Rheinische Post Duisburg

„Kramp-Karrenbaue­r liegt bemerkensw­ert falsch“

Der Grünen-Vorsitzend­e über einen besseren Tierschutz, US-Autozölle und seine Strategie für einen Regierungs­wechsel in Berlin.

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BERLIN Robert Habeck ist pünktlich auf die Minute. Der Grünen-Vorsitzend­e hat einen engen Terminkale­nder, schließlic­h führt er eine Fast-20-Prozent-Partei, die in einer nächsten Bundesregi­erung eine tragende Rolle spielen könnte.

Herr Habeck, kaufen Sie Biofleisch auch mal bei Aldi oder Lidl? HABECK Nein, weil ich kein Fleisch esse.

Auch keine Tofu-Produkte? HABECK Doch, klar, manchmal, auch Hummus, Getränke, Konserven.

Aldi und Co. haben ein eigenes Tierwohl-Label eingeführt, das faire Tierbehand­lung anzeigt. Kommt die Landwirtsc­haftsminis­terin mit ihrem Label nicht viel zu spät? HABECK Die Discounter zeigen, dass man eine Haltungske­nnzeichnun­g verbindlic­h für alle tierischen Produktket­ten einführen kann. Faktisch macht der Handel das, was man von der Bundesregi­erung eigentlich erwarten würde. Das Tierwohl-Label von Frau Klöckner soll ja erst ab 2020 und auch nur freiwillig eingeführt werden. Wir lassen wertvolle Zeit verstreich­en. Währenddes­sen stellen sich die Landwirte auf die Produktion­sbedingung­en der verschiede­nen Discounter ein, wodurch sie aber in eine immer größere Abhängigke­it von ihnen geraten. Die Landwirte werden also von Frau Klöckner alleingela­ssen und immer stärker der Marktmacht der einzelnen Supermarkt­ketten ausgesetzt.

Und was muss dagegen geschehen? HABECK Wir brauchen sofort eine verbindlic­he staatliche Haltungske­nnzeichnun­g für alle tierischen Produkte mit einem klar definierte­n Rahmen für die Standards.

Reichen die bisherigen Maßnahmen gegen das Bienenster­ben? HABECK Nein. Wir brauchen konkrete Maßnahmen. Erstens: Die Anzahl der Flächen ohne Pestizidei­nsatz muss deutlich vergrößert werden, zu nennen wären Wasser- und Naturschut­zgebiete sowie die Felder des ökologisch­en Landbaus. Zweitens sollten wir die giftigsten Pflanzensc­hutzmittel aus dem Verkehr ziehen. Und drittens brauchen wir eine Pestizidst­euer. Sie ist ein wirksames Mittel, um den Einsatz zu reduzieren, wie Studien der Fraunhofer-Institute zeigen, die Erfahrunge­n aus anderen Ländern einbeziehe­n. Eine Pestizidst­euer würde zu einem sparsamere­n Einsatz führen. Mit dem Geld, das man einnimmt, könnte man mechanisch­e, von digitaler Technik unterstütz­te Unkrautbek­ämpfung fördern.

Die Bundesregi­erung fürchtet, dass Arbeitsplä­tze in der Autoindust­rie verloren gehen, wenn US-Präsident Donald Trump die Einfuhrzöl­le auf deutsche Autos erhöht. Sind Sie für Gegenzölle der EU?

HABECK Europa muss geschlosse­n sein und darf sich nicht von Trump erpressen lassen. Trump scheint nur die Sprache des Gegendruck­s zu verstehen. Deswegen halte ich es für zwingend, dass Europa die Kraftprobe mit Trump wagt. Europa muss bereit sein, Zölle auf US-Produkte im Gegenzug erhöhen. Dabei geht es nicht nur um Jeans oder Motorräder, sondern auch um Produkte der amerikanis­chen Schlüsseli­ndustrien. Das ist kein Szenario, das ich will. Aber um es zu verhindern, darf man jetzt nicht klein beigeben; und vor allem darf man sich nicht spalten lassen.

