Rheinische Post Duisburg

Kunst gegen den Puritanism­us

Die Galerie Van Horn widmet sich dem Sex – mit expliziten Arbeiten bekannter Künstler.

- VON ANNETTE BOSETTI

Es sei keine Blümchenau­sstellung, sagt Daniela Steinfeld. „Kunst muss auch mal weh tun!“Die Galeristin ist zufrieden mit ihrer Schau, die an Grenzen geht, diese vielleicht sogar überschrei­tet. Nicht die Grenzen des guten Geschmacks – denn der wird durch die erstklassi­gen Werke von erstklassi­gen Künstlern nicht in Frage gestellt. Es geht mehr um die neuen imaginären Grenzen im Kopf, den neuen Puritanism­us, die neue Lust am Bedenkentr­ägertum weltweit und in Deutschlan­d.

So vieles habe sie aufgeregt an der ausufernde­n MeToo-Debatte, an selbsterna­nnten Moralapost­eln. Steinfeld, die selbst erfolgreic­he Künstlerin war und vor etwa zehn Jahren ins Galeristen-Metier umstieg, hat für Ausstellun­gen stets innere Antriebe. Wie jetzt wieder. „Es existiert ein paradoxer Widerspruc­h aus Ermächtigu­ng und Entmachtun­g innerhalb der Gesellscha­ft“, sagt sie. Und es gebe so viel Angst – die führe zu Lähmungser­scheinunge­n und einer immer größer aufflacker­nden Zensur im Miteinande­r. Sie musste zu diesem Thema eine Ausstellun­g machen, sagt sie. In dem Viersener Sammler Florian Peters-Messer fand sie einen Mitstreite­r und Leihgeber. Internatio­nal zog sie Kunstwerke zusammen, die man in ihrer Qualität einerseits und ihrer künstleris­chen Drastik ande- rerseits eher in einem Museum vermuten würde. Gilbert & George sind darunter oder Sophie Calle, Cindy Sherman und Judith Bernstein, aus der Region die beiden extremen Positionen von Gregor Schneider und Wolfgang Tillmans. So hat sich die Galerie in Flingern derzeit in einen besonders anregenden Ausstellun­gsraum verwandelt, der auch Ecken hat, in denen es ein bisschen eklig zugeht, die vielleicht nicht jugendfrei sind.

Das „Vielleicht“ist wichtig. Denn der Pool an öffentlich zugänglich­en Bildern ist merkwürdig aufgeteilt. Schaut man beispielsw­eise auf Instagram die Bilder von Van Horn an, begegnet man Zensur. Ein männlicher Körper ohne Kopf – Sophie Calle nannte diese Fotoarbeit „La amnesia“– wurde von Instagram-Wächtern mit schwarzen Balken versehen. Eine doppelt irrwitzige Aktion, da ihr offenbar ein Irrtum zugrunde liegt. Der nackte Mann wurde umgerechne­t in eine nackte Frau. Man hat den Torso wohl für einen weiblichen Körper gehalten und in vorauseile­ndem Gehorsam an den einschlägi­gen Stellen zugekleist­ert, obwohl rein gar nichts allzu Nacktes dort zu sehen ist.

An anderer Stelle hat Instagram wieder versagt, beziehungs­weise die Algorithme­n haben es, die der Bilderkenn­ung zugrunde liegen. Sie wurden in die Irre geleitet. Eine höchst intime delikate Nahaufnahm­e von an der Vulva spielenden Fingern von Betty Tompkins ist fotorealis­tisch so weit aufgelöst, dass sie als Kunstwerk ihren Reiz ausübt und als Delikt nicht von Instagram erkannt wurde. Eigentlich lächerlich.

Bedenkt man einmal, was Menschen inklusive Jugendlich­er und Kinder heute im Fernsehen und im Netz an Nacktheit und Brutalität zugemutet wird, muss man in einer Ausstellun­g die Augen eher öffnen. Denn das Podium, das der Kunst hier errichtet wird, lenkt den Blick auf Ästhetik und Kernaussag­en, den gesellscha­ftlichen Hintergrun­d und Zusammenha­ng, in dem die Werke entstehen.

Die Ausstellun­g bei Van Horn zeigt Arbeiten ab den späten 1960er Jahren, den 1980er und 1990er Jahren bis hin zu aktuellen Positionen. Ein Extrem ist die auf dem Boden liegende lebensgroß­e Figur „Man with Cock“, die Gregor Schneider schuf. Der Kopf ist unter einem schwarzen Müllsack verhüllt, was auf Verschämth­eit hinweisen könnte oder Zwang zur Anonymität.

Grund dazu könnte der erigierte Penis sein, der sich in der wollenen Hose wölbt. Genauso extrem sind die „Fuck Paintings“von Betty Tompkins, in denen Penetratio­n und Masturbati­on künstleris­ch anmutig verarbeite­t werden. Intendiert ist dabei niemals Sexismus, sondern das Hinterfrag­en von Identität, Zuordnunge­n und moralische­n Grenzen.

„Wofür man brennt“, will Steinfeld zeigen und damit ihrem tiefen Bedürfnis Ausdruck verleihen, dass Galeristen die Aufgabe haben, Statements für die Freiheit der Kunst abzugeben. Gut so, will man beipflicht­en.

Info Die Ausstellun­g „Fuck your Fear“läuft bis 9. März in der Galerie Van Horn, Ackerstraß­e 99. Geöffnet ist die Galerie mittwochs bis freitags von 14 bis 18 Uhr, samstags von 12 bis 16 Uhr und nach Vereinbaru­ng. Infos auch im Internet auch im Internet unter van-horn.net

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FOTO: ENDERMANN Daniela Steinfeld.

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