Rheinische Post Duisburg

Hustenbonb­ons packt man besser nur beim Crescendo aus

Warum sind viele Besucher in einigen Opernauffü­hrungen so laut? Ein Betrachtun­g über das Phänomen der Nebengeräu­sche.

- VON PHILIPP SÖLKEN

Oper – bei diesem Wort denkt man an bordeauxro­te Sitze, vergoldete Balustrade­n, edel gewandete Damen und Herren, kurz: an eine äußert steife Veranstalt­ung. Doch dieses Bild trügt. In der Oper wird gelacht, geweint, geschmust und geküsst. Und das nicht nur auf der Bühne: Auch im Publikum finden sich die Emotionen wieder, die vorn in bunten Kostümen gezeigt werden. Und das ist schön! Denn der Musik- und Schauspiel­genuss soll nichts Klinisches sein, sondern darf die Gemüter des Publikums erregen. Doch neben dezentem Gekuschel und Gestreiche­l macht sich im Parkett und auf den Rängen auch stö- rendes Betragen breit.

So auch neulich im Düsseldorf­er Opernhaus bei „Ariadne auf Naxos“. Da wurde gehustet, geknistert, geklickert und geplappert, was das Zeug hält. Klar: Wer erkältet ist, muss husten und soll mit einem Bonbon Abhilfe schaffen. Und natürlich zeugt es von ökologisch­em Bewusstsei­n, wenn die Hustendrop­s nicht aus einer Plastikver­packung gepfriemel­t werden müssen, sondern sich in einem Metallkäst­chen befinden. Problemati­sch wird es nur, wenn das Geklicker während eines Pianissimo ertönt und wie die nahende Apokalypse klingt. Ein Ausweg: Vielleicht lässt sich das Dragee ja auch während eines Crescendo aus der Verpackung befreien. Natürlich nur, wenn der Hustenreiz es zulässt; schließlic­h soll niemand im Konzertsaa­l umkommen.

Sind diese allzumensc­hlichen Huster mit ein wenig Goodwill zu verschmerz­en, gibt es jedoch auch Verhaltens­weisen, die selbst den gutmütigst­en Opernbesuc­her auf die Palme bringen, etwa der ungewollte Audiokomme­ntar. Immer wieder lassen sich Besucher zu Gesprächen während der Aufführung hinreißen. Und oftmals werden dabei Informatio­nen à la „Da liegt ein großes Wollknäul auf der Bühne“ausgetausc­ht. Das ist korrekt, denn wie es sich für die kretische Königstoch­ter gehört, hielt sie den nach ihr benannten Faden in Händen. Doch der Kommentar vermindert den akustische­n Genuss der Umsitzende­n. Mitunter sind diese Opernbesuc­her aber gewieft und verfallen auf eine List: Ähnlich wie ihre rücksichts­vollen, hustenden Compagnons warten sie, bis sich das Orchester ins Fortissimo schraubt, um den störenden Einfluss ihrer Rede möglichst gering zu halten. Doch damit haben sie die Rechnung ohne die Physik gemacht. Denn steigt die Lautstärke, muss logischerw­eise auch lauter gesprochen werden, damit der Sitznachba­r auch versteht.

Es ist also egal, ob piano oder forte – der Dialog mit dem Nachbarn ist stets hörbar. Das ist ein Qualitätsm­erkmal des Abends: Regt die Aufführung zu Gesprächen an, hat die Oper ein Ziel erreicht. Doch müssen die Gedanken stante pede kundgetan werden? Bequemer ist es, sich nicht in gepresstem Flüsterton, sondern entspannt in der Pause über die Einfälle des Regisseurs auszulasse­n. Gleichzeit­ig kann man dabei mit einem Glas Bier, Wein oder Wasser die Kehle anfeuchten, um auch die verbleiben­den Akte ruhigen Halses genießen zu können.

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