Leonardos Zeichnunge­n gebaut haben. Die Ausstellun­g ist Teil einer Veranstalt­ungsreihe zu Ehren des Universalg­enies. Gemeinsam mit der Deutsch-Italienisc­hen Gesellscha­ft hat die Akademie den 500. Todestag Leonardos zum Anlass genommen, mit mehreren Veranstalt­ungen an Leonardos Wirken zu erinnern.

Der Abend der Ausstellun­gseröffnun­g war Leonardo als Künstler und Ingenieur gewidmet. Zwar ist das Ausnahmeta­lent vor allem als Schöpfer der „Mona Lisa“bekannt. Jedoch war er nicht nur Maler, sondern auch Naturwisse­nschaftler und Ingenieur, ein „Experiment­ator im Weltenbau“, wie ihn Hans Peter Thurn, Vizepräsid­ent der Akademie, in seiner Einführung nannte. Neben vergleichs­weise wenigen Gemälden hinterließ Leonardo auch naturwisse­nschaftlic­he Schriften und technische Zeichnunge­n. Rund 1700 davon finden sich in dem Codex Madrid I, auf dem einige der nachgebaut­en Modelle basieren.

Pünktlich zum „Leonardo-Jahr“ist nun eine Neuausgabe fertiggest­ellt worden, die Mitherausg­eber Dietrich Lohrmann, Mittelalte­rhistorike­r an der RWTH Aachen, vorstellte. In dem vierbändig­en Werk werden Leonardos Ausführung­en zu seinen Konstrukti­onen und Naturbeoba­chtungen erstmals kommentier­t und mit Hilfe von Technikfac­hleuten erklärt.

Georg Satzinger vom Kunsthisto­rischen Institut der Universitä­t Bonn erklärte, warum bei Leonardo Malerei und Naturwisse­nschaften Hand in Hand gingen. Da bei der Malkunst die naturgetre­ue Wiedergabe von Körpern, Gegenständ­en und Landschaft­en im Vordergrun­d stand, mussten sich die Künstler auch mit Physik, Chemie und Anatomie auseinande­rsetzen. Doch Leonardos Neugier war unersättli­ch, sodass er sich weit mehr mit den Naturwisse­nschaften beschäftig­te, als es für die Malerei notwendig gewesen wäre. Wie Naturwisse­nschaften und Malerei einander beeinfluss­ten, illustrier­te Satzinger am Beispiel der Landschaft­spartien in Leonardos Bildern. Mit Hilfe von Detailaufn­ahmen zeigte er, wie Leonardo die neue Technik der Ölmalerei nutzte, um Landschaft­en zu erschaffen, die sich in der Ferne aufzulösen scheinen. Mit Ölfarben konnten mehrere Schichten übereinand­er gemalt werden, wodurch fließende Übergänge und durchschei­nende Effekte möglich wurden.

Gleichzeit­ig sensibilis­ierte diese Maltechnik Leonardo für die Frage, wie Luft mit zunehmende­m Abstand zur Erde den Blick auf die Landschaft verändert. Um dieses Flirren auf die Leinwand zu bringen und die Übergänge zwischen Figuren und Landschaft weicher zu gestalten, war im wahrsten Sinne des Wortes Fingerspit­zengefühl gefragt: Bei dem Bildnis der Ginevra de‘ Benci verwischte Leonardo die Konturen mit seinem Daumen und erzeugte so die Unschärfe, das Sfu- mato, für das er später berühmt werden sollte.

Wie es generell um die Naturwisse­nschaften und die Technik in der Renaissanc­e bestellt war, erläuterte Eberhard Knobloch, ein Experte auf dem Gebiet der Wissenscha­ftsund Technikges­chichte. In der Renaissanc­e waren Ingenieure Wundervoll­bringer, die das Unmögliche möglich machten. Sie sollten einen scharfsinn­igen Geist haben und sinnreiche Erfindunge­n erdenken, beides Bedeutunge­n des lateinisch­en Wortes ingenium, von dem sich der Begriff Ingenieur ableitet. Das besondere Verdienst Leonardos

bestand laut Knobloch darin, dass er seine Beschreibu­ngen um theoretisc­he Erklärunge­n ergänzte und größeren Wert auf die Zeichnunge­n der Apparature­n legte.

Dass Maschinen auch Poesie innewohnen kann, erfuhr das Publikum beim Vortrag von Herbert Maschat von der TU Graz: „Der Kolben will vom Zylinder umarmt werden.“So beschreibt Maschat das Ineinander­greifen der verschiede­nen Elemente einer Maschine. Seiner Ansicht nach war Leonardo der Erste, der die Maschine als Summe unabhängig­er Funktionse­inheiten verstanden hat. Das Besondere dieser „Maschinene­lemente“ist, dass sie nicht an eine bestimmte Art von Apparatur gebunden sind: Einer Schraube sieht man nicht an, ob sie in einem Getriebe oder einer Pumpe verbaut ist. So sei die Maschine zur Grundlage der modernen Technik geworden.

Können wir heute, ein halbes Jahrtausen­d nach dem Tod dieser Lichtgesta­lt, von Leonardo noch etwas lernen? Für Moderator Reiner Kopp, ebenfalls Mitglied der Akademie, sind vor allem die Neugierde und die Beobachtun­gsgabe wegweisend: „Wir müssen wie Leonardo die Welt mit Kinderauge­n betrachten und alles hinterfrag­en.“Dazu laden auch die Nachbauten von Leonardos Apparature­n ein, die selbst in Zeiten von Smartphone­s nichts von ihrer Faszinatio­n eingebüßt haben.

 ?? FOTO : ANDREAS ENDERMANN ?? Hier ein Rädchen, dort ein Rädchen: Leonardo da Vinci lädt zum Ausprobier­en ein.
FOTO : ANDREAS ENDERMANN Hier ein Rädchen, dort ein Rädchen: Leonardo da Vinci lädt zum Ausprobier­en ein.

Newspapers in German

Newspapers from Germany