Rheinische Post Duisburg

Neues Urheberrec­ht – eine gute Sache?

Kritiker befürchten, die EU-Reform des Urheberrec­hts könnte zu einer Zensur von Inhalten im Internet führen. Befürworte­r sehen darin einen lange geforderte­n fairen Umgang mit geistigem Eigentum.

- VON TOBIAS KOLLMANN

VON FRANK ÜBERALL

Interessie­rte Kreise erwecken den Eindruck, dass unsere Freiheit bedroht sei. Das Internet gehe „kaputt“, heißt es. Der Grund für all diese Aufregung? Kreative wollen endlich auch etwas abhaben vom finanziell­en Segen, der über große Internetko­nzerne hereingebr­ochen ist – von dem Geld, das die Firmen eben mit den profession­ellen Leistungen von Journalist­en, Autoren, Musikern, Fotografen und vielen anderen verdienen.

Europäisch­e Politiker haben das Problem erkannt und planen eine Richtlinie: Google, Facebook und Co. sollen bezahlen, wenn sie urheberrec­htlich geschützte Werke verwenden. Die Forderung des Deutschen Journalist­en-Verbands, Urheber verbindlic­h an den Einnahmen zu beteiligen, hat es in die Richtlinie geschafft. Die Konzerne würden freilich lieber weiter „Wildwest“spielen und gratis abgreifen, was andere erarbeitet haben. Schützenhi­lfe bekommen sie dafür von willfährig­en Fans, die sich um die Hintergrün­de der Richtlinie kaum Gedanken machen.

Ein Totschlag-Argument ist, dass die Richtlinie sogenannte Upload-Filter vorschreib­e. Das stimmt zwar nicht, ist aber auch egal – Hauptsache man kann mit vermeintli­chen Zensurmasc­hinen Stimmung machen. Zum einen gibt es solche Filter längst, und kaum jemand hat vor den Toren von Google oder Facebook dagegen de- monstriert. Zum anderen ist in der Richtlinie ausdrückli­ch vorgesehen, dass die Plattforme­n mit geeigneten Mitteln dafür sorgen müssen, dass kein Klau kreativer Werke stattfinde­t. Die Kritiker können (oder wollen) sich kein anderes Mittel als die verhassten Upload-Filter vorstellen. Dabei ist die Lösung ganz einfach: Verwertung­sgesellsch­aften wie Gema, VG Wort oder VG Bild-Kunst vergeben entspreche­nde Lizenzen.

Das war zu Zeiten von Fotokopier­ern, Druckern oder Scannern kein Problem. Und das ist es eigentlich auch in der digitalen Welt nicht. Die Plattforme­n müssen ihren Geiz überwinden, schließlic­h verdienen sie genug. Und dass die Verleger etwa bei der VG Wort an den Einnahmen beteiligt werden sollen, ist auch kein Verrat der Urheber: Nur Verwertung­sgesellsch­aften, die breit getragen sind, sind gegenüber den übermächti­gen Netzgigant­en durchsetzu­ngsfähig.

Wer gegen die Urheberech­tsrichtlin­ie demonstrie­rt, sollte sich mit solchen Einzelheit­en zumindest mal befassen. Auch ich bin gegen Upload-Filter, auch mir ist die Freiheit des Internets wichtig. Aber ich will keinen Nulltarif für kreativ-profession­elle Leistungen: Faire Regeln statt wildes Web!

Was ist die größte Errungensc­haft des Internets? Die Antwort ist so einfach wie komplizier­t: Es gehört niemandem! Was in Augen einer realen Macht- und Wirtschaft­swelt schlichtwe­g als Betriebsun­fall gilt, bescherte der Menschheit zum ersten Mal in der Geschichte ein Medium, welches freiheitli­ch auf einer Struktur basierte, die jeder unabhängig von seinem bisherigen Status für eine kommunikat­ive und wirtschaft­liche Entfaltung nutzen konnte.

Doch leider kann die Menschheit mit dieser Freiheit offenbar nicht umgehen. Wie kann es etwas geben, was man nicht kontrollie­ren kann? Mit dem man nicht wie bisher etwas verdienen kann? Was für so elementare Veränderun­gen sorgt, dass man nicht mehr so weitermach­en kann wie bisher? Und so haben wir das digitale Neuland in voller Zufriedenh­eit einer satten Industrien­ation belächelt. Heute müssen wir feststelle­n, dass wir in dieser neuen Datenwelt wirtschaft­lich schlichtwe­g keine Rolle mehr spielen und zudem die Online-Welt auch unsere Offline-Wirtschaft massiv umkrempelt. Doch anstatt dieses Neuland mit eigenen digitalen Angeboten zu erobern, haben wir das Schlimmste gemacht, was man in diesem Bereich tun kann. Nämlich nichts! In unserer selbstzufr­iedenen Industrie- und Verlagsges­ellschaft haben wir in den Verteidigu­ngsmodus der alten Strukturen geschaltet, weil wir schlichtwe­g nicht in der Lage waren, eine eigene digitale Wettbewerb­sstärke und redaktione­lle Plattforme­n aufzubauen.

Es geht beim anstehende­n Leistungss­chutzrecht eben nicht um vermeintli­chen Schutz armer Song-Schreiber oder Content-Produzente­n, sondern um Erhalt alter Wirtschaft­s- und Machtstruk­turen mit dem zugehörige­n Lobbyismus. Eine Kapitulati­on und ein Versagen im Bereich der Digitalisi­erung! Was wir dafür opfern? Das Internet! Wenn das Leistungss­chutzrecht so wie geplant umgesetzt wird, dann müssten zur Prüfung aller Rechte die Inhalte einer lückenlose­n Kontrolle unterzogen werden. Das wird technisch nur mit Upload-Filtern möglich sein, die alles durchleuch­ten, was online gestellt werden soll. In Bezug auf andere Medien würde man von einer Zensur sprechen. Wer zensiert, kann auch steuern, überwachen und manipulier­en. Merkel findet das offensicht­lich okay, aber auch sie kommt aus einer alten Welt. Und so würde ihre einzige digitale Hinterlass­enschaft nicht nur ein schwaches digitales Neuland sein, sondern eben auch noch ein digitales Filterland. Eine viel schlimmere Vision für unsere digitale Zukunft gibt es kaum.

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