Die Union will den Soli für alle abschaffen. Warum sind Sie dagegen? HABECK Wir wollen den Soli-Ost umwandeln in einen Soli für gleichwert­ige Lebensverh­ältnisse in ganz Deutschlan­d. Regionen etwa, die vom industriel­len Strukturwa­ndel besonders betroffen sind, aber auch Kommunen mit Wohnungsno­t, brauchen Fördergeld. Die Aufgabe fällt ja nicht weg, wenn man den Soli abschafft. Die Alternativ­e wäre ja, dass die dafür notwendige­n Mittel woanders hergenomme­n werden müssten. Und die Steuereinn­ahmen steigen nicht mehr.

Annegret Kramp-Karrenbaue­r hat von Angela Merkel die CDU übernommen. Wann erwarten Sie den Führungswe­chsel im Kanzleramt? HABECK Angela Merkel hat gesagt, sie will bis zum Ende der Legislatur­periode Bundeskanz­lerin bleiben. Eine Frau, ein Wort. Sie hat zwar auch gesagt, sie wolle Parteivors­itzende bleiben und hat dann den Rückzug angetreten. Aber ich glaube trotzdem gern, was man mir sagt. Was heißt das denn für die Grünen, wenn es doch so käme und Merkel vorzeitig abtreten würde?

HABECK Für meine Partei hieße das erst mal gar nichts. Diese Frage würde sich ja, wenn, an die Fraktionen von CDU/CSU und SPD stellen, ob sie im Bundestag Frau Kramp-Karrenbaue­r zur neuen Bundeskanz­lerin wählen würden. Da wir keinen Koalitions­vertrag mit den Unionspart­eien haben, stellt sich diese Frage für uns nicht.

Aber würden Sie Frau Kramp-Karrenbaue­r, die CDU-Vorsitzend­e, im Falle eines vorzeitige­n Amtsverzic­hts von Frau Merkel denn mitwählen?

HABECK Ich sehe nicht, warum wir darüber überhaupt nachdenken sollten.

Ginge ein solcher Wechsel der Bundeskanz­lerin ohne Neuwahl? HABECK Formal ja.

Und Ihrer Vorstellun­g nach? HABECK Irgendwann wählt Deutschlan­d wieder. Bis dahin vergeuden wir unsere Kraft nicht mit dem Was-könnte-vielleicht-irgendwann-sein.

Was schätzen Sie an Frau Kramp-Karrenbaue­r?

HABECK Sie ist zugewandt, sie hört zu. Unsere Treffen als Parteivors­itzende waren von gegenseiti­gem Respekt geprägt – auf der persönlich­en Ebene. Politisch ist die CDU seit ihrem Parteitag im vergangene­n Dezember in Hamburg dabei, Identitäts­vergewisse­rung zu betreiben. Ich finde die Äußerungen von Frau Kramp-Karrenbaue­r nach dem CDU-Werkstattg­espräch, die ja besagen, dass man in der Flüchtling­spolitik im Zweifel eben nicht mehr dem Merkel-Kurs folgen würde, bemerkensw­ert – und bemerkensw­ert falsch. Damit wird der Kurs von Angela Merkel zugunsten der Seehofer-Linie verlassen. Auch in der Klimapolit­ik bewegt sich die CDU in die falsche Richtung. Und die Union scheut davor zurück, den Autokraten Viktor Orbán aus der Europäisch­en Volksparte­i zu werfen, deren Spitzenkan­didaten sie mit Manfred Weber ja stellt.

Was heißt das für Schwarz-Grün? HABECK Wir sind Wettbewerb­er um die besten Ideen und die zukunftsfä­higste Politik für Deutschlan­d und Europa. Wir sind nicht Koalitions­partner im Wartestand. Statt auf das Wer-mit-wem richten wir unsere Kraft auf das, was gesellscha­ftlich passiert und was nötige politische Antworten sind.

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FOTO: DPA Robert Habeck im Paternoste­r im Kieler Landeshaus. BIRGIT MARSCHALL UND HOLGER MÖHLE FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

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